Archive for : April, 2016

Hurra! Ackern bis 101

Rente mit siebzig, fordert Wolfgang Schäuble. Lebensfremd, kontert Andrea Nahles. Schuften bis die letzten Zähne ausfallen? Wer will das schon? Auch die Babyboomer-Generation steht bald vor einer großen Zäsur. Es ist nun mal so: Jeder will alt werden. Aber keiner alt sein. Malochen bis weit über 65? In einem kleinen Betrieb in der Nähe von Boston gehören Rentnerjobs zum täglichen Brot. Vita Needle heißt die Vorzeige-Firma im Vorort Needham. Durchschnittsalter: 74 Jahre.

Das Überraschende. „Es macht mir großen Spaß hier zu arbeiten“, sagt Robert Omara (71). Auch seine vierzig Kolleginnen und Kollegen kommen gerne und freiwillig. Die Rentner sind zuverlässig, diszipliniert und belastbar. Sie arbeiten meist vier bis fünf Stunden, manche deutlich mehr. Der Umsatz hat sich in den letzten Jahren verdreifacht. Die Alten arbeiten in einer kleinen Werkhalle, in der früher ein Tanzsaal war. Sie produzieren Präzisionsnadeln aus rostfreiem Stahl. Zum Aufblasen von Basketballbällen oder für Gehirnoperationen. Die Älteste? Rosa Finnegan. Kellnerin im Ruhestand, verwitwet. Mit 85 stieg Rosa bei Vita Needle ein und blieb bis zum 101. Lebensjahr. Eine vielgefragte Heldin zahlreicher Reportagen und Fernsehnews.

 

 

Müssen in Boston Senioren ackern, damit Junge arbeitslos bleiben? Ist das nicht pure Ausbeutung von alten Menschen in Not, die sich ihren Ruhestand nicht leisten können? Eine Perversion des amerikanischen Traums? Die Vita-Needle-Truppe winkt ab. Einige müssen in der Tat ein paar Dollars hinzuverdienen. Aber die meisten machen mit, weil sie „nicht alleine dahinrosten“ wollen. Dazugehören, gebraucht und geschätzt zu werden. Das zählt. Arbeit als Gemeinschaftserlebnis, als Sinnstifter und Selbstverwirklichung. Tägliche Medizin gegen Frust und Einsamkeit.

Die Beschäftigten sind frühere Lehrer, Handelsvertreter oder Ingenieure. Sie teilen sich ihre Arbeitszeit selbst ein. „Geht nicht!“ ist hier ein Fremdwort. Der Schlüssel zum Erfolg: Die Produktion ist äußerst flexibel, alle können mehr oder weniger für jeden Kollegen einspringen. Das Gehalt liegt über dem Mindestlohn. Die Senioren empfinden ihre Arbeit nicht als Last, sondern haben Spaß und sind hoch motiviert. Auch wenn die 94-jährige Grace King immer wieder mal bei der Arbeit einschläft, worüber legendäre Geschichten kursieren. Entlassen worden ist bis heute kein einziger Vita-Mitarbeiter. Freundschaften sind entstanden. Jeden Freitagabend trifft sich die 82-jährige Ruth Kenny mit Kolleginnen zum gemeinsamen Kochen.

Vita Needle ist bislang der berühmte Einzelfall. Aber einer über den sich nachzudenken lohnt. Wie wollen wir künftig im Alter leben? Wie kann aus altem Eisen Edelstahl werden, wenn die Rentenkassen geplündert sind? Hirnforscher Gerald Hüther schreibt: „Das Hirn lernt auch im Alter noch, wenn wir uns für etwas begeistern.“ Arbeit als Jungbrunnen, als Therapie oder gar „Urlaub“ vom tristen Seniorenalltag, so der 74-jährige Ex-Architekt Jim Downey. Seine Kollegin Rose Finnegan, die flotte Kellnerin, musste sich erst mit 101 Jahren aus der Firma zurückziehen. Es ging einfach nicht mehr. Das machte sie wirklich traurig. Nur ein Jahr später starb sie – im Alter von 102 Jahren.

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In den nächsten Jahren gehen die Babyboomer in Rente. Über zehn Millionen Menschen. Schöne Aussichten. Ein Grund zum Entspannen?

