Trabi, Baujahr 1958. Geborgen in Hoppegarten bei Berlin, 2022

Hatte die DDR jemals eine Chance?

DDR? Osten? Um Gottes willen, runzeln viele die Stirn. Großer Knast, hohle Sprüche, Scheitern auf der ganzen Linie. Nichts funktionierte außer leeren Versprechen und lauten Parolen. Viel Marx, noch mehr Murks, nur Petersilie auf dem Brot. Das Experiment ist krachend gescheitert. Und das ist gut so, meinen die Allermeisten. Merkwürdig: Das kleine Land ist dennoch nicht unterzukriegen. Wenn Merkels Abschiedslied „Michael, du hast den Farbfilm vergessen“ erklingt oder Oschmann in seinem Bestseller wütet: „Die Ostdeutschen; eine westdeutsche Erfindung.“ Je länger die DDR tot ist, desto schöner wird sie, hatte  der Schriftsteller Jurek Becker nach der Wende prognostiziert. Er sollte Recht behalten.

 

Gesehen in Hoyerswerda.

 

Heute träumen viele „endlich wieder“ von Ordnung und Sicherheit, von einem Land ohne Migration, Inflation, Corona, Ukraine-Krieg und Wärmepumpen. Ein Land, in dem man sich „nicht fremd fühlen muss“. Der häufigste Satz, den ich höre. Oder diesen: „Eigentlich geht es mir gut. Aber das Land steht am Abgrund. Nichts funktioniert. Bahn, Behörden, Politik. Dafür nur Mangel und Pfusch: Zu wenig Lehrer, Klempner, Pflegekräfte undsoweiter“. Typisch deutsch? Vermutlich. Diese Sehnsucht nach Erlösung durch einen Retter, die Angst vor Abstieg und die Wut auf die da oben, die nur an sich selbst denken und nicht mehr wissen, was im Volk los ist. Dazu ein unbändiger Hass auf öffentlich-rechtliche Medien, denen man keine Sekunde mehr über den Weg traut, aber dennoch einschaltet. Warum spukt die DDR noch in so vielen Köpfen? Ich glaube, sie hatte ein großes Versprechen. Ein besseres, gerechteres und soziales Deutschland wollte sie sein. Auferstanden aus den Ruinen, aufgebaut aus den Trümmern des Hitler-Systems. Doch hatte die DDR jemals eine ernsthafte Chance?

 

„Die Lehre von Marx ist mächtig, weil sie richtig ist.“ Jena, Anfang der fünfziger Jahre. Quelle: Stadtarchiv Jena

 

„Jugend erwach, erhebe dich jetzt, die grausame Zeit hat ein End! Und die Sonne strahlt wieder, die Strahlen hernieder, vom blauen Himmelsgezelt“, reimte 1947 der junge Marinehelfer Reinhold Limberg. Im Geiste der Nazis erzogen, hoffte der Zwanzigjährige auf einen Neuanfang. Limberg dichtete weiter: „Bau auf, bau auf, Freie Deutsche Jugend, bau auf! Für eine bessere Zukunft richten wir die Heimat auf.“ Limberg und viele andere wollten ein gerechtes, besseres, neues Deutschland. Sie räumten Trümmer weg, schufteten, allen Rückschlägen zum Trotz. Doch ihre Chancen standen schlecht. Während der Marshallplan in die neuen Westzonen über 1.5 Milliarden Dollar pumpte, beschlagnahmten die Sowjets zu selben Zeit in der Ostzone Waren und Güter, ganze Betriebe, Schienennetze und selbst Klettergerüste im Wert von etwa 14 Milliarden Dollar. Jeder DDR-Bürger musste das 130-fache an Kriegsschulden im Vergleich zum Bundesbürger-West stemmen. Bis zum Aufstandsjahr 1953 wurden sechzig Prozent der laufenden Ost-Produktion beschlagnahmt. Ein Ausverkauf, tödlich für Aufschwung und Arbeitsmoral.

 

Auge um Auge, Zahn um Zahn an der Frontlinie des Kalten Krieges. Berlin, Anfang der sechziger Jahre.

 

Hinzu kamen bürokratische, systemimmanente Aufbau-Fehler. In Folge von Bodenreform und Enteignung sank die Nahrungs-, Obst- und Gemüseproduktion dramatisch. Lebensmittel blieben in der DDR bis 1958 rationiert, im Westen bis 1950. Die anfangs rigide durchgeführte Entnazifizierung führte zum Fachkräftemangel. Ärzte, Ingenieure und Fachleute verließen das Land gen Westen. Allein im ersten Halbjahr 1953 meldeten sich 330.000 Menschen ab, darunter 37.000 Bauern. Nachdem 1951 der erste Fünfjahresplan in Kraft trat, bescherten Missernten durch Kartoffelkäferplagen einen Verlust von zwanzig Prozent. Da musste die Mär vom „Amikäfer“ her, denn die Plagegeister führten zu leeren Regalen. Dabei hatte der gelernte Tischler und SED-Aufbauleiter Walter Ulbricht versprochen, sein „fortschrittliches Deutschland“ werde das „imperialistische Deutschland“ in Sachen Lebensstandard rasch überholen. Einzig und allein im Aufrüstungsetat produzierte der neue Staat Rekorde. Die Streitkräfte wurden von 55.000 Mann Anfang 1952 innerhalb eines Jahres auf 113.000 Mann erhöht. Die DDR gab in ihren Jugendjahren 11% des Staatshaushalts für Militär und Sicherheit aus. Zum Vergleich: heute steckt das gemeinsame Deutschland etwa 2% in Armee und Rüstung.

 

Karl Marx an der „Touristen-Mauer“ in Berlin-Friedrichshain.

 

Am 17. Juni 1953 knallte es. Es kam in der neuen, sozialistischen Aufbau-Republik zum Aufruhr. Während im Westen allmählich das Wirtschaftswunder aufblühte, regierten im Osten Mangel und Missgunst, Wut, Frust und Enttäuschung. Eine zehnprozentige Normenerhöhung für die Arbeiterschaft brachte das Fass zum Überlaufen. 800, statt 700 Steine pro Stunde in der Stalinallee zu vermauern, waren genau 100 zu viel. Der Aufstand währte keine zwei Tage. Sowjetische Panzer rollten jeden Widerspruch nieder. Die DDR war gerettet. Aber zu welchem Preis? Was hinzu kommt: Der gesamtdeutsche Zeitgeist wollte „Keine Experimente“. So gewann Kanzler Adenauer seine Wahlen im Westen. Auch die Ost-Deutschen waren von Krieg und Hunger erschöpft. Sie wollten mit Politik und Parolen nichts mehr zu tun haben. Sie forderten volle Teller, ihre Ruhe und ein Leben ohne Not. Die DDR konnte ihre großen Versprechen nicht halten. Nicht in den entscheidenden Anfangsjahren, als alles möglich war: So blieb der Sozialismus, der Traum vom besseren Deutschland, eine Utopie, vor der Millionen Menschen einfach wegliefen.

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