Category : aktuelles

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Bye, bye Boomer

Karen Heumann ist eine kluge, erfolgreiche Werbefrau. Sie hat alles erreicht. Die gebürtige Wetzlarerin ist eine von Millionen Baby-Boomern. Vor kurzem ist sie als Vorständin mit 58 Jahren vorzeitig in Ruhestand gegangen. Warum? Sie fühle sich zu alt. Außerdem sei es Zeit, Jüngeren Platz zu machen. Ihr Gefühlshaushalt? „Oh Gott. Jetzt muss ich ohne meine Droge auskommen. Und das ist nicht schön. (sie lacht) Ich hatte mir ein Feriengefühl vorgestellt, aber zunächst war es eher ein Verlustgefühl, eine Mischung aus Liebeskummer und Ratlosigkeit.“ In diesem Jahr gehen offiziell 1.175.870 Menschen des Jahrgangs 1958 in Rente. Einer von ihnen bin ich. Die Babyboomer werden durch 719.250 Menschen des Jahrgangs 2003 ersetzt.

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Miteinander reden?

Die Republik ist in der Krise. Die Demokratie in Gefahr. Bei den letzten Wahlen verliert die regierende SPD deutlich Wählerstimmen. Ihre wankelmütige Vierer-Koalition war nach nur zwei Jahren auseinandergebrochen. Die Rechten feiern einen überwältigenden Aufschwung. Ihr Anteil schnellt hoch: von 2,6% auf 18,3% Zustimmung. Ein Plus von 15,7%. Achtung! Es handelt sich um den 18. September 1930. In Berlin wie in der gesamten Republik ist die Stimmung aufgeheizt. Ende Oktober 1930 organisiert der österreichische Dramaturg Arnolt Bronnen ein brisantes Radiogespräch für die „Berliner Funkstunde“. Thema: „Nationale und Internationale Kunst“. Der berühmte Theatermacher und überzeugte Kommunist Erwin Piscator soll sich mit dem ehrgeizigen NS-Demagogen Joseph Goebbels zu einem Streitgespräch treffen.  

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Lass Dir nicht alles gefallen

Die letzten Jahrzehnte lebte Werner Fischer in seinem selbstgewählten Exil. Ein Leben im Hölderlin-Turm, gut versteckt in einer Dachetage über dem Jüdischen Friedhof am Kollwitzplatz. Hölderlin verzweifelte in seiner Matratzengruft, ähnlich wie Nietzsche: „Warum schläft denn nur bei mir der Stachel in der Brust?“ Des Dichters Antwort: „Dunkel wird´s und einsam unter dem Himmel. Wie immer – im ich.“ Wer ist nun Werner Fischer? Nie gehört! Das sagen viele. Aber manche erinnern sich. Fischer gehört zu den wenigen Mutigen in Ost-Berlin, die in aussichtsloser Situation versuchten, Verhältnisse zu ändern, die scheinbar in Beton gegossen zu sein schienen. Er war kein Anpasser, Mitläufer oder Opportunist. Fischer arbeitete sich in der DDR

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Bauern, Bonzen und Bomben

Schleswig-Holstein vor knapp hundert Jahren. Ein lokaler Hilfsredakteur berichtet 1929 über Bauernproteste. Der Mann ist im Dauereinsatz. Im kleinen Neumünster protestieren rund dreitausend wütende Bauern mit Handstöcken und Knüppeln. Sie fordern ein Ende von Pfändungen und Steuernachzahlungen. Die Polizei versucht die Landvolkfahne mit Pflug und Schwert in ihren Besitz zu bringen. Die Bauern verteidigen ihr Symbol. Es gibt zahlreiche Festnahmen und mehrere Schwerverletzte. Der Reporter: „Ich sitze tatsächlich zwischen den Stühlen, bin vormittags gegen die Polizei und für Bürgertum und Bauern und nachmittags umgekehrt.“ Der Mann zwischen allen Stühlen heißt Rudolf Ditzen. Besser bekannt als Hans Fallada. Zwei Jahre später erscheint sein wegweisender Roman „Bauern, Bonzen und Bomben“.    

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Weihnachten 2023

Wassim Rassuk tätowiert christliche Motive. Die Madonna, die Auferstehung Jesu, seine Kreuzigung. Der fünfzigjährige Wassim lebt in Ost-Jerusalem, gehört zur kleinen Minderheit der koptischen Christen und führt in der 27. Generation einen kleinen Tattoo-Laden. Seine beiden erwachsenen Söhne sollen sein Geschäft einmal übernehmen. Seit siebenhundert Jahren stechen die Rassuks verschiedene Motive in die Haut, die ein Leben lang bleiben. Momentan gehen die Geschäfte schlecht. Wegen des Krieges bleiben Touristen aus aller Welt aus. Es ist nichts zu tun. Ab und zu ist Luftalarm. Am Himmel werden Hamas-Raketen vom israelischen Abwehrsystem Iron Dome abgefangen. Einen Bunker hat die christlich-arabische Familie Russek nicht. Wohin sollten sie also flüchten? Sie leben in der

