Archive for : Oktober, 2017

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Schlaflos in Pjöngjang (4)

3. Juni 2004

 Premierenstimmung. Hektische Betriebsamkeit und eine Prise Aufgeregtheit. Der deutsche Lese-Saal soll heute im Kulturhaus Chollima offiziell eingeweiht werden. Das Protokoll ist streng. Die Funktionäre sind ein wenig nervös. Es ist heiß. Gegen die aufsteigende Hitze brummen zwei Aggregate an. Der neue Raum für Information, Kultur & Austausch hat sogar eine Klimaanlage, Made in Japan. An diesem Tag steht ein winziges Stück Weltpolitik auf dem Spielplan. Schauplatz: die ehemalige Rumpelkammer des nordkoreanischen Kulturinstituts.

Nach 50 Jahren Kalter Krieg ist diese Eröffnung eine kleine Sensation. Die Bücher von Martin Walser, Christa Wolf, Ralph Giordano, Elfriede Jelinek sind ab sofort ausleihbar. Werke von Autoren und Schriftsteller kommen zum ersten Mal in ein Land, in dem jedes einzelne Wort kontrolliert und zensiert ist. In den Regalen stehen dicke Biografien über Konrad Adenauer und Gerhard Schröder, bohrende Innenansichten deutscher Vergangenheiten von Jörg Friedrich und Hilke Lorenz. Präsentiert wird deutsches Wissen aus allen Zeiten, aus Mathematik, Physik, Chemie und anderen Wissenschaften. Selbstverständlich sind die Großmeister, die Klassiker der deutschen Dichtkunst Goethe und Schiller vertreten.

 

Antreten zur Einweihung des Goethe-Lesesaals in Pjöngjang.

 

Der stolze Vater des Pjöngjang-Projekts, der Deutsche Uwe Schmelter schwelgt und ist überglücklich: „Bei aller Unzulänglichkeit, das ist ein großartiger Schritt. Nun heißt es hier in Nordkorea, ich darf das mal betonen, wie bei Don Carlos: Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire! Das ist doch etwas. Wer hätte das gedacht? “ Der Kulturfunktionär hat die Hände gefaltet und lächelt zufrieden wie eine Buddha-Statue.

Wir suchen Don Carlos. Wir fahnden nach der Gedankenfreiheit im kommunistischen Orwell-Staat klassischer Prägung. Wir entdecken Maria Stuart und Wilhelm Tell. Schillers Don Carlos finden wir nicht. Schade. Das mit der Gedankenfreiheit kann Herr Schmelter sicherlich noch ändern. Im Goethe-Lesesaal ist jetzt mächtig Gedränge. Das offizielle Programm ist absolviert. Die Premiere hat stattgefunden. Das Publikum bestaunt die Inszenierung auf 140 Quadratmetern Deutschland. Die jungen Damen in ihren traditionellen koreanischen Gewändern lächeln stumm. Die Herren in Schwarz mit ihrem grienenden roten Kim Il Sung Button am Revers bleiben genauso stumm. Sie beobachten misstrauisch, wachsam und distanziert das Treiben.

 

Großer Andrang im Lesesaal nach der Eröffnung.

 

Die deutsche Delegation gibt sich siegessicher, stolz und selbstbewusst. Die Goethe-Delegation ist hier wer. Der nordkoreanische Kulturfunktionär, der genau so aussieht, wie man sich ihn vorstellt, spricht in seiner abgelesenen Rede mindestens ein Dutzend Mal von Deutslandu. Wenigstens einmal kommt auch Kim Il Sung vor. Das muss wohl sein. Ohne ihn geht es nicht.Der große geliebte Führer ist immer dabei.

Die mitgebrachten Bierflaschen klappern in der Plastiktüte. Wir hasten durch eine riesige leere Vorhalle. Kein Mensch ist zu sehen. Wir befinden uns im Fernseh-Gebäude, im Zentrum der Propaganda-Zentrale, sozusagen im Herzen des Schurkenstaates. Der Direktor des Hauses und eine gut aussehende Mitarbeiterin empfangen uns in einem viel zu großen Raum mit dekorativen Sesseln, Sofas und einer hochmodernen Schnitteinheit. Der Schneideraum scheint für uns extra präpariert worden zu sein. Wer sonst in der Welt verfügt schon über bequeme Sofas am Arbeitsplatz? Die Gastgeber sind freundlich, professionell, aber höflich reserviert.

