ICE auf der Geislinger Steige Foto: "129400"

Thank you for travelling

Geschafft. Endlich zuhause. Mit exakt 84 Minuten Verspätung von Hamburg nach Berlin. „Sänk yu for träveling with Deutsche Bahn“, trö(s)tet die Stimme aus dem knarzenden Bord-Lautsprecher. Egal. Hauptsache angekommen. In den letzten Wochen bin ich viel gereist. Kreuz und quer durch Deutschland. Berlin, Hamburg, Stuttgart, Leipzig, Jena, Bodensee. Ein Genuss in vollen Zügen. Die Bahn mein Freund und Helfer. Halleluja!  Ich gehöre zu den rund 155 Millionen ICE-Reisenden in diesem Jahr. Ich bin Teil der Verkehrswende. – Und? Es ist auf jeden Fall nie langweilig. Ich habe viel gesehen, noch mehr erlebt, mehr als einmal gestaunt und mich manches Mal geärgert. Bereits die Abreise ist ein Abenteuer. Warten am vollen Bahnsteig. Die Wagenreihung ändert sich. Funktionierende Hinweistafeln: Fehlanzeige. Also Konzentration: strategisch positionieren, durchatmen, losrennen, den Waggon entern, zum reservierten Platz durchkämpfen. Den bereits sitzenden Mitreisenden höflich zum Aufstehen bewegen. Wenn es klappt, dankbar in den Sitz sinken. Wie schön.

 

 

Die Reise beginnt. Doch nach kurzer Fahrt fährt der ICE langsamer, bleibt stehen. Jetzt heißt es: „Verspätung durch vorausfahrenden Zug oder dichte Zugfolge oder Notarzteinsatz oder betriebsfremde Personen im Gleisbett“. Kurzum: Man steht wie auf der vollen Autobahn. Meine Bilanz: Mehrere Male Anschlusszüge verpasst. Notwendig sind ferner: Training der Schließmuskeln, Unterdrückung des Harndrangs bei häufig geschlossenen oder verstopften Toiletten. Proviant vorab sichern, das hochpreisige Bordrestaurant ist entweder voll, ausverkauft oder wegen Personalmangel ganz geschlossen. Kein Wunder, dass das neue 49-Euro-Ticket nicht ICE-kompatibel ist. Der versprochene Deutschland-Takt? – jede Stunde in jeder größeren Stadt ein überregionaler Zug –. Er wurde von 2030 auf 2070 verschoben. Verkehrswende? Was ist das?

Was erstklassig am Bahnreisen ist. Der Fahrgast genießt Einblicke in die gesellschaftliche Wirklichkeit des Landes. Ein Stimmen-Potpourri: „Das ist mein Platz. Sorry, den habe ich auch reserviert.“ – Der Lauttelefonierer: „Jawohl, Frau Krause, so machen wir das. Ist mein Hotel storniert?“ Die Ehegattin: „Hasilein. Du hast heute noch keinen einzigen netten Satz gesagt, den ich mir merken möchte.“ Der Vielfahrer zum Sitznachbarn: „Die können das einfach nicht. Die Bahn ist mein Schicksal. Zu teuer, zu voll, zu spät.“ Immerhin läuft die Bahn-PR-Maschine auf Hochtouren. „Bonus-Reisen, Komfort-Check-In, „Mehr Bahn für alle!“. In der Bahnwerbewelt hängt die Welt voller Geigen. Tja. Deshalb erstklassige Preise, zweit- bis drittklassige Realität. Es knarzt wieder der Lautsprecher: „Sie werden leider nicht alle Anschlüsse erreichen. Unsere Verspätung liegt bei mittlerweile 35 Minuten. Wir bitten um Entschuldigung.“

 

Vieles passt bei der Bahn nicht zusammen. Folge verfehlter und/oder unterlassener Bahnpolitik der letzten Jahre durch die Minister Peter Ramsauer, Alexander Dobrindt, sehr kurz Christian Schmidt, Andreas Scheuer. Alle aus Bayern, alle von der CSU. Foto: holzijue

 

Im vergangenen Jahr war die Deutsche Bahn so unpünktlich wie seit zehn Jahren nicht mehr. Trotzdem spendierten sich die Chefs Boni. Vorstandsvorsitzender Richard Lutz erhielt 2022 exakt 2,24 Millionen Euro. Macht ein Plus von 1,26 Millionen Euro. Der Aufsichtsrat hat mittlerweile die Boni-Zahlungen für Manager (+14%) vorerst gestoppt. Motto: kein gutes Geld für schlechte Leistungen. Für alle Bahnmitarbeiter soll es nach Warnstreiks übrigens 5% mehr Lohn geben.

Der Bahnsong von Wise Guys ist mehr als zehn Jahre alt. Was hat sich geändert?

 

Trotzdem kann Bahnfahren so schön sein. Wie reizvoll ist ein Fensterplatz. Das Land zieht vorbei. Kein Stress, kein Stau, dazu dank Öko-Strom ein sanftes Klima-Gewissen. Zusätzlich immer wieder Überraschungen. Kurz vor Berlin herrscht im überfüllten ICE Aufregung. Zwei junge Kids rennen die Gänge entlang. Die Schaffnerin hastet atemlos hinterher. „Ihr seid ohne Tickets, dazu noch minderjährig.“ Der Zug hält an. Die Türen öffnen sich. Die Jungs rennen hasenschlagend Richtung Ausgang. Die alarmierte Polizei steht am anderen Ende. Der ICE ist lang. Um die 350 Meter. Da kommen die Ordnungshüter nicht hinterher. Die beiden Flitzer haben offenbar das Deutschland-Ticket für Null Euro gewählt. Die Schaffnerin atmet schwer, lässt die Schultern hängen. Wer möchte schon ihren Job machen?

Hier noch ein paar Tipps zum Entspannen. Die besten Bahn-Songs.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.