„Menschen glücklich machen“
„Scheiße, wir steigen auf“, hieß es 2019 auf einem Fan-Banner im Stadion an der Alten Försterei. Fünf Bundesligajahre später nach einem unfassbaren Fußball-Märchen bis ganz nach oben muss der Köpenicker Traditionsverein gerade aufpassen, nicht wieder abzusteigen. Aber bei Union zählt sowieso etwas anderes: Mit dabei sein, dazu gehören. Von der vierten Liga mit Auswärtsspielen gegen Torgelow oder Falkensee-Finkenkrug ging es über Bayern München bis in die Königsklasse gegen Real Madrid in der Champions-League. Die Allerwenigsten hätten Union, dem Underdog aus der Berliner Wuhlheide, diesen Aufstieg zugetraut. Was ist das Erfolgsrezept? Wer sind die Menschen hinter den Kulissen der Ost-Legende? Wer kümmert sich im Maschinenraum um die paar Dutzend Profis und die 64.466 Mitglieder, die den Traditionsverein aus der Wuhlheide zum größten Berliner Sportverein haben werden lassen?
Annekatrin Hendels Dokumentarfilm „UNION – die Besten aller Tage“ erzählt in gut zwei Kinostunden unaufgeregt eine Erfolgsgeschichte des Ostens. Von der vierten Liga bis in die Königsklasse. Zwei Jahre lang hat die Regisseurin den Club begleitet, von der Wäschefrau bis zum Präsidenten. Ein klassischer Fußballfilm ist es nicht geworden. Vielmehr eine Geschichte über die Balance zwischen Profigeschäft und Bodenhaftung. Über die vielen namenlosen Menschen hinter den Kulissen, die erzählen wie es der Arbeiter- und Traditionsverein immer wieder schafft, „Menschen glücklich zu machen, wenigstens eine Woche lang“, so Präsident Dirk Zingler. Bald wird klar: Das Geheimnis des Erfolges lautet: Teamleistung. Union-Urgestein Christian Arbeit, Stadionsprecher und Stimme des Vereins, verrät das Erfolgsrezept: Zusammenstehen und gemeinsam Dinge anpacken.
Ohne Übertreibung: Union ist eine der wenigen Antworten auf das Auseinanderdriften der Gesellschaft. Zudem ein Club mit legendärer Berliner Schnauze, wo gibt es das im Fußballkommerz noch? Der legendäre „12. Mann“ sind die Fans. Vom Werkzeugschlosser bis zur Ärztin, vom Müllfahrer bis zur Professorin. Sie stehen für Leidenschaft, Gesänge und Choreos. Die legendären Fans („Eisern! – Union!“) haben das Stadion selbst ausgebaut, das Weihnachtssingen aus der Taufe gehoben, für ihren Verein Blut gespendet, sich um Benachteiligte gekümmert. Vor dem Spiel ertönt Nina Hagens Hymne, in Halbzeitpausen werden Namen verstorbener Mitglieder verlesen. Selbst nach schlimmen Niederlagen singen die Fans in der Alten Försterei, als gebe es kein Morgen. Der Fußball-Gott muss seinen treuesten Anhang auf den 18.395 von den Mitgliedern selbst gebauten Stehplätzen haben. Nur viertausend Menschen können im kleinen Stadion bequem sitzen. Gerade hier kann Sport Brücken bauen. Union kann die Mauern zwischen gesellschaftlichen „Blasen“ überspringen. Noch. Und wenn es nur für ein Spiel ist, aber immerhin.
Annekatrin Hendel: „Ich wollte die Leute im Verein nicht erklären, sondern erleben. Da kann jeder neue Tag der schönste aller Tage sein. Oder auch der Schlimmste.“ Was ist ihr Eindruck vom typischen Innenleben der Unioner: „Woche für Woche Ergebnisdruck, Siege, Niederlagen, Spielglück, Verletzungen. Immer sind alle am Limit – wie fangen die Leute das ab? Die Antwort ist: Zusammenhalt.“
In der Männerdomäne Fußball ragen bei Union einige Frauen heraus. Zum Beispiel Susanne Kopplin, von allen nur Susi genannt. Sie ist offiziell Mannschaftsleiterin. Eine Allrounderin, die „gute Fee“, die einzige Frau im zwölfköpfigen Profi-Trainer- und Funktionsteam. Die mittlerweile 61-jährige ist die Mutter der Kompanie, das „berühmte Mädchen für alles“. Gelernt hat sie Elektromontiererin für Fernsehelektronik, nach der Wende sattelte sie auf Bau- und Möbeltischlerin um. Seit 2016 ist die Ur-Berlinerin Zeugwärtin und Teammanagerin bei Union. Sie liest den Profis jeden Wunsch von den Lippen, schleppt Kisten, platziert die passenden Trikots in der Kabine, dirigiert den Busfahrer, kümmert sich um verlorene Seelen, tröstet in den bitteren Minuten der Niederlage. Bis in den Schlaf verfolgt Susi die Sorge, es könne etwas schief gehen. Susanne Kopplin gehört wie Präsident Zingler oder Stadionsprecher Christian Arbeit zu den Säulen von Union. Alle drei können keine Tore schießen, das müssen die Profis schon selbst leisten. Aber was wären die Kicker ohne die stillen Helden im Hintergrund? „Ohne Susi keine Bundesliga!“