 

Mehr über die „Rentner GmbH – Arbeit und Selbstwert im Alter“ in dem lesenswerten Buch von Caitrin Lynch: „Geht´s noch?“.

Ewig jung

„Die Welt ist eine Bühne/Männer und Weiber, alle, Schauspieler nur.“ So soll es sein. Shakespeare ist nun vierhundert Jahre tot. Doch seine Werke sind jünger, moderner und aufregender als die allermeisten, die sein Schaffen kopierten und interpretierten, liebten oder verfluchten. „Wie es euch gefällt“. Das ist seine klare Ansage. Zeitlos, universell, voller Treffsicherheit und mitten im menschlichen Leben. Es sind Geschichten, die so himmelstürmend wie abgrundtief vom ewigen Scheitern erzählen. Von Schicksalen kleiner Menschenkinder wie dich und mich.

Wer war er? Ein einsames Genie? Oder ein Teamplayer im Theaterkollektiv, im legendären „writers room“? Vielleicht doch der große Unbekannte unter falschem Namen? Auch an seinem 400. Todestag gibt William Shakespeare weiter Rätsel auf. Der Dichter aus Stratford-upon-Avon hält eine ganze Deutungs- und Literaturbranche am Laufen. Allein arte sendet in den nächsten Tagen vierzehn Filme, Theaterinszenierungen und Dokus. Eine neue CD-Box präsentiert „The sound of Shakespeare“. Zeitgenössische Musik aus der Shakespeare-Epoche um 1600.

„Wenn die Musik die Nahrung der Liebe ist, spielt weiter; gebt mir im Übermaß davon, damit das Verlangen am Überfluss erkranke und so sterbe.“  So Shakespeare in Was ihr wollt“.

 

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William Shakespeare. Um 1610.

 

Letzte Ruhe für einen alten Mann? Von wegen. Selbst die Inschrift auf seiner Grabplatte in Stratford-on-Avon in der englischen Grafschaft Warwickshire birgt ein ewiges Geheimnis, weist auf einen Fluch hin, dem er nicht entkommen konnte oder wollte: „Gepriesen sei der Mann, der diese Steine schont, und verflucht sei der, der meine Knochen bewegt.“

 

Zwei Minuten Zeit für Shakespeare? Neil MacGregor 2012 (heute Intendant Humboldt-Forum Berlin) über seine Faszination in Sachen William Shakespeare. (auf Englisch)

 

In diesem Sinne: As good luck would have. Wie es der Teufel will. That way madness lies. Getreu bis in die Umnachtung. Wild goose chase. Das Leben – eine sinnlose Jagd. Wer immer auch Shakespeare war, seine Werke bleiben genauso aktuell wie putzmunter. „Willy the Shake“, wie ihn die Sängerin Joni Mitchell einmal nannte, ist unter uns und höchst lebendig. „Der Rest ist Schweigen.“

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Wo geht´s zur Karriereleiter?

Eines Tages war sie einfach weg. Die Karriereleiter an der Investitionsbank Berlin. Ein Kunstwerk, fünfzehn Meter hoch, ein fulminantes Statement. Mehrere Aktenkofferträger hangeln sich nach oben, während sie kraftvoll nach unten treten. Sie haben nur ein Ziel: Ganz oben zu sein. Koste es, was es wolle. Da traute sich jemand etwas. Der Künstler, der frech, fröhlich und für alle sichtbar seine Sicht vom Kampf der Ellenbogen inszenierte. Die Bank als Auftraggeber, die großzügig Narrenfreiheit gewährte. Kunst am Bau. Nicht verspielt oder lammfromm, nein klar, provokativ und mit einem Schuss Selbstironie. Seit ein paar Jahren herrscht wieder Leere. Über Nacht war das Werk verschwunden.

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Karriereleiter (2007). Das Original wurde demontiert und ist an einem unbekannten Ort eingelagert.

