Category : aktuelles

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Warten auf den Zug

Es ist heiß und schwül. Am Horizont türmen sich schwarze Wolken. Warten auf einem Bahnhof in der Provinz. Der Bahnsteig füllt sich. Auf einer Bank telefonieren zwei dralle Girlies in voller Lautstärke und in viel zu kurzen Hotpants. Auf Arabisch. Eine dritte Person quäkt aus dem aufgedrehten Handy. Die Mädels gackern, als wären sie allein auf der Welt. Der Zug kommt nicht. Verspätung. Alle sind genervt. Yalla, yalla schallt es über den Bahnhof. Die meisten Wartenden starren unbeteiligt auf ihre Smartphones. Plötzlich schreit ein Bärtiger vom gegenüberliegenden Bahnsteig: „Ruhe. Verdammt noch mal.“ – Die Ladys kontern sofort: Gut, gut. Das ist zu verstehen, ein Wortschwall folgt auf Arabisch. Sollte man

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Geile Zeit

Wer sich am Rathaus Neukölln aus der U-Bahn schält, taucht in einer anderen Welt auf. Der Orient ruft. Schnurstracks geht es über die wuselige Karl-Marx-Straße zu einem in die Jahre gekommenen Kaufhaus. Dort muss irgendwo ein Fahrstuhl sein. Wo geht´s bitte zum Klunkerkranich, frage ich die bunt geschminkte Kosmetikverkäuferin mit Kopftuch. „Hey Bruder, da war ich noch nie. Aber irgendwo da hinten, zwischen New Yorker und Lidl ist ein Lift. Krass, checke Parkdeck 5.“ Oben angelangt, suche ich nach dem Zugang ins gelobte Land. Am Ende der dunklen Hochgarage, startklar für jeden Tatort-Dreh, steht: Zur Lesung „Geile Zeit“. Da will ich hin. Eine gepiercte Lady fragt gelangweilt: Wo willste hin?

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Frau am Bass

Der Bass ist nur die Verwaltung seiner selbst. Brumm, brumm. Nichts Neues. Nur Stillstand. Irrtum! Die meisten Bassisten sind männlich, eher zurückgezogen und häufig im Hintergrund. Nein! Als Solo-Instrument im modernen Groove übernimmt der Bass nur eine dienende, selten aktive Rolle. Die tiefen Töne sind für Struktur, Begleitung und Tiefe zuständig. Noch ein Irrtum! Darf ich vorstellen: Kinga Glyk. Virtuos hat die junge Bassistin ihren eigenen Stil entwickelt. Sie zeigt eine eigene Handschrift, die überrascht und überzeugt. Kinga gelang mit 19 Jahren der Durchbrch zu ihrer internationale Karriere. 2017 konnte ich die junge Polin zum ersten Mal im heute journal einem breiten Publikum vorstellen. Kinga gilt als eines der Super-Talente

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Mein erstes Mal

Frühe Morgenrunde durch den hochherrschaftlichen Schlosspark Neuhardenberg. Graue Wolken hängen tief über dem urpreußischen Anwesen nahe der deutsch-polnischen Grenze. Das Schlossensemble sieht aus, als wäre ein riesiges weißes Ufo mitten im märkischen Oderbruch gelandet. Ein Reiher lauert am Teich auf Beute. Ein paar Krähen krakeelen. Ansonsten: Stille, Friedfertigkeit, Harmonie. Einfach nur Durchatmen. Es sind meine ersten Stunden als frischgebackener Rentner. Ich bin einer von den vielen Babyboomern, die gerade den Ablauf ihrer Betriebszeit erleben. Plötzlich kreuzt ein kräftiger Landmann mit Muskelshirt und schwarzem Labrador-Schäferhund-Mischling meine Wege. Wir grüßen uns freundlich.     Wir kommen ins Gespräch. Er drehe hier im Park regelmäßig seine Runden, zwischen Schloss, Eichen und Rotbuchen. Neuhardenberg

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Lesen macht reich

S-Bahnhof Savignyplatz. Die junge Frau sitzt am Ende der langen Treppe vor dem Ausgang. Meist im Schneidersitz. In der Regel ist sie nachmittags anzutreffen. Große Brille, Hoodie, die Nase stets in ein Buch vertieft. Sie hat sich eingerichtet. Eine Decke auf dem Boden. Zwei, drei Kissen im Rücken, ein paar Kuscheltiere. Im Beutel ein Stück Fladenbrot. Die Frau hat hier ihren Stammplatz. Sie liest in aller Ruhe, als wäre es das Normalste der Welt. Passanten eilen hektisch vorbei, an der Leserin mit ihrer kleinen Spendenschale. Die junge Frau spricht keine Menschen an, schnorrt nicht, verkauft keinen „Straßenfeger“, wirft niemanden einen flehenden Blick zu. Kein „Haste mal nen Euro oder was

