Category : aktuelles

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Blaupause meines Lebens

Ein Dorffest in Brandenburg an einem heißen Junitag. Stände sind aufgebaut. Brot wird gebacken, Trödel, Räucherfisch und Honig angeboten, natürlich lädt die Standard-Hüpfburg die Kleinen zum Turnen ein, während sich die wenigen Jugendlichen langweilen. Hinter der Kirche ist eine Bühne aufgebaut. Es gibt Bio-Bratwurst, Rhabarber-Schorle und Bier. Dann betritt eine kleine Frau im besten Babyboomer-Alter die Bühne. Sie hängt sich die Gitarre um, checkt ein letztes Mal den Sound. Hat sie Lampenfieber, ganz allein in der Nachmittagshitze auf dem Dorfanger? Sie legt los. Die glasklare Stimme weht wie ein Sturm über den Platz und mitten durchs volle Bierzelt. Die Frau mit der Gitarre kann singen. Und wie!     Der

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Ein Stückchen Ewigkeit

Haben Sie am Freitag, dem 4. September 2640 etwas vor? Nein! – Dann auf nach Halberstadt in Sachsen-Anhalt. An diesem Wochenende – so der Konzerttipp – wird der Schlussakkord des Stücks „Organ2/ASLSP“ von John Cage in der St.-Buchardi-Kirche zu hören sein. Es ist der D-Moll-Akkord des längsten Musikstücks der Welt. Seit einigen Wochen läuft nun „der früheste Vorverkaufsbeginn der Konzertgeschichte“ an: Der feierliche Abend findet in genau 615 Jahren statt.     Was ziehe ich zum Finale an? Wen nehme ich mit? Wie komme ich in das Städtchen im Vorharz? Zugegeben: Wenn wir unseren Planeten nicht zwischenzeitlich selbst ruiniert haben, kommt eher die 21. bis 25. Nachfolge-Generation infrage. Doch wer

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Dünen, Diva und Dichter

Eines Sommers entflieht ein schmächtiger Intellektueller mit großer Nase dem Berliner Trubel. Der Mann ist Dichter, Komödiant und Alleinunterhalter aus dem sächsischen Wurzen. Leichtmatrose, Musikant, Entertainer. Einer, der das Reimen liebt. Seine deutlich jüngere Frau Leonharda nennt er liebevoll Muschelkalk. Der Vortragskünstler aus der Kleinkunstbühne „Schall und Rauch“, Markenzeichen: Seemann „Kuttel Daddeldu“ begeistert sein Publikum. In den letzten Jahren hat er über zwanzig Bücher veröffentlicht. Sein Name: Joachim Ringelnatz. Der Mann braucht eine Auszeit. Sein Ziel: die Insel Hiddensee. Treffpunkt der Naturfreunde und Hotspot der Künstlerszene.   Ringelnatz legt los: „Kühe weiden bis zum Rande Großer Tümpel, wo im Röhricht Kiebitz ostert. – Nackt im Sande Purzeln Menschen selig töricht.

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„Eins auf die Fresse!“

Lieben Sie Ihre Heimat? Ihr Dorf, Ihren Kiez oder Ihr Land? Liegt da nicht einiges im Argen? Wollen oder können Sie es besser machen? Verantwortung übernehmen? Bürgermeisterin oder Abgeordneter werden? Tja! Es gibt viel zu tun: In Zeiten von Brückenabrissen, Schlaglöchern, stinkenden Schultoiletten, maroden Schulen, kaputten Sportplätzen und ungeheizten Freibädern. Ja, das Land ist nicht in Ordnung. Landauf, landab überfüllte Kitas, fehlende Pflegestellen, explodierende Mieten, steigende Schulden bei sinkenden Einnahmen.  Wer will da den Hut aufhaben? Bei geringem Gehalt und großem Zeitaufwand?     Es hat sich viel verändert im Land. Bürgermeister spüren es zuerst. „Kommunalpolitiker sind das Gesicht vor Ort“, heißt es so schön und die müssen sich so

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„Das Land, das ich liebe“

Putins Russland. Es demonstriert Stärke, Gewalt und Härte. Der Kreml schickt seine Soldaten massenweise in den Tod. Seit drei Jahren. Die Ukraine soll unterworfen werden, offenbar um jeden Preis. Widerstand im eigenen Land scheint zwecklos. Eine nennenswerte Opposition gibt es praktisch nicht mehr. Die Repression läuft auf Hochtouren, wie einst in Stalins Zeiten. Heute reicht ein falscher Like, um hinter Gittern zu landen. Oder ein leeres Stück Papier, hochgehalten auf dem Roten Platz. Die Arbeitslager in den Weiten des Landes sind gut gefüllt. Selbst Anwälte von Regimegegnern wie des im Lager gestorbenen Alexej Nawalny werden eingesperrt. Willkommen in Putins Gulag.     Zehntausende Oppositionelle und Regimegegner haben seit dem Großen

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Echt oder falsch?