 

Gelingt die Überspielung nach Mainz? Die erste TV-Direktleitung Nordkorea – Deutschland erlebt ihre Premiere.

 

Wir bereiten eine weitere Premiere vor. Wir stehen kurz vor der ersten Überspielung einer Fernsehnachricht von Nordkorea nach Frankfurt in der fernen Bundesrepublik Deutschland. Nach vielfältigen diplomatischen Aktivitäten, Gesprächen, Telefonaten und Kontakten läuft alles problemlos. Wir können unser selbstgedrehtes Material von unserer Kamera direkt einspeisen. Ein kleines Verbindungskabel, mehr ist nicht erforderlich.

Alles klappt. Goethe wird über einen Satelliten von Pjöngjang nach Frankfurt gejagt. 7.000 Kilometer in Echtzeit, eins zu eins ohne Komplikationen und Störungen. Die Nachricht kommt an. BBC, CNN und viele weitere Sender von Australien bis Island schließen sich an. Unsere Bilder laufen rund um die Welt. Es geht also, wenn man nur will. Das Land, das sich wie kein anderes abschottet , sendet neue, andere Lebenszeichen in die Welt. Nachrichten über Austausch, Kommunikation und Information.

Wir öffnen die mitgebrachten Bierflaschen, Marke Tiger. Das Bier kommt aus Singapur und stammt aus dem Intershop. Die Stimmung wird dank Tiger gelöster. Der Direktor schreibt einen Vertrag. Der Preis ist überraschend niedrig. 600 Euro. Das ist gerade einmal die Hälfte der verlangtem Summe vom Vorabend und nicht zu vergleichen mit den 15.000 $ , die zunächst als Forderung im Raum standen.

 

Ein Lächeln für die Hotelgäste aus Deutslandu…

 

Wer hat da hinter den Kulissen am Rad gedreht? Wir wissen es nicht. Wir lassen das Tiger-Bier kreisen. Ich zahle in Euro. Das ist die Leitwährung in Nordkorea. Die Funktionäre lieben unsere Währung mehr als den verhassten Dollar. Wir tauschen kleine Freundlichkeiten aus, stoßen ein letztes Mal auf die Völkerfreundschaft an und verlassen mit unseren drei Aufpassern das leere Gebäude. In der Empfangshalle verabschiedet uns Kim Il Sung, der von einem gigantischen Gemälde weise auf uns herab lächelt.

Es ist 22Uhr 30. Pjöngjang schläft bereits. Wir rumpeln in unserem japanischen Kleinbus durch die Straßen der Hauptstadt. Nur die Scheinwerferkegel werfen ein fahles Licht auf den Asphalt. Die Stadt ist stockdunkel und wirkt wie ausgestorben. Keine Menschenseele ist zu sehen. Kein Licht lenkt ab. Der Fahrer konzentriert sich auf den Weg.

 

Einzig und allein der Juche-Tower war noch hell erleuchtet. Wenig später wurde alle Straßenbeleuchtung abgeschaltet – Energieeinsparung, so die Begründung

 

Es ist dunkel in Nordkorea, selbst in der Hauptstadt. Das Regime muss sparen. Es herrscht totaler Energiemangel. Die Kraftwerke werden stundenlang abgeschaltet. Das Land hat keine Devisen für Rohstoffe. Das Militär verschlingt alles. Einzig und allein am Denkmal für den Großen Führer brennt Licht. Kim Il Sung strahlt einsam und allein in der Dunkelheit, wer sonst?

Um 23 Uhr verlischt auch bei ihm das Licht. Dann ist für wenige Minuten wieder diese geheimnisvolle Melodie zu vernehmen, die so melancholisch die Bürger dieses Landes in die Betten schickt.

 

Fortsetzung folgt.

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Schlaflos in Pjöngjang (3)

Die Welt taumelt am Rande einer Katastrophe schreibt der Spiegel. „Jeden Augenblick könnte der Atomkrieg ausbrechen“. Die Rede ist von Nordkorea. Viele Menschen fürchten, dass am anderen Ende der Welt plötzlich einer die Nerven verliert. Diktator Kim Jong-Un und US-Präsident Donald Trump belauern, provozieren und drohen sich bis ans Messer. Droht der große Knall? Sterben für Korea? Ich will lieber vom Leben erzählen.

