Archive for : August, 2018

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Haus am See

„Und der Mond scheint hell auf mein Haus am See. Orangenbaumblätter liegen auf dem Weg.“ Peter Fox von Seed besingt diesen Traum. Ein Haus am Ende der Welt, wo man gerne ist und gerne bleibt. Es gibt diesen Traumort wirklich – die Villa del Balbianello. Am Comer See in Italien. Hier residiert die Mutter aller Traumhäuser. Mit verspielter Villa, Park, See und hochaufragenden Bergen. Für zwanzig Euro zu entdecken. Mit Führung, Sehnsuchtsseufzern und der Erkenntnis, dass hier James Bond und Star Wars ihre standesgemäße Kulisse gefunden haben.

 

 

Hausherr war zuletzt Guido Monzino. Ein Mailänder Unternehmersohn. Vom Glück verfolgt. Er musste nichts tun – außer das Geld seines Vaters auszugeben. Papa Franco hatte mit einer Kaufhauskette ein Vermögen gemacht. Guido machte also das, was in der Welt der Reichen und Besitzenden getan wird. Er zog sich zurück, ging auf Entdeckungsreisen und sammelte, was ihm unterwegs an Wertvollem in die Finger kam. Die Villa Balbianello wurde sein Adlerhorst. 1974 konnte er das Anwesen kaufen. Er ließ es mit allen zeitgemäßen Annehmlichkeiten versehen. Ein Fahrstuhl musste her, zur Bequemlichkeit. Geheime unterirdische Fluchtwege, wegen der Roten Brigaden. Ein Bücherregal, getarnt als Bar, um Gäste zu unterhalten.

 

Ein Muss für Guido. Die hauseigene Bar. Getarnt als Bücherwand.

 

Guido Monzino, ein Name wie eine Italienische Oper, eroberte von seinem Horst am Comer See die weite Welt. Expeditionen führten ihn nach Afrika, Südamerika, zum Nordpol und auf den Mount Everest. Dort blieb er nur im Basislager aber seine Botschaften an das Gipfel-Team kamen „in grüner Tinte wie Schlachtbefehle“. Die klimatisierte Villa ist voll mit edlem britischen und französischen Mobiliar aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Unter dem Dach ein weiterer Höhepunkt: ein eigener Museums-Saal. Dort erzählen Fahnen, Fotos und allerlei Fundstücke von Guidos Abenteuern.

 

Guidos Schreibtisch im privilegierten Stil des Mailänder Unternehmers. Rechts der Hausherr im Porträt.

 

Auf seinem Schreibtisch steht ein gerahmtes Bild, das ihn als sonnenbebrillten Master of the Universe zeigt. In jedem Mafiafilm könnte er den Paten geben. Damit sein Blick ungestört auf das herrliche Alpenpanorama schweifen konnte, ließ er eine jahrhundertealte Stileiche vor dem Fenster zurechtstutzen – in Form eines Regenschirms. So schön Villa und Garten sich präsentieren, so verwöhnt und verzogen muss Guido wohl gewesen sein. In der offiziellen Broschüre heißt es diskret, Monzino habe sein Leben „als brillanter und hartnäckiger Organisator mit einem naturellen Hang für das Kommando verwirklicht“.

 

Blick vom „Arbeitszimmer“ über die jedes Jahr neu zurechtgeschnittene „Regenschirm-Eiche“ auf See und Alpen.

 

Es muss also ein klarer Ton in der Traumvilla am See geherrscht haben. Der arme, reiche Guido hatte weder Frau noch Kinder. Mama Mathilde weigerte sich, im speziellen „Apartment der Mutter“ auch nur eine Nacht zu verbringen. Als den ruhelosen Guido im Alter von sechzig Jahren das Herz versagte, nahm seine Geschichte einen unerwarteten Verlauf. Denn der notorische Einzelgänger hatte seine Villa 1988 an den Staat vermacht. Ein Glücksfall. Seit einigen Jahren kann nun jedermann und jedefrau Glanz und Gloria italienischer Lebenskunst genießen. Eine Einladung zum schwelgerischen Luxus verbunden mit dem Reichtum der Natur. Kein Zaun hindert den Besucher. Es reicht eine Eintrittskarte. Dann kann man sich für einige Minuten wie James Bond fühlen. Oder die Kussszene in Star Wars nachempfinden. Guido sei Dank.