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You never walk alone

Du gehst niemals allein. Ein stimmungsvoller Fußballsong. Eine beliebte Floskel des Kanzlers. Und doch gehen Millionen Menschen allein durch ihr Leben – und nicht unbedingt freiwillig und selbstbestimmt. Immer mehr Menschen in Deutschland fühlen sich einsam – gerade zu Weihnachten. Nach Einschätzung der Stiftung Patientenschutz ist Einsamkeit die größte Volkskrankheit in Deutschland. Bei der Telefonseelsorge drehe sich jeder vierte Anruf um das Gefühl des Alleinseins. Einsamkeit verbreite sich wie ein Virus. Die Pandemie mit dem Zwang zur Selbst-Isolation habe diesen Trend verstärkt. Was passiert? Menschen flüchten in virtuelle Social-Media-Welten. Es werden immer mehr: Verlassene und Witwen, Arbeitslose und Außenseiter, Abgehängte und Alleinerziehende. Aber auch viele Jugendliche und ganz besonders die

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Eiffelturm zu verkaufen

Als der Junge zehn ist, beschließt er: „Ich, Victor Lustig, schwöre hiermit, reich zu werden und genau das zu tun, was mir Freude macht.“ An diesen Schwur hält er sich zeitlebens. Als der Junge erwachsen wird, liegt ihm die Welt zu Füßen. Victor Lustig bricht aus der engen K.u.K-Provinz in der Nähe von Wien auf, um sein Glück zu machen: als Taschendieb, Fälscher, Betrüger, Hochstapler und hochgeschätzter Gentleman-Ganove. Alles, was fürs Leben wichtig ist, lernt er in Paris bei der alternden Bordellchefin La Dame. „Jeder sehnt sich nach etwas“, bringt Madame dem kleinen Victor bei: Erkenne die Wünsche der Menschen, bediene sie, und du hast Erfolg. Aus dem Jungen wird

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Was für ein Glück

Rückblende. Ein Juliabend Es ist unerträglich heiß. Leipzig dampft und schwitzt. Plötzlich ballen sich schwarze Wolken zusammen, entlädt sich die aufgestaute Schwüle in einem kurzen, heftigen Gewitterguss. Regen prasselt auf den Clara-Zetkin-Park. Was für ein Glück! Abkühlung. Aufatmen. Wir folgen der Menge zur Parkbühne. Eine kleiner, runder Open-Air-Veranstaltungsort aus DDR-Zeiten. Publikum Ü50. Nur Stehplätze. Bratwurst. Bier in Plastikbechern. Vorfreude. Es kann losgehen. Zweimal war das Konzert wegen der Covid-Pandemie jeweils um ein Jahr verschoben worden. Endlich! Beth Hart.     Die Frau legt los. Mit ihrer energiegeladenen, großartigen Stimme, voller Leidenschaft, Gefühl und Hingabe. Im hautengen Hosenanzug schnurrt sie erst wie eine Katze, faucht bald wie eine Löwin. Die gut

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Vom Wollen zum Können

Caspar David Friedrich ist heute ein Superstar. Zu Lebzeiten verkaufte er kaum Bilder. Seine Einnahmen reichten für Farbe und Pinsel und gerade mal für seine kleine Familie. Heute wird ein einfacher Skizzenblock für ein Mindestangebot in Höhe von einer Million Euro angeboten. Von solchen Summen hätte Kurt Sonn (1933-2020) nur träumen können. Sonn war ein äußerst kreativer und fleißiger Landschaftsmaler, aber kommerziell wenig erfolgreich – und er war mein Patenonkel. Über dreitausend Bilder, Zeichnungen und Skizzen hinterließ er. Für Märklin entwickelte er als Grafiker das Outfit, für die Reha-Einrichtung auf der Bodensee-Halbinsel Mettnau das Design, für den Süddeutschen Rundfunk Zeichentrickfiguren. Seine Brotjobs. Auf seinen heimatlichen Wanderungen ließ er sich von

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Nur für Verliebte

Das märkische Rheinsberg. Ein Spätsommer-Wochenende im Jahre 1911. Claire und Wolf fliehen vor dem Lärm ihres täglichen Lebens aus der großen Stadt Berlin. Sie turteln im fritzischen Provinzstädtchen, genießen das Glück ihrer frischen Liebe. Die Anfang Zwanzigjährigen streifen durch Schloss und Park, rudern hinaus, kuscheln auf der Wiese und staunen abends im Wirtshaus über Stummfilme. Ein junges Paar und drei Tage reinen Glücks. „Das Schloss leuchtete weiß, violett funkelten die Fensterscheiben in hellem Rahmen, von staubigen Lichtern rosig betupft, alles spiegelte sich im glatten Wasser.“ Ein Jahr später, 1912. Das Kaiserreich feiert den 200. Geburtstag des großen Friedrich, genannt der Alte Fritz. Als junger Friedrich verlebt dieser gleichfalls in Rheinsberg

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