Vor über zehn Jahren hatte ich die einmalige Gelegenheit, das geschlossene System der Kim-Dynastie eine Woche lang zu besuchen. Als Mitglied einer deutschen Delegation unter Leitung der damaligen Präsidentin des Goethe-Instituts Jutta Limbach. Eine kluge und unbeugsame Frau, die vor einem Jahr verstorben ist und in diesen Zeiten so sehr fehlt. Ich zitiere zum ersten Mal in Auszügen aus meinem Reisetagebuch. Übrigens: 2004 hieß der nordkoreanische Führer Kim Jong-Il. Der heutige Nordkorea-Diktator Kim Jong-Un ist dessen dritter Sohn. US-Präsident war damals George W. Bush.

 

Skyline von Pjöngjang.

 

2. Juni 2004

Schlaflos in Pjöngjang. Der Jetlag fordert seinen Tribut. Die Aufregung tut ein Übriges. Hotel Yanggkado. 40. Etage. Zu unseren Füßen ruht die Millionenstadt. Es herrscht Stille. Absolute Stille. Es ist dunkel. Absolute Dunkelheit. Das Fenster lässt sich öffnen. Der Blick hinaus ins Nichts macht neugierig. Die Luft ist milde. Irgendwo in der Ferne ist ein Zug zu hören. Die Stadt liegt tiefrabenschwarz vor unserem Hotel. Kein Licht, Kein Lärm, nichts. Pjöngjang ruht. Gespenstisch. Unwirklich.

 

5 Uhr morgens.

Ein metallenes Geräusch. Ein Ton, der sich stetig zu einer Melodie verdichtet. Es klingt wie ein elektronischer Weckruf. Was ist das? Woher kommen diese Geräusche? Die bizarre Melodie hallt über der Stadt. Ein Morgenruf? Die Aufforderung zur Meditation? Sollen die Genossen das Tagewerk beginnen? Oder ist alles nur eine Fata Morgana wie dieses ganze Land?

Ich bin unsicher. Ich lausche. Ich versuche die Töne zu sortieren. Es gelingt mir nicht. Die Pjöngjang-Melodie über den Dächern der Stadt klingt ein wenig traurig. Es dämmert. Ein neuer Tag bricht heran. Ich nicke ein.

 

In den Straßen von Pjöngjang.

 

7 Uhr morgens.

Zwei Sirenen erklingen kurz und scharf. Dann herrscht wieder Ruhe. Irgendwo schmettert ein Männerchor. Pjöngjang erwacht. Der Verkehrslärm ist bescheiden, der kräftiger Chor tiefer Männer-Stimmen schwingt durch die Straßen. Es klingt militärisch. Wer führt hier Regie? Was ist das für eine Inszenierung? Was ist echt, was ist Kulisse? Unwirkliche Wirklichkeit, fünfzehn Flugstunden entfernt.

 

Frühsport. Blick aus dem Hotelfenster in der 40. Etage in einen Innenhof.

 

14 Uhr nachmittags.

Auf der Toilette des Hotel-Restaurants spricht mich nach dem Mittagessen ein Einheimischer auf Englisch an. Ich bin überrascht. Denn bislang hatte ich nur mit Offiziellen Kontakt. Sein Englisch ist fließend. Der Anzug ordentlich. Vielleicht ist er ein Chinese oder Südkoreaner auf Dienstreise. In der Unterscheidung asiatischer Nationalitäten ungeübt, muss ich die Frage nach der Herkunft unbeantwortet lassen.

Dialog auf dem Pissoir.

„Woher kommst Du?“ – „Aus Berlin.“ – „Was machst Du hier? Bist Du Tourist?“- Ich verneine. – „Was machst Du dann hier ? Business?“ – Ich widerspreche nicht. Ich will mich nicht als westlicher Journalist offenbaren und lieber in Ruhe meine notwendigen Geschäfte zu Ende bringen. Er lacht laut und heftig los. – „Was willst Du hier für Business machen? Hier gibt es doch nichts…“ – Vor lauter Lachen pinkelt er sich fast seine Hose voll.