Villa del Balbianello. Lenno. Comer See.

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Was aus Wunderkindern wird

Was treibt Musiker an, die mit Anfang dreißig alles erreicht haben? Internationale Preise, weltweite Auftritte, VIP-und Promistatus. Ein Turbo-Leben im Bonus-Meilen-Rhythmus. Der Geiger Iskandar Widjaj ist so ein Wunderkind. Wie Mozart begann er mit vier zu üben. Mit sieben hatte er sein erstes öffentliches Konzert in Italien- ein Vivaldi-Solo. Mit elf studierte er Geige an der Berliner Musikhochschule Hanns Eisler. Es folgte eine rasante Karriere. Jetzt ist er 32. Sein neues Album Mercy ist eine Reise ins Innere. Überrascht?

 

 

Iskandar Widjaja ist eine typische Berliner Pflanze. Geboren 1986 an der Spree. Der Vater hat arabisch-holländische Wurzeln. Die Mutter ist Pianistin, eine Indonesierin aus chinesischer Familie. Iskandar wuchs in dieser Multi-Kulti-Künstlerfamilie auf. Die Violine wurde sein Spielgerät. Er übte und übte. Ehrgeizig, fleißig, talentiert. Den Begriff „Wunderkind“ mag er nicht. Er habe sich seinen Weg hart erarbeitet, mit Ausdauer und Disziplin.

 

 

Seine Plattenfirma wird nicht müde die Werbetrommel zu rühren, Iskandar sei „kein Mann der Nische, sondern Allround-Künstler. Schriller Grenzgänger, Trendsetter und Medienstar“. In Asien genießt er Popstar-Status. Dort surft er mit seiner Stradivari auf der Erfolgswelle zwischen Entertainment und Ernsthaftigkeit. Zwischen Auftritten auf der Fashion Week, Miss World-Wettbewerben und Bachs Violin-Konzerten.

 

 

„Erbarme dich, mein Gott“. Die Interpretation aus Bachs Matthäus-Passion ist Teil seiner neuen CD. „Musik ist wie eine seelische Reinigung“, sagte Iskandar in einer Talkshow. Johann Sebastian Bach sei für ihn eine Art Religion. Überhaupt: das erwachsen gewordene Wunderkind hat sich auf eine stille, meditative Reise begeben. Musik zur Entschleunigung. Es begleitet ihn Urna Chahar-Tugchi, eine mongolische Sängerin, die aus einer Hirtenfamilie stammt. Oder er improvisiert mit dem Berliner Freund und Pianisten Friedrich Wengler zu „River flows in you“ des südkoreanischen Komponisten Yiruma. Iskandars Wunsch: Fantasie an die Macht.

 

Es wird oft gesagt, dass die Globalisierung unserer Tage alles ermöglicht nur kein Seelenheil. Keine Zufriedenheit, keine Gerechtigkeit. Stattdessen nur Hektik, Heimatlosigkeit und Entwurzelung. Iskandar Widjaja ist für gute sechzig Minuten eine passende Antwort gelungen. Weltmusik vom Feinsten, mit Geige und Seele. Meditativ, melancholisch, musikalisch hoch spannend und abwechslungsreich. Sein neues Album berührt.

 

Ab 7. September 2018 ist „Mercy“ in den Plattenläden. Iskandar Widjaja startet zeitgleich seine Welttournee mit einem Berliner Auftritt.

