Archive for : Februar, 2016

So what?

Miles Davis. Ein Mann mit goldenen Händen. Ein Musiker, der den Groove hatte. Der wusste, worauf es ankommt. Sobald er ansetzte, verwandelte seine Trompete die Welt in eine Andere, Größere, Schönere. Lässig, cool bis zum Höhepunkt. Ist das Jazz? Miles Davis winkte ab. Nein, das sei Social Music, sagt er einmal. Nun setzt ihm ein Film ein Denkmal. Er heißt Miles Ahead und garantiert kurzweilige anderthalb Stunden.

Mehr als zehn Jahre hat Don Cheadle an seiner Miles Davis-Biografie gearbeitet. Kurz vor Fertigstellung ging das Geld aus. Per Crowdfunding konnte das ehrgeizige Projekt in letzter Minute gerettet werden. Don Cheadle hat alles riskiert. Es ist sein Debüt. Der US-amerikanische Schauspieler ist Miles Davis und noch viel mehr. Er schrieb das Drehbuch, führte Regie und spielte die Hauptrolle. Ein Wagnis, mit vollem Einsatz.

Natürlich zelebriert der Film seine Trompetenkunst. Natürlich spielen die Drogen- und Frauengeschichten des Ausnahme-Musikers eine wichtige Rolle. Aber: Cheadle erzählt eine Episode aus dem Jahre 1979, als Miles Davis sich selbst im Wege stand. Versunken in einer Mischung aus Selbstzweifel und Selbstmitleid konnte der Künstler nichts mehr zuwege bringen. Kein Album, kein Live-Auftritt, nichts.

In dieser Situation taucht ein nerviger „Rolling Stone“-Journalist auf, der gemeinsam mit Miles in einer wilden Abenteuerjagd gestohlene Demobänder mit unveröffentlichten Aufnahmen wieder auftreiben soll. Das ungleiche Paar liefert sich ein amüsantes Duell mit gierigen Produzenten. Dabei werden die beiden Jäger und Gejagte zugleich. Spektakuläre Verfolgungsjagden und Boxkämpfe inklusive.

Geschickt verwebt Miles Ahead Rückblenden des jungen produktiven Miles mit Phasen aus der düsteren Krisenphase. Am Ende befreit sich der Musiker aus dem Würgegriff von Koks und Kummer. Musik ist seine Rettung. Die Trompete triumphiert. Dieser Don Cheadle-Film feiert den Meister in einem unterhaltsamen und spannenden Film. Ohne falsche Töne.

 

Kaum zu glauben übrigens, dass Miles Davis großer Erfolg – So what? – fast sechzig Jahre alt ist. Der Titel klingt, als wäre er gerade eben in einem Club in Brooklyn eingespielt worden. Ganz cool, ganz beiläufig, ohne verbissene Anstrengung. Was sonst?

Der Film feiert Anfang April in den USA seine Premiere. Der deutsche Kinostart steht noch nicht fest.

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Motiviert?

Der junge Punk wartet auf Kundschaft. Jeden Tag lümmelt er auf der Treppe zum Berliner S-Bahnhof Savignyplatz. Mit Hund, Decke, Bierflasche und Buch. Seine aktuelle Lektüre: „Mieses Karma“. Interessanter Titel. Ich frage nach. In diesem Roman erzählt der Autor David Safier von einer attraktiven Talkmasterin, die unausweichlich zu einer kleinen miesen Ameise schrumpft.

Was fasziniert den Schnorrer mit den gelb gefärbten Haaren am bösen Karma? Will er nicht lieber nach oben kommen? Der Plot sei klasse, sagt er. Übersetzt bedeute dies, richtige Bösewichte vom Schlage eines Hitler, Stalin oder Pol Pot müssten künftig als Darmbakterien Wiedergutmachung leisten. Wäre doch klasse, oder? Pause. Passanten hetzen vorbei. Den Kopf eingezogen, eiligen Schrittes, froh in Ruhe gelassen zu werden.

