Lass Dir nicht alles gefallen

Die letzten Jahrzehnte lebte Werner Fischer in seinem selbstgewählten Exil. Ein Leben im Hölderlin-Turm, gut versteckt in einer Dachetage über dem Jüdischen Friedhof am Kollwitzplatz. Hölderlin verzweifelte in seiner Matratzengruft, ähnlich wie Nietzsche: „Warum schläft denn nur bei mir der Stachel in der Brust?“ Des Dichters Antwort: „Dunkel wird´s und einsam unter dem Himmel. Wie immer – im ich.“ Wer ist nun Werner Fischer? Nie gehört! Das sagen viele. Aber manche erinnern sich. Fischer gehört zu den wenigen Mutigen in Ost-Berlin, die in aussichtsloser Situation versuchten, Verhältnisse zu ändern, die scheinbar in Beton gegossen zu sein schienen. Er war kein Anpasser, Mitläufer oder Opportunist. Fischer arbeitete sich in der DDR an den Mächtigen ab, die mit Ausgrenzung, Verfolgung und Abschiebung reagierten. Sein Vergehen: er träumte den Traum von einer besseren DDR. Nach der Wende musste er keinen Widerstand nachholen. Aufarbeitung interessierte ihn nicht. Den Gratismut derjenigen, die immer auf der richtigen Seite sein wollen, verachtete er.

 

Werner Fischer. 1950-2023

 

Aus Werner Fischers unvollendeten Aufzeichnungen

Januar 1988. Untersuchungshaftanstalt Berlin-Hohenschönhausen. Vorwurf: „landesverräterische Agententätigkeit.“

„Ich hatte Angst vor dem Moment, indem die Zellentür hinter mir ins Schloss fallen würde. Wirklich gefangen zu sein, erzeugte schon in meiner Fantasie eine Panikattacke. Doch ich blieb ganz ruhig. Ich konzentrierte mich auf eine nüchterne und neugierige Sicht meiner neuen Situation, an der ich nichts ändern konnte, außer dass ich eine Methode finde, die mich stabilisiert. Ich redete mir ein: Du hast Observationen erlebt, Telefon- und Postüberwachung, etliche Stunden und Tage hast Du nach Festnahmen in Verhören verbracht. Jetzt konzentriere dich auf etwas, was du noch nicht kennst. Sieh dir genau alles an.  …

Ich war inzwischen in eine Zwei-Mann-Zelle verlegt worden. Paul, so stellte er sich jedenfalls vor, war von nun an mein Zellengenosse. Ein eifriger, devoter Typ von etwa dreißig Jahren, der angeblich wegen versuchter „Republikflucht“ hier einsaß. Seit meiner Zeit als Rohrleitungsmonteur auf Großbaustellen der DDR und besonders seit meiner Armeezeit hatte ich große Schwierigkeiten, mit mehreren Männern mein Zimmer und damit meine Intimsphäre zu teilen.  …

Er machte sich sogleich daran, das Klo- und Waschbecken zu reinigen. Die Notdurft würden wir verrichten, wenn der andere im Verhör sitzt. Es funktionierte gut. Gemeinsam hielten wir uns mit Gymnastik fit. … Wir teilten unsere Zigaretten und spielten „Mensch ärgere dich nicht“. Mühsam brachte ich ihm Schach bei. Als es anfing Spaß zu machen, musste ich ihn verlassen. Die Zelle, das Gefängnis und das Land. …

 

Berlin in den achtziger Jahren. Blick auf die Hauptstadt der DDR.

 

Jeden Tag wurde ich zu den Vernehmungen aus der Zelle in einem Seitenflügel der Untersuchungshaftanstalt geführt. Vormittags und nachmittags. Seitenlange Protokolle tippte Burckhardt (Anm. der Vernehmer) in seine Schreibmaschine. Jedes Mal weigerte ich mich, sie zu unterschreiben. Er nahm nur halbherzige Versuche, mich zum Unterschreiben zu veranlassen. Ich hatte auch in früheren Vernehmungen nie etwas unterschrieben. … Ich hatte nicht den Eindruck, dass Burckhardt, so richtig von seinem Auftrag überzeugt war. Er wirkte zu leidenschaftslos. Es konnte aber auch Taktik sein. Als ich ihm einmal sagte, dass es ziemlich unerheblich sei, was er mich frage und was ich antworte, letztlich werde die Entscheidung über den Ausgang dieser Sache an ganz anderer Stelle entschieden, hob er nur die Schultern. Im Übrigen sei das Ministerium für Staatssicherheit keine geeignete Institution, mit der man die anstehenden politischen Probleme in unserem Land klären könnte, es sei sogar ziemlich überflüssig und gehöre aufgelöst, diktierte ich ihm in die Maschine und auf Band. Das Tonband lief während aller Vernehmungen. Diesen Absatz im Protokoll habe ich unterschrieben.“

 

Werner Fischer mit Bärbel Bohley und Oskar

 

Werner Fischer. Am 29. März 1950 geboren. 1964 weigerte er sich der FDJ beizutreten und wurde nicht zum Abitur zugelassen. Lehre als Rohrleitungsmonteur. Von 1968 bis 1971 Wehrdienst bei den Grenztruppen. Ab 1972 Berliner Metropoltheater.  Ab diesem Zeitpunkt wird Fischer überwacht. Die Observationen der Staatssicherheit, darunter IM-Berichte der Mutter, wachsen bis zum Ende der DDR auf 67 Bände an.

1985 Mitbegründer der „Initiative Frieden und Menschenrechte“. 1986 Berufsverbot. Intensive Kontakte zur internationalen Friedensbewegung und zur Opposition in Osteuropa, insbesondere zur Charta 77. Verfasser und Unterzeichner zahlreicher Aufrufe. Januar 1988 Verhaftung Werner Fischers im Zusammenhang mit der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration wegen „landesverräterischer Agententätigkeit. Abschiebung zusammen mit Bärbel Bohley nach England.

Im August 1988 Rückkehr nach Ost-Berlin. Ab Oktober 1989 in der Berliner Gethsemane-Kirche Mitorganisator der unabhängigen Untersuchungskommission zu polizeilichen Übergriffen und Verhaftungen. 1990-1992 Beauftragter zur Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit. 1992-1994 Pressesprecher der Bundestagsgruppe Bündnis 90/Die Grünen. Bekennnender Fan der Rolling Stones. Ende November 2023 fand er seine Ruhe.

 

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