Willkommen 2024!
„Arm, aber sexy.“ Vor genau zwanzig Jahren platzierte der damalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit seine Botschaft. Kommt nach Berlin! Zu diesem Zeitpunkt war die Hauptstadt pleite. Wowereit und sein Finanzsenator Thilo Sarrazin verkauften ihr Silber. Kommunale Betriebe, Immobilien und zehntausende Wohnungen, um der Schuldenkrise des CDU-Vorgängersenats Herr zu werden. Fortan hieß es also: arm, aber sexy. Der flotte Spruch des beliebten Partykönigs Wowereit entwickelte für das Stadtmarketing die Wirkung eines Sechsers im Lotto. Sexy zu sein passte wie der Deckel auf den leeren Topf. Zunächst kamen junge Kreative aus aller Welt, von Sindelfingen bis Sidney, von Castrop-Rauxel bis Santiago de Chile. Zehntausende Abenteurer, Künstler und Glücksritter fanden Berlin vor allem deshalb sexy, weil arm. Niedrige Mieten und Lofts, billige Döner und coole Clubs, alles war erschwinglich. Berlin, the place to be!
Derart angelockt folgten Projektentwickler und Makler, Investoren und Hedge-Fonds von Shanghai bis Stockholm. Schaut auf diese Stadt! Sie empfängt euch mit offenen Armen. Alles billig. Mit gigantischen Renditechancen. Das internationale Kapital ließ sich nicht zweimal bitten. Wohnblocks und ganze Straßenzüge wechselten die Besitzer. „Verwirklichen Sie Ihre Träume“, hieß die neue Parole. In angesagten Szenevierteln am Kollwitzplatz oder in der Kreuzberger Bergmannstraße wurden Bevölkerungsteile ausgetauscht. Die neuen Bewohner waren jung, dynamisch und wohlhabend. Sie brachten Hafermilch, Lastenfahrrad, kurz ein „neues urbanes Bewusstsein“ an die Spree. Volvo-fahrende Neu-Berliner übernahmen mit behelmten Kindern auf Spielplätzen die Altbauquartiere. Die Söhne und Töchter der Erbengeneration aus Heilbronn oder Hildesheim eroberten Viertel, wo früher neben Langzeitstudis Verkäuferinnen, Busfahrer oder Klempner wohnten.
Genau zwanzig Jahre nach dem Arm, aber sexy-Spruch präsentiert sich ein neues, anderes Berlin. Heute heißt es: In der Mitte neureich, sonst schlecht gelaunt. Günstige Ateliers, kultige Kellerclubs oder bezahlbare Stuckwohnungen sind längst unbezahlbar geworden. Selbst im eher windschattigen Bezirk Wilmersdorf, kein Hotspot der Hipster, wird eine neue 5-Zimmer-Eigentumswohnung für 3.7 Millionen Euro angeboten. Irgendein ein zahlungskräftiger Investor wird sich wohl finden, der für das „lukrative Investment“ Leerstand in Kauf nimmt oder die Wohnung im besten Fall für „hochpreisige“ Mieten anbietet. Das Kapital triumphiert. Die Politik schaut zu. Die neue Gründerzeit der letzten Jahre spülte eine kleine Zahl von Gewinnern nach oben, die große Gemeinde der Arm-aber-Sexy-Alteingesessenen jedoch hinaus ins Umland. Eigenbedarf ist das neue Schreckenswort. Berlin hat sich verändert.
Und nun? Seit drei Jahren schmort das positive Votum eines Volksentscheids (57,6%) zur Enteignung der großen Wohnungskonzerne auf dem Abstellgleis. Nichts tut sich. Die Wunderformel „Bauen, bauen, bauen“ greift in Inflations- und Heizungsgesetz-Zeiten nicht. Im Gegenteil: Es werden nach wie vor nur wenige preiswerte Wohnungen gebaut. Auf einer Party kurz vor Silvester erzählte eine Frau von ihrem letzten Friseurbesuch. „Eine Stimmung wie 1989! Kurz vor dem Vulkanausbruch!“, legt sie los. Als ich als einziger mit westlichem Migrationshintergrund nachfrage, winkt sie nur ab: „Ach, weißte. Einfach alles läuft schief.“
Ich wünsche allen ein frohes, glückliches und gesundes 2024 mit einer sicheren Bleibe.