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Warten auf motivierte Kundschaft.

Der bettelnde Punk hat seine Werbestrategie geändert. Statt des branchenüblichen „Haste ein bisschen Kleingeld?“ oder „Hey Alter, Du siehst gut aus, Du hast doch sicher ein paar Groschen“, flötet er fröhlich-verführerisch den Vorbeihastenden zu: „Guten Tag. Sind Sie motiviert, Ihr Geld mit mir zu teilen?“ Einige wenige lächeln. Diese Geldanlageoption klingt wie das Versprechen eines Finanzberaters der Tanker, Immobilien oder Windräder an Steuersparwillige verticken will.

Da auch diese Strategie nur bedingt fruchtet, schaut der junge Mann mit Decke, Hund und Buch wieder in sein „mieses Karma“. Dort liest er weiter über bedeutende Menschen, die ganz schnell zu kleinen Ameisen schrumpfen.  Nun lächelt er. Das Leben ist doch wie ein Roman.

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Adler oder Maulwurf?

Was kann ich nur anstellen mit meinen Jahren zwischen Wiege und Grab? Eine Menge meint Jakob Hein, im Hauptberuf Arzt, in seiner Passion Schriftsteller und zudem Sohn des bekannten Autors Christoph Hein. Das steht aber auf einem anderen Blatt. Jakob schreibt am liebsten Schelmenromane. Er liebt Anekdotisches und Abseitiges. Er weiß, dass Bücher längst an Tankstellen zwischen Kondomen und Senf dargeboten werden. Also schreibt er vom Leben wie es ist.

Der 44-jährige Berliner ist ein fleißiger Sammler für „verworfene Ideen“, sucht stets händeringend nach dem idealen Romananfang, bezeichnet sich in schwierigen Lagen als „Problemanalytiker“ und bemerkt, dass Menschen wie Dauerschauspieler sind, immer im Einsatz auf der Bühne des Lebens, um nach dem Auftritt „in der Garderobe erschöpft die Maske fallen“ zu lassen.

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Jakob Hein. Er springt mal eben in „Kaltes Wasser“.

In seinem neuesten Streich, es ist schon sein vierzehntes Buch, stürzt er seinen Helden Friedrich Bender in Kaltes Wasser. Der junge Ost-Berliner schlägt sich in den Nachwendejahren durch das vereinte Berlin. Seine frustrierten Eltern trauern den alten Zeiten nach, „als Linsen noch nach Linsen schmeckten“ und die Menschen sich in die Augen schauen konnten. Der Sohn durchschaut die neue Zeit und lebt den Kapitalismus. Motto: Geld verdirbt den Charakter, aber es ist das Beste, was es gibt, um die Leute vom Denken abzuhalten.

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Lehrreich und verdauungsanregend, wie er als Mitarbeiter der Versicherung Föderation seine Pausen nutzt, um auf der unbenutzten Herrentoilette Weltliteratur zu lesen: „Die großen Amerikaner, die alten Deutschen und die toten Russen.“ Herrlich, wie er als hochstapelnder Heiratsvermittler die Beziehungsnöte von Alt-, Hoch- und Geldadel zu einem erfolgreichen Geschäftsmodell entwickelt. Er vermittelt magersüchtige Prinzessinnen an bindungsunfähige Geldsöhne.

Mit seiner Partneragentur „von Meyburg “ beschwindelt Romanheld Friedrich die eitlen Exemplare der Welt des schönen Scheins. Natürlich kommen die geblendeten Bewunderer ihrem Felix Krull aus Ost-Berlin auf die Schliche. Das hat Folgen für die Geschäfte, das Liebesleben und die Doppel-Moral. Jakob Hein mag das Absurde. Am Ende steigt er diesmal auf einen „Läuterungsberg“.

Dort kommt ihm die Erkenntnis, dass es eine Herausforderung ist, einem Maulwurf die Gefühle eines Bergadlers zu beschreiben. Denn zum Fliegen gehört der Absturz. Aber: Was wäre schlimmer als nie geflogen zu sein?

