Bye, bye Boomer
Karen Heumann ist eine kluge, erfolgreiche Werbefrau. Sie hat alles erreicht. Die gebürtige Wetzlarerin ist eine von Millionen Baby-Boomern. Vor kurzem ist sie als Vorständin mit 58 Jahren vorzeitig in Ruhestand gegangen. Warum? Sie fühle sich zu alt. Außerdem sei es Zeit, Jüngeren Platz zu machen. Ihr Gefühlshaushalt? „Oh Gott. Jetzt muss ich ohne meine Droge auskommen. Und das ist nicht schön. (sie lacht) Ich hatte mir ein Feriengefühl vorgestellt, aber zunächst war es eher ein Verlustgefühl, eine Mischung aus Liebeskummer und Ratlosigkeit.“ In diesem Jahr gehen offiziell 1.175.870 Menschen des Jahrgangs 1958 in Rente. Einer von ihnen bin ich. Die Babyboomer werden durch 719.250 Menschen des Jahrgangs 2003 ersetzt. Die Zahlen beruhen auf Mittelwerten. Nicht wenige haben sich längst beruflich verabschiedet. Weil sie nicht mehr können oder wollen. Am Ende bleibt eine Lücke von 400.000 Erwerbsfähigen. Take Over, Generation Z, ihr werdet gebraucht!
Karen Heumann. 2019.
Danke Boomer, schrieb die ZEIT im letzten Sommer. Zur „besten Generation aller Zeiten“ zählen 21,75 Millionen Nachkriegskinder (geboren von 1946-1964). Es sind die Glücklichen, die ein Leben lang kein Hunger, keine Not und keinen Krieg erlebten, sondern stetig Mehr von allem erfuhren: Besitz, Chancen, Fortschritt, Wohlstand. Sie waren Teil der 68er-Revolte, von Willy Brandt, Hippies, Punk und Disco. So gesehen haben die Boomer in ihrer Jugend die komplette kulturelle Grundausstattung der westlichen Moderne eingerichtet – von den Beatles über Alice Schwarzer bis zu Madonna. Ohne Boomer kein I-Phone, kein Techno, kein Internet.
Eine von den 22 Millionen Boomern ist Annette Humpe. Die einstige Frontfrau von Ideal ist mittlerweile 73 Jahre alt. Vor über vierzig Jahren performte sie „Deine blauen Augen“ mit übergroßer Kapitänsmütze. „Der ganze Hassel um die Knete/macht mich taub und stumm/Für den halben Luxus/Leg ich mich nicht krumm/Nur der Scheich ist wirklich reich/und deine blauen Augen machen mich so sentimental.“ Ein Hit auf dem Höhepunkt der Neuen Deutschen Welle. Die Boomer sind die vielleicht kreativste, kooperativste und friedlichste Generation, die in den vergangenen zweihundert Jahren gelebt hat. Kaum eine Generation hat so viel Gutes und so wenig Böses hervorgebracht. Bleibt es so?
„Zu reich, zu satt, zu wenig Einsatz für die Umwelt“, monieren Vertreter der Generation Z. Zu ihnen zählen 11,57 Millionen Menschen in Deutschland, die seit 1996 das Licht der Welt erblickt haben. Boomer kontern die Kritik der Jungen mit Sprüchen wie: „Von nichts kommt nichts. Früher haben die Leute härter gearbeitet. Gendern zerstört die deutsche Sprache. Der Klimawandel kommt schon nicht so schlimm.“ Statt Revolte zu machen, kümmern sich die ergrauten Boomer heute eher um das Verlegen von Stolpersteinen oder die Buchung der nächsten Hurtigruten-Reise. Und die Jungen? Schimpfen über die Ignoranz der Alten und erholen sich dank Mamas Reisezuschuss beim Ayurveda-Seminar in Spanien. Den Sound für alle liefert Annette Humpe: „Deine blauen Augen machen mich so sentimental, so blaue Augen. Wenn du mich so anschaust, wird mir alles andre egal, total egal.“