Gehirnjogging

Wenn nichts mehr geht, hilft Bewegung. Raus an die frische Luft. Gehen genügt. Es heißt doch Ge-Danke. Geh! Danke! Oder eben Gedanke. Wenn mein Gehirn zu joggen beginnt, rattern Worte los wie Wut, Entsetzen, Fassungslosigkeit, Krieg, Gewalt und Rückkehr ins Mittelalter. In Gottes Namen werden furchtbarste Verbrechen begangen. „Herr, unsere Erde ist nur ein kleines Gestirn im großen Weltall. An uns liegt es, daraus einen Planeten zu machen, dessen Geschöpfe nicht von Kriegen gepeinigt werden, nicht von Hunger und Furcht gequält, nicht zerrissen in sinnlose Trennung nach Rasse, Hautfarbe oder Weltanschauung.“

Diesen wunderbaren Gedanken in Form eines Gebets verfasste 1942 der US-amerikanische Dichter Stephen Vincent Benét. Da stand die Welt in Flammen. Der II. Weltkrieg war auf seinem Höhepunkt. Drei Jahre und viele Millionen Tote später wurde Benéts Botschaft zum Leitgedanken der neuen UNO, der Vereinten Nationen. Auferstanden aus den Trümmern des Zweiten Großen Krieges. Benét erlebte die UNO nicht mehr. Er starb 1943 im Alter von 45 Jahren.

 

Längst vergessen: Der Schriftsteller Vincent Benét (1898-1943). Er verfasste  1942 mitten im II. Weltkrieg einen bestechenden Leitgedanken für die 1945 aus den Trümmern auferstandene UNO.

 

Jede/r spürt es: Der Optimismus verbrennt – unsere westlich-liberale Demokratie scheint ein Auslaufmodell zu sein. Dabei sind die ideenhistorischen Wurzeln unserer europäischen Aufklärung  im historischen Idealismus Hegels ausbuchstabiert. Der Kerngedanke: Der Gang der Geschichte folge der Entfaltung der Vernunft und ermögliche somit eine stetige Entwicklung zum Besseren. „Vorwärts immer – rückwärts nimmer.“ Das westliche Modell erschien seit dem Ende des Kalten Krieges als Sieger der Geschichte und wurde zum Normalfall definiert. Parlamentarische Demokratie, Rechtsstaat, Marktwirtschaft und soziale Sicherung, Pluralismus und Individualismus.

 

St. Agnes. Die Heiligenskulptur überstand den Atombombenabwurf in Nagasaki am 9. August 1945 nahezu unversehrt. Die Rückseite der Statue ist verkohlt. St. Agnes ist im Gebäude der Vereinten Nationen in New York zu sehen.

 

Doch Hegel ist lange tot. China antwortete mit einer Kombination aus Kapitalismus, starkem Staat und konfuzianischer Tradition. In den USA agitiert mit America First eine starke populistische Trump-Bewegung. Im Osten Europas sind Putin-Autokraten an der Macht. Eine Reaktion auf die Enttäuschung hinsichtlich der Folgen der Übernahme des westlichen Modells. Der Westen ist ein Licht, das erlosch, sagen viele.  Besser Putin und Orban statt Kant und Hegel. Mit der Covid-19-Krise verstärkten sich Tendenzen einer Entglobalisierung. Die Folge:  Die Welt hat sich in ein nervöses, krisenanfälliges, multipolares Tollhaus verwandelt. Der Globale Süden wirft im Verbund mit autoritären Staaten dem Westen Doppelmoral, Dekadenz und Entwurzelung vor.

„Öffentlichkeit ist die Bedingung für Gerechtigkeit“, sagte einst Immanuel Kant. Auch in aufgeheizten Zeiten bleibe ich diesem Kerngedanken des Philosophen aus Königsberg treu, wollen wir nicht in ein Mittelalter der Kreuzzüge zurückfallen. Konkret bedeutet das: Befreit Palästina! Von den Terrorkommandos der Hamas und Hisbollah. Befreit Israel! Von Netanjahu und seinen orthodoxen Siedlern. Denn es liegt an uns, unsere Welt nicht zu zerstören, sondern aus der Erde „einen Planeten zu machen, dessen Geschöpfe nicht von Kriegen gepeinigt werden, nicht von Hunger und Furcht gequält, nicht zerrissen in sinnlose Trennung nach Rasse, Hautfarbe oder Weltanschauung.“ Das galt 1945 und ist heute gültiger denn je.

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