 

„Die Leiter ist auf dem Schrottplatz gelandet“, sagt Peter Lenk in seinem Atelier in Bodman am Bodensee. „Kaum zu glauben. Die Skulptur wurde einfach demontiert, sollte verschrottet werden. Das war ein Akt von Kunstbarbarei.“ Bildhauer Lenk ist noch heute wütend. „Der Künstler wurde nicht gefragt. Dem neuen Chef der Bank hat die Auftragskunst seines Vorgängers nicht gefallen. Er fühlte sich auf den Schlips getreten. Also weg damit. Wie bei den Nazis.“ Lenk, der Rebell vom Bodensee, schäumt. „Die Karriereleiter konnte vor dem Verschrotten gerettet werden. Aber wo mein Werk heute ist, darf ich nicht öffentlich sagen. Es ist mir gerichtlich verboten worden.“

Das Ende einer Karriereleiter. Wie sinnfällig. So manche Karriere im echten Bankerleben ist wohl ähnlich abrupt beendet worden. Da gefällt einem neuen Chef die ganze Richtung nicht und schon landet der Treppensteiger auf dem Trümmerfeld der Illusionen. Bildhauer Lenk redet ohne Punkt und Komma. „Banker geht es nur noch um Profit und Provision. Faire Beratung zählt nicht. Alles Betrüger.“ Der große, hagere Endsechziger mit beeindruckendem Schnurrbart schimpft nun über korrupte Politiker, die vor Banken und Konzernen niederknien. Er redet genauso kompromisslos wie er seine Arbeiten präsentiert. Direkt, schnörkellos, ohne Angst vor Obrigkeit und Mächtigen. Der gebürtige Nürnberger nimmt kein Blatt vor den Mund.

 

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„Europa“ umlagert und ausgepresst. Radolfzell. (Detail, 2013)

 

In seiner Heimat am Bodensee sind seine Arbeiten allesamt vergnüglich-satirische Kommentare zur Lage der Welt. Längst sind seine überlebensgroßen Figuren nicht nur berühmt-berüchtigt sondern überaus beliebt. In Konstanz thront am Hafen „Imperia“, zehn Meter hoch und höchst verführerisch. In ihren Händen jongliert die Muse Fürst und Bischof, zu Zwergen geschrumpft. In Radolfzell wird die üppige Dame „Europa“ von Lobbyisten und Zockern ausgeplündert. Da hilft ihr auch der Walkürenhelm nichts. Lenk schreibt: „Europas Staaten werden gemolken von einer technokratischen Elite, die weder die Phantasie von Zeus noch die Sinnlichkeit einer Europa hat.“

Und selbst Großdichter Martin Walser blieb von Lenks kreativen Schaffen nicht unbeeindruckt. Auf der Promenade in Überlingen fand er sich als „Eiskunstläufer zu Pferde“ wieder. Walser verlangte nach Inaugenscheinnahme die sofortige Verhüllung dieses „unverzeihlichen“ Denkmals. Es blieb ein frommer Wunsch.

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Im Garten des Ateliers in Bodman (Bodensee) steht noch eine Variante der Karriereleiter.

Nur bei Berliner Bankern beißt sich Lenk weiter die Zähne aus. Seine „Karriereleiter“ ist auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Tja. Doch am Bodensee, im Garten seines Bodmaner Ateliers, kann die kleine Schwester der Berliner Leiter bewundert werden. Stolz und unzensiert ragt sie in den blauen Himmel hinauf, während Lenk sich vom Hofe macht. „Muss jetzt schaffe. Hab keine Zeit mehr zum Schwätze…“ Das war´s und weg ist er.

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„Genau hier sind sie richtig…“

Das Licht brannte immer. Morgens, mittags, abends und nachts. Mitten im Laden ein großer Schreibtisch, an dem in stets gleich vorgebeugter angestrengter Haltung ein Mann mittleren Alters saß. Er schien mit seinem Computer wie mit einer Nabelschnur fest verbunden. „Satz, Layout, Grafik“ steht in weißen Lettern an der Schaufensterfront. Nun ist der Laden leer geräumt. Niemand sitzt mehr da. Nicht mehr an Heiligabend oder an langen Sommernächten. Nicht morgens um sieben oder Sonntagmittags, wenn Familien ihren Spaziergang zelebrieren. Der Grafiker ist weg. Man hat ihn im Zinksarg aus seinem Laden getragen.