 

Einer, der sich um Sicherheit kümmert.

 

Abends. 20 Uhr.

Die Lobby des Hotels. Die kleinen agilen Herren mit den schwarzen Anzügen und den roten Parteiabzeichen haben uns gleich bei Ankunft die Reisepässe abgenommen. Die Männer von der Sicherheit vermissen einen Pass. Das macht sie nervös. Sie signalisieren, dass sie solange suchen werden, bis sie das Dokument finden.

Als dann die Frage aufkommt, was mit dem angebrochenen Abend anzufangen sei, schlägt jemand aus der Reisegruppe einen Nachtbummel vor. Wenig hilfreich dieser Vorschlag, meint diplomatisch der Vertreter des Goethe-Instituts Uwe Schmelter, der normalerweise in Seoul lebt. Er hebt vielsagend die Augenbrauen. Dann beginnt er uns aufzuklären.

Ohne Pass könne jeder Ausländer in Pjöngjang sofort auf der Straße festgenommen werden. Den Pass bekomme man erst kurz vor der Rückreise wieder ausgehändigt. Als Europäer falle man in Pjöngjang sowieso auf wie eine Ananasplantage in Alaska. Das sei ein leichtes Spiel für Polizisten und Sicherheitsleute. Noch Fragen? Keiner von uns plant einen Nachtbummel mit anschließendem Kurzbesuch im nordkoreanischen Kittchen. Das erscheint wenig reizvoll.

Wir bleiben im Hotel. Wo ist der fehlende Reisepass?, fragt der amtliche Betreuer. Er schaut uns deutlich strenger an. Von seiner anfänglichen Höflichkeit ist wenig geblieben.

 

Fortsetzung folgt.

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Schlaflos in Pjöngjang (2)

Die Welt taumelt am Rande einer Katastrophe schreibt der Spiegel. „Jeden Augenblick könnte der Atomkrieg ausbrechen“. Die Rede ist von Nordkorea. Viele Menschen fürchten, dass am anderen Ende der Welt plötzlich einer die Nerven verliert. Diktator Kim Jong-Un und US-Präsident Donald Trump belauern, provozieren und drohen sich bis ans Messer. Droht der große Knall? Sterben für Korea? Ich will lieber vom Leben erzählen.

Vor über zehn Jahren hatte ich die einmalige Gelegenheit, das geschlossene System der Kim-Dynastie eine Woche lang zu besuchen. Als Mitglied einer deutschen Delegation unter Leitung der damaligen Präsidentin des Goethe-Instituts Jutta Limbach. Eine kluge und unbeugsame Frau, die vor einem Jahr verstorben ist und in diesen Zeiten so sehr fehlt. Ich zitiere zum ersten Mal in Auszügen aus meinem Reisetagebuch. Übrigens: 2004 hieß der nordkoreanische Führer Kim Jong-Il. Der heutige Nordkorea-Diktator Kim Jong-Un ist dessen dritter Sohn. US-Präsident war damals George W. Bush.

 

Bronze-Denkmal Staatsgründer Kim Il Sung.

 

Teil 2

Dienstag, 1. Juni 2004

„Willkommen an Bord einer russischen Verkehrsmaschine, die wahrscheinlich so viele Jahre auf dem Buckel hat wie ich.

Interieur, Designs, Teppiche, Sitze, Bezüge, Beleuchtung, kurzum alles atmet den verblichenen Duft der sechziger Jahre. Aus den Lautsprechern dröhnen fröhlich-piepsende Heldenlieder. Es klingt wie ein munteres Vogelgezwitscher, unterbrochen von zeitweiligen Stößen eines Presslufthammers.

Die Iljuschin brummt, rollt auf die Startbahn und gewinnt ächzend an Fahrt. Die farbenfroh gewandten Stewardessen, hübsch anzusehen, bleiben stehen. Es gibt offenbar keine Sitzplätze für sie. Sicherheitsvorschriften? Anschnallen? Das gilt nicht für sie. Tapfer halten sich die jungen Damen fest, während sie ihr geheimnisvolles unnahbares koreanisches Lächeln aufsetzen.

 

Flug Peking – Pjöngjang.

