Archive for : November, 2023

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Vom Wollen zum Können

Caspar David Friedrich ist heute ein Superstar. Zu Lebzeiten verkaufte er kaum Bilder. Seine Einnahmen reichten für Farbe und Pinsel und gerade mal für seine kleine Familie. Heute wird ein einfacher Skizzenblock für ein Mindestangebot in Höhe von einer Million Euro angeboten. Von solchen Summen hätte Kurt Sonn (1933-2020) nur träumen können. Sonn war ein äußerst kreativer und fleißiger Landschaftsmaler, aber kommerziell wenig erfolgreich – und er war mein Patenonkel. Über dreitausend Bilder, Zeichnungen und Skizzen hinterließ er. Für Märklin entwickelte er als Grafiker das Outfit, für die Reha-Einrichtung auf der Bodensee-Halbinsel Mettnau das Design, für den Süddeutschen Rundfunk Zeichentrickfiguren. Seine Brotjobs. Auf seinen heimatlichen Wanderungen ließ er sich von der Natur inspirieren. An der Costa Blanca, seinem Sehnsuchtsort, saugte er mediterrane Farbenpracht auf und bannte sie auf die Leinwand.

 

Kurt Sonn. Bild Nummer 0639

 

Sein Leben war Entdecken und Staunen, Malen und Komponieren. In seinem großen Atelier roch es herrlich nach Farbe. Sonn faszinierte der Morgenhimmel. Er beobachtete das Spiel der Wolken und begeisterte sich am Wechsel der Jahreszeiten. Seine in den Grundtönen rot, braun, mit gelben Sonnentupfern oder Flächen versehenen Landschaftsmotive folgen der expressionistischen Schule von Kandinsky und Gabriele Münter. Abstraktion der Natur auf Basis der Romantik mit starker Tendenz zum Kontrast. „Vom Wollen zum Können voranschreitend“, wie es im berühmten Manifest von 1916 heißt.

 

Kurt Sonn. Nummer 1501

 

Kurt Sonn fand seine Bestimmung in der Natur. Sein Gegenbild zur zerstörerischen Kraft der Menschheit in Zeiten von Gewinnstreben und Globalisierung. Er hasste den Krieg. Als kleiner Junge erlebte der 1933 geborene den (un)aufhaltsamen Aufstieg und totalen Ruin der Nazis. „Das waren Verbrecher. Sie zerstörten unsere Jugend“. Harmonische Farben und Formen waren seine Antwort auf Ausplünderung und Zerstörung des Planeten. Sein Atelier in der (weitgehend) heilen Unberührtheit der lieblichen schwäbischen Heimat beflügelte ihn wie seine geliebten mediterranen Motive. Sonn war kein heimattümelnder, weltfremder Maler. Er suchte Halt im Glauben, erlebte im Gespräch mit Gott Momente des Glücks aber auch tiefer Verzweiflung.

 

Kurt Sonn. Nummer 0458

 

Kurt Sonn war kein Performer, kein lautstarker Selbstdarsteller im selbstverliebten Kunstbetrieb. Er schaffte es nicht auf exklusive Vernissagen oder große Messen. Unverdrossen rang er um die richtige Komposition, die passende Mischung von Farben, Formen und Figuren. Stets suchte er den richtigen Ton. Ruhig und bescheiden, in seine Arbeit vertieft und äußerst konsequent. Ruhm und Anerkennung blieben ihm versagt. Fragen, ob er deshalb enttäuscht sei, lächelte er weg. „Ich habe doch meine Kunst.“

 

Kurt Sonn. 1933 – 2020.

 

„Schau dir die Natur an! Jeder Sonnenuntergang zaubert jeden Abend ein anderes Licht. Die Natur ist unsere beste Lehrmeisterin“. Der Künstler komponierte nicht nur Farben, er experimentierte auch mit Tönen und Worten. Am Klavier oder an der Schreibmaschine. Bis wenige Tage vor seinem Tod 2020 malte er nahezu jeden Tag ein neues Bild. Natur, Landschaften, Hügel, Dörfer, Kirchen. In den warmen, sonnigen Kurt-Sonn-Farben, die es zu entdecken gilt.