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Rad-Los

Eine Liebesbeziehung zu meinem Fahrrad hatte ich nie. Eher eine Vernunftehe. 7-Gang-Schaltung. Rücktrittbremse. Altherren-Modell. Zweckmäßig, unauffällig, ohne Schnickschnack. Allerdings fiel mir jede Trennung schwer. Nachdem das vierte Rad in drei Jahren geklaut wurde, flog ich aus der Versicherung. Mein Blutdruck schoss nach oben – ins Bedenkliche. Man könnte sagen, ich wurde kurzzeitig zum Wutbürger. Doch dann geschah ein Wunder.

 

Tatort Berlin. Links stand mein letztes neues Rad. Dann war es weg – das vierte Mal. Seitdem dient ein fast dreißigjähriger Drahtesel als Gefährt. Er fällt bald auseinander. Aber er wird nicht geklaut.

 

Anfang April dieses Jahres meldete sich ein freundlicher Polizist. „Ihr Fahrrad ist aufgefunden worden.“ – Ich war sprachlos. Meine erste Frage: „Welches?“ – „Marke Pegasus.“ – Wir stellten schnell fest, es war der letzte Diebstahl. Das gute Stück war am anderen Ende der Stadt an einem S-Bahnhof entdeckt worden. Fahrgestellnummer. Kaufvertrag. Radpass. Ich konnte alles liefern. Perfekt. Der Polizist brummte freundlich. „Na, prima. Es ist ramponiert, aber noch einigermaßen fahrtüchtig.“ Ich platzte fast vor Freude. „Wann kann ich es abholen?“

 

 

„So einfach geht das nicht“, meinte der Amtsträger. Er müsse den Fall mit meiner Versicherung klären. Einen Monat später, im Mai, erfuhr ich nach vielen Kontakt-Versuchen, die Versicherung erhebe keine Ansprüche mehr. „Und? Bekomme ich jetzt das Rad?“ – „So schnell schießen die Preußen nicht“, stoppte er mich. Das Rad sei jetzt ein Fall für den Staatsanwalt. Da die Versicherung den Kaufpreis erstattet habe, sei ich nicht mehr der Eigentümer. Nun müsse das weitere Vorgehen geklärt werden. Drei Möglichkeiten gebe es: Rückgabe. Vergabe an eine soziale Einrichtung. Oder Versteigerung zugunsten der Staatskasse.

 

 

Der Juni kam und ging. Ich hörte nichts mehr. Der Juli zog ins Land und war schon wieder fast vorüber als ich den freundlichen Polizisten eines Tages am Telefon erreichen konnte. „Nichts passiert. Seit drei Monaten. Ungewöhnlich. Mmmh!“ antwortet er. – Ob der Berliner Flughafen schneller fertig werde, als die Rad-Entscheidung des Staatsanwaltes, entgegne ich ratlos. Er lacht. So sei eben der Dienstweg. Da könne man nichts machen. Dann verspricht er in der Sache weiter zu ermitteln.

 

 

Eine halbe Stunde später. Ein amtlicher Anruf. Und eine überraschende Wende. „Eine Entscheidung ist getroffen!“ Der Polizist aus Hohenschönhausen hebt die Stimme: „Der Staatsanwalt hat verfügt, das Rad einer gemeinnützigen Einrichtung zuzuführen. Für 18 Euro.“ Eine Behindertenwerkstatt habe mein ehemaliges Gefährt sogleich wieder instandgesetzt. „Na, wenigstens für einen guten Zweck“, bemerke ich erleichtert-resigniert. Der Polizist fällt mir ins Wort. „Na, ja. Nach einer Woche war es weg. Das Rad ist sofort wieder geklaut worden.“

 

 

Kurze Pause in der Leitung. Dann beginnen wir beide ausgiebig und lange zu lachen. So ist es in Berlin. Nun bin ich wieder radlos. Die Ermittlungen im Fall Pegasus aber gehen weiter.