 

Der unscheinbare Grafikladen befand sich in der Mitte meiner kleinen Straße im Westen der großen Stadt. „Druckvorstufe, Elektronische Bildbearbeitung, Digitale Reinzeichnung“, heißt es an der Schaufensterscheibe noch. Aber was der Mann mit den schütteren Haaren tagein tagaus an seinem Arbeitsgerät entwarf, bearbeitete oder zeichnete, wusste niemand. „Genau hier sind sie richtig…“ verspricht beim Googeln ein winziger Hinweis im Netz. Auf einer kryptischen Website wird im Impressum ein Name genannt, an den sich keiner aus der Nachbarschaft erinnern kann.

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Ein letzter Gruß für den Grafiker.

Irgendjemand hat einen Strauß Frühlingstulpen vor den Eingang des Ladens gestellt, dazu ein paar Teelichter. Der Tod des Grafikers ist doch bemerkt worden. Aber auch diese kleine Aufmerksamkeit bleibt rätselhaft und anonym. Wen ich auch frage, alle schütteln den Kopf. „Ja, da brannte immer Licht. Aber ich kannte ihn nicht.“ Nur der tunesische Herrenschneider kann sich ein wenig erinnern. „Es war ein stiller, freundlicher Mann. Er war zweimal bei mir.“ Noch etwas, was ihm in Erinnerung geblieben sein könnte? „Nein“, ergänzt der Schneider ratlos, der in der Straße so ziemlich alles und jeden kennt.

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Fast zwei Jahrzehnte brannte hier Licht. Tag und Nacht. 365/24 mal. So wie Berlin gerne für sich wirbt. Die Stadt, die nie schläft.

Zwischen dem „Studio für Physiotherapie“ und dem Kinderladen „Eulennest“ war der kleine Grafikaden. Seit über fünfzehn Jahren brannte dort 365 mal 24 Stunden lang zuverlässig die Tischlampe. Kauerte der Grafiker an seinem Gerät, den Kopf leicht nach oben angespannt. Allseits sichtbar, öffentlich wie eine Schaufensterpuppe saß er da. Und doch unnahbar und unendlich weit entrückt. Eine Schattengestalt. Auch ich habe nie nachgefragt oder seinen Laden betreten, um zu fragen wie es dem vielleicht Ende Fünfzigjährigen so geht. Obwohl mich der Mann mit den grauen langen Haaren beschäftigt hat. Wer ist er? Was macht er eigentlich? Ist er in seinem Laden festgewachsen?

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Das Licht ist aus. Der Laden leer geräumt. Bald zieht neues Leben ein. Das einzig Beständige ist der Wechsel.

 

Mir geht ein Zitat von Immanuel Kant durch den Kopf. „Die Einsamkeit ist schrecklich, aber auf erhabene Art.“ Erhaben? Was war am Leben dieses Einzelgängers erhaben? Ich suche nach Antworten. Nun ist es zu spät. Eine Großstadt ist voller Geschichten, Lärm und Schicksale. Die Einsamkeit des Einzelnen geht im hektischen Getriebe leicht unter. Sie kann spielend verdrängt oder verschleiert werden. Der Laden unseres Grafikers war immer hell erleuchtet – doch sein Leben blieb völlig im Dunkeln.

„Mach dich hübsch!“

Das weibliche Ohr in einer Nahaufnahme. Der Betrachter ist irritiert. Was soll das denn? Die Antwort: Hinsehen, zuhören, nachdenken. Die Fotoserie Ohren entstand in den Straßen von New York. Aus Alltäglichem Außergewöhnliches entwickeln. Das ist die Kunst der Isa Genzken. Schau genauer hin! Das ist ihr Motto. „Mach dich hübsch“, heißt nun ihre erste umfassende Werkschau, die jetzt im Berliner Gropius-Bau zu sehen ist. Sei ein weiblicher Narr, fordert sie. Setze die Welt neu zusammen. Und das tut sie.

 

„Ich wollte schon immer den Mut haben, total verrückte, unmögliche und auch falsche Dinge zu tun“, sagte die gelernte Bildhauerin einmal. Geboren 1948 in Bad Oldeslohe zählt Isa Genzken heute zu den einflussreichsten Künstlern ihrer Generation. Sie war Meisterschülerin bei Gerhard Richter und zwölf Jahre mit dem Malerpapst liiert. Sie erkämpfte sich als Frau in der Männerdomäne Bildhauerei ihren Platz. Still und bescheiden im Auftreten, aber direkt, kompromisslos und provokativ in ihren Arbeiten.