 

Kurt Sonn. Nummer 1380

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Nur für Verliebte

Das märkische Rheinsberg. Ein Spätsommer-Wochenende im Jahre 1911. Claire und Wolf fliehen vor dem Lärm ihres täglichen Lebens aus der großen Stadt Berlin. Sie turteln im fritzischen Provinzstädtchen, genießen das Glück ihrer frischen Liebe. Die Anfang Zwanzigjährigen streifen durch Schloss und Park, rudern hinaus, kuscheln auf der Wiese und staunen abends im Wirtshaus über Stummfilme. Ein junges Paar und drei Tage reinen Glücks. „Das Schloss leuchtete weiß, violett funkelten die Fensterscheiben in hellem Rahmen, von staubigen Lichtern rosig betupft, alles spiegelte sich im glatten Wasser.“ Ein Jahr später, 1912. Das Kaiserreich feiert den 200. Geburtstag des großen Friedrich, genannt der Alte Fritz. Als junger Friedrich verlebt dieser gleichfalls in Rheinsberg seine schönste Zeit. Da erscheint die Erzählung: Rheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte. „Dies alles umarmen können, nicht, weil es gut oder schön ist, sondern weil es da ist, weil sich die Wolkenbänke weiß und wattig lagern, weil wir leben! Kraft! Kraft der Jugend!“ Die fröhlich-frivole Kurzgeschichte macht den 22-jährigen Kurt Tucholsky auf einen Schlag berühmt.

 

„Rheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte“. 1912 Axel Juncker-Verlag Berlin. Tucholsky erzählt von einem Wochenendausflug mit seiner Freundin und späteren ersten Ehefrau Else Weil, genannt Claire Pimbusch. Als Tucholsky die Erstausgabe in der „Bücherbar“ in Berlin verkaufte, bekam jeder Käufer ein alkoholisches Getränk gratis.

 

Die reale Claire hieß Else Weil, eine Medizinstudentin. 1911 reist sie mit ihrem Kurt für ein Wochenende nach Rheinsberg. Im Mai 1920 heiraten sie. Die Ehe hält nicht lange, sie wird im März 1924 wieder geschieden. Tucholsky schmachtet: „Sei du die Welt für einen Mann, weil er nicht alle haben kann.“ Else Weil kontert: “Als ich über die Damen weg steigen musste, um in mein Bett zu kommen, ließ ich mich scheiden.“ Alle Anekdoten, Schnurren und viel mehr erfahren heutige Rheinsberg-Reisende im kleinen, feinen Tucholsky-Literaturmuseum. Seit über dreißig Jahren kann der streitlustige Publizist Kurt Tucholsky im Rheinsberger Schloss besucht werden. Die Ausstellung erzählt von Aufstieg, großen Erfolgen und Niederlagen, aber auch seinem frühen Tod im schwedischen Exil. Tucholsky nimmt sich 1935 verzweifelt das Leben. Seine Rheinsberger Geliebte Else Weil wird 1942 in Auschwitz umgebracht.

 

Muss er Rheinsberg verlassen? Kurt Tucholsky. (1890-1935)

 

Rheinsberg liefert in diesen Tagen schlechte Nachrichten. Das Museum ist in Gefahr. Weil das Städtchen sparen muss und lieber eine Schule sanieren will, soll die Tucholsky-Heimstätte möglicherweise geschlossen werden. Museumsleiter Peter Böthig, als Schriftsteller in der DDR von der Stasi verfolgt, geht Ende Februar 2024 in Ruhestand. Der Gemeinderat beschloss, seine Stelle zu streichen und Tucholsky der örtlichen Tourismusinformation unterzuordnen. Das eigenständige Tucholsky-Museum mit viereinhalb Zeitarbeits-Stellen und einem Gesamtbudget von etwa 350.000 Euro ist bedroht. Das Wendekind hat seit Anfang der Neunziger mit Ausstellungen, Filmen und Lesungen rund 1,2 Millionen Besucher angelockt. Das Blaubuch der Bundesregierung führt das Literaturmuseum als „kulturellen Gedächtnisort mit nationaler Bedeutung“. Die Begegnungsstätte darf nicht lieblos abgewickelt werden. Oder wie Tucholsky bemerken würde: „Seid barmherzig. Das Leben ist schon schwer genug!“

 

Rheinsberg ist zu jeder Jahreszeit einen Ausflug wert. Foto: haraldmk

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Gehirnjogging

Wenn nichts mehr geht, hilft Bewegung. Raus an die frische Luft. Gehen genügt. Es heißt doch Ge-Danke. Geh! Danke! Oder eben Gedanke. Wenn mein Gehirn zu joggen beginnt, rattern Worte los wie Wut, Entsetzen, Fassungslosigkeit, Krieg, Gewalt und Rückkehr ins Mittelalter. In Gottes Namen werden furchtbarste Verbrechen begangen. „Herr, unsere Erde ist nur ein kleines Gestirn im großen Weltall. An uns liegt es, daraus einen Planeten zu machen, dessen Geschöpfe nicht von Kriegen gepeinigt werden, nicht von Hunger und Furcht gequält, nicht zerrissen in sinnlose Trennung nach Rasse, Hautfarbe oder Weltanschauung.“