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Amsel im Hof

Morgens weckt mich eine Amsel. Im Halbdunkel des Hinterhofes startet sie ihr Morgenlied. Früh, sehr früh. Fröhlich, munter, unbekümmert. Ihr Zwitschern hat etwas Vertrautes und Versöhnliches. Rasch setzen die Spatzen ein. Das Frühkonzert beginnt, gewinnt wie in Mozarts Zauberflöte an Fahrt, Tempo und Intensität. Die Vogelschar versammelt sich an den Futterstellen, die unser Hausmeister täglich neu füllt. Wie wir Mitbewohner die Mülltonnen, die direkt danebenstehen. Guten Morgen. Es wird hell. Licht fällt ins Schlafzimmer. Ein neuer Tag beginnt. Mach was draus.     Am 11. Juni 1968 spielt ein gewisser Paul McCartney 32 Versionen seiner Amselhymne ein. Er sitzt allein im Studio, nur mit seiner Gitarre. Die letzte Version wird

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Willkommen in Thüringen

Thüringen. Land der Chancen. Land der Extreme. Hier kann man mit 5%-Stimmenanteil für drei Tage Ministerpräsident werden. Danach musste FDP-Mann Kemmerich zwar zurücktreten, kann aber im September bei der nächsten Wahl wieder als Spitzenkandidat antreten. „Einmalig in Deutschland“, findet das Stern-Autor Martin Debes in seinem Buch: „Deutschland der Extreme“. Thüringen ist für ihn ein Land zwischen Weimar und Buchenwald. Ein Land, in dem vor genau hundert Jahren die erste bürgerliche Regierung durch eine völkische Partei toleriert wurde. Mit 2.1 Millionen Einwohnern ist Thüringen im Herzen Deutschlands eher unbedeutend, aber ein kleines Land mit großer Geschichte.     Alles vereint sich im wunderschönen, bergigen Thüringer Wald. Weimarer Republik. Hitlers Muster-Gau. Erster

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Wer ist Dylan Thomas?

“And you are not Dylan Thomas. I´m not Patti Smith. This ain´t the Chelsea Hotel. We are two idiots”, singt Taylor Swift in ihrem neuen Song The Tortured Poets Department. Eine Hommage an Rockikone Pati Smith, die sich wiederum geehrt fühlt in einem Atemzug mit dem Poeten Dylan Thomas genannt zu werden. Aber wer um alles in der Welt ist Dylan Thomas? Millionen Swifties rätseln und googlen den Namen des Walisers. Hier ein paar Infos für alle, die Geschichten von genial-kreativen Menschen kennenlernen möchten, die sich allzu häufig selbst im Wege stehen. Dylan Thomas, das ist ein weltberühmter Unbekannter. Ein Dichterfürst, der mit 39 Jahren in New York kurz nach

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„Menschen glücklich machen“

„Scheiße, wir steigen auf“, hieß es 2019 auf einem Fan-Banner im Stadion an der Alten Försterei. Fünf Bundesligajahre später nach einem unfassbaren Fußball-Märchen bis ganz nach oben muss der Köpenicker Traditionsverein gerade aufpassen, nicht wieder abzusteigen. Aber bei Union zählt sowieso etwas anderes: Mit dabei sein, dazu gehören. Von der vierten Liga mit Auswärtsspielen gegen Torgelow oder Falkensee-Finkenkrug ging es über Bayern München bis in die Königsklasse gegen Real Madrid in der Champions-League. Die Allerwenigsten hätten Union, dem Underdog aus der Berliner Wuhlheide, diesen Aufstieg zugetraut. Was ist das Erfolgsrezept? Wer sind die Menschen hinter den Kulissen der Ost-Legende? Wer kümmert sich im Maschinenraum um die paar Dutzend Profis und

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Zauber der Kunst

Die Karten gehen weg wie warme Semmeln. Die verwöhnte Kunstszene der Hauptstadt hat dieses Jahr einen echten Hingucker. Caspar David Friedrich. Seit Mitte April stürmt eine riesige Besucherschar „Unendliche Landschaften„, die Ausstellung über den pommerschen Kauz zu seinem 250. Geburtstag. Achtung Romantik! So viel Aufmerksamkeit für einen  Einzelgänger überrascht. Für einen, der am liebsten Kanarienvögel und Neurosen züchtete. Ein Frömmler, fernab vom etablierten Kunstbetrieb seiner Zeit. Zu Lebzeiten reichte das Einkommen gerade für Farbe und Leinwand. An der Dresdner Akademie wurde seine Bewerbung als Dozent 1820 abgelehnt. Begründung: er sei zu altmodisch. Jetzt pilgern Kunstfans aus aller Welt zu dem rothaarigen Mann, der zu Lebzeiten verarmt und vergessen und jetzt

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