Was ist richtig, was falsch? Was ist wahr, was sind Fake News? Wem ist in KI-Zeiten (noch) zu trauen? Überhaupt: Wie objektiv können Medien überhaupt sein? Berichten die Öffentlich-Rechtlichen wirklich fair und unabhängig? Fragen, die viele beschäftigen. Seit knapp einem Jahr reise ich mit kurzen Referaten, vielen Beispielen und ganz wichtig – langen offenen Gesprächen ohne gecastetes Publikum – durch die sächsische Provinz. Jeder Auftritt ist ein Wagnis. Nie weiß ich, was mich erwartet. Der Eintritt ist frei. Begegnungen auf Einladung von Kulturhäusern, Kirchengemeinden oder Volkshochschulen, vermittelt von Dirk Lienig, einem der Köpfe der Kulturfabrik Hoyerswerda. Ja genau, Hoyerswerda! Bundesweit bekannt durch Ausschreitungen Anfang der Neunziger. Eine schrumpfende Stadt wie

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Mein anderes Amerika

Es gibt sie noch: gute Nachrichten aus den Vereinigten Staaten. Ende Juni 2025 bringt Bruce Springsteen einen Riesen-Schwung seiner Lost Songs heraus. Allesamt unveröffentlichte Lieder aus seinen persönlichen Archiven und Kellern. Auf einen Schlag kommen 83 bisher ungehörte Songs aus fast vierzig Jahren auf den Markt. Sie stammen aus der Zeit von 1983 bis 2018. Mit „Rain In The River“ spendiert der „Boss“ zusätzlich einen neuen Song. Ein gerade vorab veröffentlichtes Lied aus dem Jahr 1994 heißt Blind Spot. Der Text könnte aktueller nicht sein: „Everybody’s got a blind spot, that brings ‚em down/ Everybody’s got a blind spot, they can’t get around.“     „Jeder hat einen blinden Fleck,

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Die erste große Liebe der Eva Braun

Im Herbst 1944 verliebt sich die vierzehnjährige Eva Braun in den zwei Jahre ältere Hans-Georg Deichmann. „Hansi“ genannt. Eine Jugendliebe im märkischen Kleinstädtchen Neuruppin. Die beiden lesen gemeinsam Rilke. Sie tauschen Goethe-Zitate aus. Zum Beispiel das „Mailied“: „Wie herrlich leuchtet mir die Natur!“ Doch die raue Wirklichkeit holt sie unerbittlich ein. Der von Hitler entfesselte Weltkrieg rückt immer näher. In den letzten Kriegsmonaten meldet sich Hans-Georg Deichmann an die Front – freiwillig. Am 6. April 1945 schreibt Hansi als „Scharführer“ diesen Feldpostbrief an „Fräulein Eva Braun“ in Neuruppin, Prinzenstr. 2: „Liebes Evchen, Du fehlst mir sehr, Eva. Wie sehr würde ich gerne wieder mit Dir spazieren gehen. (…) Die Lage

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Willkommen in der „Sperma-Lotterie“

Ist jeder seines Glückes Schmied? Ist Leistung Voraussetzung für Erfolg, Reichtum und Wohlergehen. Nein, andere Faktoren sind entscheidend. Hilfreich ist ein Sechser im Lotto. Noch besser aber ist ein Hauptgewinn in der „Sperma-Lotterie“. Das bedeutet das Glück der privilegierten Geburt. Die 34-jährige Ungleichheitsforscherin Martyna Linartas spricht vom Glück in der Erbengesellschaft, die richtigen Eltern zu haben. In der Regel sind das die Väter. Deutsche Millionäre sind im Durchschnitt 94% westdeutsch, 86% weiß, 77% über fünfzig Jahre alt und zu 69% männlich. Davon profitieren die Erbenkinder von Heilbronn bis Hildesheim. Martynas Grundthese: Die bundesdeutsche Leistungsgesellschaft hat sich längst in eine Erbengesellschaft verwandelt. Der materielle Reichtum wird in den Familien vererbt. Wer

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Die Geister, die er rief…

Als ein guter Freund sechzig wurde, tauchte ein Überraschungsgast als Geburtstagsgeschenk auf. Ganz in Schwarz gekleidet setzte sich ein junger Mann mit strubbeligen Haaren an den Flügel und legte los. Wow! Es war ein Hammer. Mehr noch: Der Höhepunkt des Abends. Von zarten, verspielten Tönen bis zu kräftigen Klangfolgen wie ein Sommergewitter. Der Name des Mannes an den Tasten: Michael Wollny. Mittlerweile ist mein Freund fast siebzig und Michael Wollny längst ein Star. Er gilt als einer der wichtigsten europäischen Jazzmusiker seiner Generation. Die Süddeutsche Zeitung nennt ihn einen Musiker, der „aus jeder nur erdenklichen Musik ein Erlebnis machen kann, das einem den Atem nimmt“. Für die FAZ ist er

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