Diesen wunderbaren Gedanken in Form eines Gebets verfasste 1942 der US-amerikanische Dichter Stephen Vincent Benét. Da stand die Welt in Flammen. Der II. Weltkrieg war auf seinem Höhepunkt. Drei Jahre und viele Millionen Tote später wurde Benéts Botschaft zum Leitgedanken der neuen UNO, der Vereinten Nationen. Auferstanden aus den Trümmern des Zweiten Großen Krieges. Benét erlebte die UNO nicht mehr. Er starb 1943 im Alter von 45 Jahren.

 

Längst vergessen: Der Schriftsteller Vincent Benét (1898-1943). Er verfasste  1942 mitten im II. Weltkrieg einen bestechenden Leitgedanken für die 1945 aus den Trümmern auferstandene UNO.

 

Jede/r spürt es: Der Optimismus verbrennt – unsere westlich-liberale Demokratie scheint ein Auslaufmodell zu sein. Dabei sind die ideenhistorischen Wurzeln unserer europäischen Aufklärung  im historischen Idealismus Hegels ausbuchstabiert. Der Kerngedanke: Der Gang der Geschichte folge der Entfaltung der Vernunft und ermögliche somit eine stetige Entwicklung zum Besseren. „Vorwärts immer – rückwärts nimmer.“ Das westliche Modell erschien seit dem Ende des Kalten Krieges als Sieger der Geschichte und wurde zum Normalfall definiert. Parlamentarische Demokratie, Rechtsstaat, Marktwirtschaft und soziale Sicherung, Pluralismus und Individualismus.

 

St. Agnes. Die Heiligenskulptur überstand den Atombombenabwurf in Nagasaki am 9. August 1945 nahezu unversehrt. Die Rückseite der Statue ist verkohlt. St. Agnes ist im Gebäude der Vereinten Nationen in New York zu sehen.

 

Doch Hegel ist lange tot. China antwortete mit einer Kombination aus Kapitalismus, starkem Staat und konfuzianischer Tradition. In den USA agitiert mit America First eine starke populistische Trump-Bewegung. Im Osten Europas sind Putin-Autokraten an der Macht. Eine Reaktion auf die Enttäuschung hinsichtlich der Folgen der Übernahme des westlichen Modells. Der Westen ist ein Licht, das erlosch, sagen viele.  Besser Putin und Orban statt Kant und Hegel. Mit der Covid-19-Krise verstärkten sich Tendenzen einer Entglobalisierung. Die Folge:  Die Welt hat sich in ein nervöses, krisenanfälliges, multipolares Tollhaus verwandelt. Der Globale Süden wirft im Verbund mit autoritären Staaten dem Westen Doppelmoral, Dekadenz und Entwurzelung vor.

„Öffentlichkeit ist die Bedingung für Gerechtigkeit“, sagte einst Immanuel Kant. Auch in aufgeheizten Zeiten bleibe ich diesem Kerngedanken des Philosophen aus Königsberg treu, wollen wir nicht in ein Mittelalter der Kreuzzüge zurückfallen. Konkret bedeutet das: Befreit Palästina! Von den Terrorkommandos der Hamas und Hisbollah. Befreit Israel! Von Netanjahu und seinen orthodoxen Siedlern. Denn es liegt an uns, unsere Welt nicht zu zerstören, sondern aus der Erde „einen Planeten zu machen, dessen Geschöpfe nicht von Kriegen gepeinigt werden, nicht von Hunger und Furcht gequält, nicht zerrissen in sinnlose Trennung nach Rasse, Hautfarbe oder Weltanschauung.“ Das galt 1945 und ist heute gültiger denn je.