 

Die Iljuschin vibriert inzwischen mit dem Temperament einer Höllenmaschine und erhebt sich. Meine deutsche Sitznachbarin warnt mich vor dem Backofen, der uns gleich bevorsteht. Die Klimaanlage, sagt sie, wird in der Regel abgestellt, um Treibstoff zu sparen. Sie irrt sich. Glücklicherweise. Offenbar ist genug Kerosin im Tank. Ich bin beruhigt. Wir kommen nicht ins Schwitzen.

 

Bordverpflegung.

 

Wir fliegen über karge, bergige, nahezu unbewohnte Landschaften. Die dauerlächelnden Stewardessen servieren ein Tablett mit bunten Schälchen. Es gibt Reis, Geflügel, Käse und Wurst. Zum reichhaltigen Angebot gehört neuseeländische Butter. In der Linienmaschine sitzen chinesische und nordkoreanische Funktionäre. Und wir sind dabei, eine fünfzehnköpfige Gruppe deutscher Handlungsreisenden der Goethe-Gesellschaft mit Jutta Limbach an der Spitze. Unterwegs, um ein neues Institut feierlich einzuweihen.

 

Flughafen Pjöngjang International.

 

Achttausend Meter unter uns liegt Nordkorea. Die Delegation aus dem fernen Deutschland ist im Anflug. Pjöngjang, wir kommen!“

 

Fortsetzung folgt.

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Schlaflos in Pjöngjang

Die Welt taumelt am Rande einer Katastrophe schreibt der Spiegel. „Jeden Augenblick könnte der Atomkrieg ausbrechen“. Die Rede ist von Nordkorea. Viele Menschen fürchten, dass am anderen Ende der Welt plötzlich einer die Nerven verliert. Diktator Kim Jong-Un und US-Präsident Donald Trump belauern, provozieren und drohen sich bis ans Messer. Droht der große Knall? Sterben für Korea? Ich will lieber vom Leben erzählen.

Vor über zehn Jahren hatte ich die einmalige Gelegenheit, das geschlossene System der Kim-Dynastie eine Woche lang zu besuchen. Als Mitglied einer deutschen Delegation unter Leitung der damaligen Präsidentin des Goethe-Instituts Jutta Limbach. Eine kluge und unbeugsame Frau, die vor einem Jahr verstorben ist und in diesen Zeiten so sehr fehlt. Ich zitiere zum ersten Mal in Auszügen aus meinem Reisetagebuch. Übrigens: 2004 hieß der nordkoreanische Führer Kim Jong-Il. Der heutige Nordkorea-Diktator Kim Jong-Un ist dessen dritter Sohn. US-Präsident war damals George W. Bush.

 

Pjöngjang Kim Il Sung-Platz.

 

„Dienstag, 1. Juni 2004

Warm Welcome radebrecht der Portier an der Rezeption auf Englisch. Wir sind an einem heißen Frühsommertag am anderen Ende der Welt angekommen nach fünfzehn Stunden Flug … um sogleich aus der Zeit zu fallen

Das schlichte Zimmer 4020 befindet sich im Yanggakdo-Hotel. Diese prächtig glitzernde Devisen-Burg steht auf einer Insel, die einen breiten Fluss teilt, dessen Name ich mir nicht merken konnte.

Ich bin in Pjöngjang. Es ist die Hauptstadt der Koreanisch Demokratischen Volksrepublik. Besser bekannt als Nordkorea.

Ich sortiere meine mitteleuropäische Vorstellungswelt und stelle fest: ab jetzt bin ich Teil einer kuriosen Inszenierung, die anziehend und verstörend zugleich ist. Nordkorea. Der Schurkenstaat. Das kommunistische Disneyland. Das riesige Straflager.

Alles ist echt und wirkt doch inszeniert.

 

Parade in Pjöngjang.

 

Die Zeitreise beginnt in Peking.

Der Transitbereich im Flughafen Peking. Hektisch, laut, rücksichtslos. Alles ist komplett westlich geprägt. Reklameschilder, Luxusartikel, die Ikonen der Gucci und Christian Dior Welt leuchten. Luxusartikel werden an jeder Ecke angepriesen. Die Chinesen eilen, schubsen, drängeln. Sie wollen am neuen Kuchen teilhaben. Schnell, schnell, schnell. Nicht stehen bleiben. Hurry up, don´t wait, ruft der Gepäckträger. Wer dabei sein will, muss sich sputen. China ist im Konsumrausch. Der Raubtierkapitalismus wird hier zelebriert. Selbst der Klo-Mann schnorrt für eine Papierserviette einen Euro. Eine kleine Flasche Wasser kostet 3 Euro.