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Nofretete. Isa Genzken. 2014.

Sei frech. Akzeptiere keine Grenzen. Das sind so Isa Genzken-Sätze: „Ich verknüpfe gerne Dinge, die vorher zusammenhanglos dastanden. Diese Verbindung ist wie ein Händedruck zwischen Menschen.“ So präsentiert sie die Nofretete mit Sonnenbrille, einen Weltempfänger aus Beton oder das Röntgenbild ihres Kopfes mit Weinglas. Die Künstlerin im ungewöhnlichen Selbst-Porträt, als „Mona Isa“. Die Künstlerin rüstete 2007 den Deutschen Pavillon auf der Biennale ein, um den monumentalen Nazi-Bau zu karikieren. Das war ihr Durchbruch beim breiten Publikum. Sie nahm mit ihren Material-Collagen mehrfach an der Documenta in Kassel teil. Sie hat ein Faible für Alltagsgegenstände und Architektur. Hochhäuser beeindrucken sie.

 

Sehen. Verstehen. Denken. Dazu fordert Isa Ganzken den Besucher heraus. Bei ihr lohnt es sich wirklich genauer hinzuschauen. Nichts ist Zufall. Der zweite Blick ist komplexer und hinterhältiger. Sie zeigt die Welt hinter dem schönen Schein. So wurde sie Vorbild für ganze Künstlergenerationen. Seit dreißig Jahren gilt sie als „ewig zu Entdeckende“. Aber: Sie hat mit ihren 67 Jahren noch viel Dampf. Das kann man ab jetzt in Berlin erspüren. Denn, so die persönlich sehr zurückhaltende und stille Isa Genzken: „Jeder hat ein Recht auf ein Fenster mit Aussicht.“

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Schauspieler. Isa Genzken. 2013

Die Wahl-Berlinerin ist eine Meisterin der Maßstäbe. Sie verknüpft Volumen und Verhältnisse von Objekten zueinander. Ihre künstlerischen Wechsel zwischen Genres und Materialien haben möglicherweise verhindert, dass sie keine eindeutige Marke werden konnte. Ein Glücksfall! Denn sie ist nicht berühmt, aber ihre Kunst berührt. „Die vielleicht beste lebende Künstlerin der Welt. Ihre Kunst ist knallhart. Wie Glitzerfolie“, lobt die FAZ hymnisch. Machen Sie sich Ihr eigenes Bild!

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Isa Genzken. 2015

 

Mach dich hübsch! Isa Genzkens Werkschau im Martin-Gropius-Bau in Berlin. Bis zum 26. Juni 2016.

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Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne

Es ist das beliebteste und bekannteste Gedicht von Hermann Hesse, dem deutschen Vorzeige-Dichter für die Sehnsucht nach anderen Lebensformen. Der Mann, der mit „Steppenwolf“ und „Siddhartha“ ganze Gymnasiastengenerationen geprägt hat, gelang mit dem „Stufen“-Gedicht ein großer Wurf. Trost und Erbauung für viele Menschen in persönlichen Krisenzeiten.

Doch ist der Zauber des Anfangs ganz anders gemeint? Es gibt Recherchen, die sagen, es sei kein Zufall, dass die Urfassung dieser Ermutigung in einer Zeit entstand, in der er sich von seiner Frau Mia trennte und einer jüngeren Geliebten zuwandte. Hesse als profaner Herzensbrecher? Alles hormoneller Zauber? Doch hier ungekürzt die „Stufen“. Ein Gedicht wie ein Gebet.

 

Stufen (1941)

„Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf‘ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden…
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!“

https://youtu.be/tShVfptMyW8

 

Wer mehr über die Beziehung von Hermann und Mia Hesse erfahren will, dem sei ein Besuch des Hermann-Hesse-Hauses in Gaienhofen am Bodensee empfohlen. Dort gibt es am authentischen Wohnort der beiden Hesses von 1907 bis 1912 eine spezielle Führung zu Hermann Hesses erster Ehefrau Mia Hesse.