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Trost

Wer schaut nicht manchmal verträumt in den Sternenhimmel? Wer sucht dort nicht nach Erleuchtung, Sinn und Hoffnung? Alles Hokuspokus, kontern Realisten. Aber wenn wir nicht mehr nach einem Sinn suchen, dann ist unsere Hoffnung auf ein friedliches Zusammenleben endgültig begraben. Es gibt Bilder, die strahlen. Bilder, die verzaubern und unsere Sehnsucht wecken. Caspar David Friedrich ist darin ein Meister. Er hat das gewisse Etwas, dieser urdeutsche Romantiker. Samuel Beckett nannte seine Werke die „einzig erträgliche Form der Romantik“. Walt Disney verkitschte seine Zeichentrick-Bambis im Caspar David Friedrich-Look. Nur Goethe konnte mit dem Maler aus Greifswald nichts anfangen. 1810 besuchte der Großdichter den Zeitgenossen Friedrich in seinem Dresdner Atelier. Der Dichter notierte ratlos in seinem Notizbuch, die Bilder seien ein „offenes Meer“. Fortan schickte Goethe die ihm zugesandten Bilder postwendend nach Dresden zurück.

 

Caspar David Friedrich. Zwei Männer in Betrachtung des Mondes. 1819/20. Öl / Leinwand, 35 x 44,5 cm. Staatliche Kunstsammlung Dresden. Inspiration für Becketts „Warten auf Godot“.

 

CDF wurde am 5. September 1774 in Greifswald geboren. Er starb am 7. Mai 1840 verarmt und vergessen in Dresden. Früh verliert er seine Mutter, danach seine Schwestern, mit dreizehn Jahren seinen Bruder Christoffer, der beim Versuch ihn zu retten selbst ertrinkt. Ein Trauma. Der junge Casper soll Kerzenzieher oder Seifensieder werden wie sein Vater, doch ihn fasziniert das Malen. Mit zwanzig Jahren beginnt er Malerei in Kopenhagen zu studieren, im Alter von 24 zieht es ihn nach Dresden. Dort bleibt er, um zeitlebens von der Küste zu träumen. Der pommersche Dickschädel züchtet Kanarienvögel und seine Neurosen. Mit über vierzig Jahren küsst er zum ersten Mal eine Frau. Die auserwählte Caroline Bommer wird sogleich seine Frau. Caroline über ihren Ehealltag: „Wenn er Himmel malt, darf man ihn nicht stören, das ist für ihn wie Gottesdienst.“

 

Mönch am Meer. Das Bild ließ Goethe 1810 ratlos werden.

 

Seine kreativste Phase hat der sonderbare Kauz bis 1835. In Dresden malt er seine heute weltberühmten Landschaftsbilder. Der Pinsel führt ihn in seine verlorene Kindheit, weiter zur frömmelnden Suche nach Gott und am Ende des Tages immer wieder in seine alte Heimat an die Küste von Pommern und Rügen. Im Alter von 51 Jahren attackiert ihn ein Schlaganfall, von dem er sich nicht erholen wird. Nach seinem Tod 1840 interessiert sich ein halbes Jahrhundert lang kein Mensch für seine Arbeit. Der Romantiker sei zu altmodisch, heißt es in der Kunstszene, einfach aus der Zeit gefallen. Erst mitten im I. Weltkrieg wird Caspar David Friedrich allmählich wiederentdeckt. Heute ist der arme Schlucker aus dem 19. Jahrhundert ein Superstar. Sein 250. Geburtstag im September 2024 wird vorab in Winterthur/Schweiz mit der großen Ausstellung „Caspar David Friedrich und die Vorboten der Romantik“ (bis 19.11.23) gefeiert. Weiter folgen große Ausstellungen in Hamburg (ab 15. Dezember 2023) und im kommenden Frühjahr in der Alten Nationalgalerie Berlin. Später gastiert CDF in Dresden, Greifswald und Weimar. Im Frühjahr 2025 soll der Mann aus Greifswald das Metropolitan Museum in New York erobern.

 

Caspar David Friedrich: „Einsamer Baum (Dorflandschaft bei Morgenbeleuchtung)“. Inspiration für Rainer Maria Rilke.

 

Caspar David Friedrich ist für Florian Illies der „Maler der Stunde“. Der Autor beschreibt in seinem neuen Buch „Zauber der Stille“ CDF als Erfinder der Sehnsucht und bringt seine Bilder auf einen genialen Punkt. „Er atmet zeitlebens Natur ein, um sie als Kunst auszuatmen.“ Wie auch immer. Kunst entsteht im Auge des Betrachters. Caspar David Friedrich kann Trost spenden. Weil er mein inneres Auge anknipst. Weil er mir Hoffnung auf eine heile und bessere Welt schenkt.

 

Selbstbildnis.

 

Kreidefelsen auf Rügen. Gemalt nach seiner Hochzeitsreise 1818.