Endlich ist der Schalter G 16 erreicht. Air Koryo steht handgeschrieben über dem Schalter. Letzte Fragen, die Bordkarte. Der Gang zur Maschine in Richtung Pjöngjang. Und ab jetzt wird alles anders.“

 

Fortsetzung folgt.

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Alles nur Theater

An der blauen Donau. Die Chefin ist eine stattliche Frau. Mit strengem Dutt, einer stattlichen Tracht auf dem Leib und glühender Leidenschaft für ihr Haus. Christine Geierhofer, irgendwo in den Siebzigern, ist Hausherrin am Stadttheater Grein an der Donau. Grein? – Nie gehört! – Ein Fehler. Denn dieser kleine Ort in Österreich erzählt eine große Geschichte: Von der Bühne des Lebens. Seit 1791, seit Napoleons Zeiten, spielen sie im winzigen Donaustädtchen ums Leben gern Theater.

 

 

Stadtheater Grein. Seit 1791 Bühne für kleine und große Geschichten.

 

Christine Geierhofer erklärt, lächelt, schwärmt. Einmal die Woche führt sie Besucher aus aller Welt durch ihr Haus. Es wird zu einem echten Schlüsselloch-Blick hinter die Kulissen. Der Rundgang beginnt im Kerker. Die Zelle hat eine Besonderheit. Ein winziges Loch in der Wand ermöglichte den Deliquenten freien Zugang zur Kultur. Neben der Zelle führt eine Stiege zum Saal. Platz für 160 Besucher. Mit Sperrsitzen im Originalzustand. An der Wand ein Schlüsselbrett. Der Abonnent konnte mit dem passenden Schlüssel seinen Stammplatz aufschließen. Und nach Verlassen wieder sperren.

 

Sperrsitz. Nur mit Schlüssel zu entsperren.

 

„Sperrsitze gibt es im Original nur noch bei uns“ betont die Prinzipalin. „Das ist weltweit einmalig. Genau wie das stille Örtchen im Theatersaal.“ Tatsächlich befindet sich nach wie vor ein Locus Vivendi mit Vorhang im Greiner Rokoko-Theater. Wer musste, konnte bei Lachern, rasch den Vorhang lüften und verfolgen, was auf der Bühne gerade geschah. „Herrlich. Das passt doch“, freut sich Christine Geierhofer. Ihr Dutt wackelt im Rhythmus ihres Lachens.

 

Linkerhand. Das „stille Örtchen“ mit Blick auf die Bühne.

 

Das Repertoire? Gespielt wird alles, was ein Publikum findet. Leichte Kost, Operette, Volksstücke. „Sogar die Wiener kommen zu uns“. Aber auch Brechts „Dreigroschenoper“ oder Dürrenmatts „Biedermann und Brandstifter“ stehen auf dem Spielplan. Das Ensemble von der Greiner Dilettantengesellschaft – so heißen sie wirklich –ist mit Feuereifer dabei. Seit unzähligen Generationen. Für 16 Euro auf allen Plätzen. „Das reicht gerade so. Mit Theater wird man nicht reich“, ergänzt die unerschrockene Theaterintendantin. Das Publikum sei heutzutage leider launisch und verwöhnt. „Ach, das Internet!“

 

Für treue Abonnenten. Hier hängt der Schlüssel zum Sperrsitz und Theatergenuss.

 

Ab 4. November 2017 gibt es noch „Die Weberischen“. Eine musikalische Komödie über Mozarts Gattin. Anfang Dezember wird dann das traditionsreiche Haus, früher einmal ein Getreidespeicher, zugesperrt. Für drei Monate. „Wegen Denkmalschutz“. Im Winter wären Heizkosten und Brandgefahr einfach zu hoch. Im März heißt es im 226 Jahre alten Stadttheater wieder: Vorhang auf! Wir spielen – wie es euch gefällt.

 

Ein Stück weit Donauabwärts. Ein Monument für die Nibelungen. Helden sind wieder gefragt.