Achtung unterhaltsam! Jakob Hein. Kaltes Wasser. Galiani Berlin, 2016.

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Über eine Hassliebe

Be Berlin. Die Stadt an der Spree ist ein Ort, der Menschen zuverlässig anzieht, aufregt und auch wieder abstößt. Der Boom hält an. Trotz Flughafen-Fiasko und Flüchtlings-Chaos. Im letzten Jahr zog eine ganze Großstadt nach Berlin: 120.000 Menschen. Das ist einmal Göttingen, Ulm oder Wolfsburg. Darunter waren auch 40.000 reguläre Neubürger. Berlin wirkt weiter wie ein Magnet. Ist die deutsche Hauptstadt «romantisch wie Bullerbü, mondän wie die Côte d’Azur und weltstädtisch wie London», wie das Hochglanzmagazin «Geo special» befindet?

Von wegen! Berlin ist „zum Abkacken“, schreibt Kristjan Knall in seiner Kampfschrift 111 Gründe, Berlin zu hassen“. Er nimmt Berlin-Klischees unter die Lupe, streitet gegen „Eso-Hipster, Stammtisch-Sarrazins, Dit-wird-ma-ja-wohl-noch-sagn-dürfn-Sagern und Alpha-Prolls im 3er-BMW“. Natürlich ist Kristjan Knall ein Pseudonym und sein Buch ein einziges Pamphlet. Aber voller Wahrheiten, verspricht der Verlag, er zeige „die Stadt so, wie sie wirklich ist“.

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Das Buch für alle Berlin-Einsteiger. Es soll Anfang März im Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf erscheinen.

 

Warum ist Berlin auf dem absteigenden Ast? Kostprobe Knall: „Weil die Spätis ausgemerzt werden. Weil Backpacker alles vollschwitzen. Weil Berlin verdorft. Weil Köter alles vollkacken. Weil der Görli das Mekka für ‚BILD‘-Leser ist. Weil Jesus raven geht. Weil Fixies Kinder zerfleischen. Weil Pädagogenpapis die Männlichkeit verraten. Weil ‚Tatort‘ Event ist. Weil die Hasenheide voll von Alpha-Kevins ist. Weil Stricken das neue Graffiti sein will.“

Hat der bekennende Berlin-Basher Recht? Ist die Stadt out? Damit liegt er gerade voll im Zeitgeist. Nach einer frisch veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov sind Hamburg und München die beliebtesten Großstadt-Adressen. Erst dann folgt Berlin.

Und noch eine Überraschung: Auf der Negativliste der unbeliebtesten Wohnorte landet die Hauptstadt einsam auf Platz Eins. Es ist die Großstadt, in der die Deutschen am wenigsten gerne wohnen wollen. Fazit: Party in Berlin ja. Ständig dort leben, bloß nicht. Viele Befragte träumen vielmehr von einem Leben auf dem Lande. Ganz idyllisch, ohne nörgelnde Einheimische und Hundehaufen, ohne aufgedrehte Hipster und dem Szeneclub Berghain bis zum Abwinken.

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Der Menschenfreund

Es war eine Freude ihn zu treffen. Mit ihm zu arbeiten, zu reden und zu streiten. Roger Willemsen hatte stets etwas Ansteckendes, Öffnendes und Befreiendes. Selbst wenn man seine Meinung nicht immer teilen mochte, seine Fragen, Ideen und Gedanken ließen einen nicht mehr los. „Man muss dorthin gehen, wo es wehtut“, war sein Credo. Nun hat ihn der Krebs im Alter von sechzig Jahren besiegt. Nicht aber seine Haltung. Roger Willemsen hinterlässt eine Lücke. Es ist eine große Lücke.

Willemsens Welt. Unerschöpflich interessierte er sich für alles, was das Leben zu bieten hatte. Afghanische Kinder, Bundestagsabgeordnete, Helden, Selbstmörder, Lügner, Blender und immer wieder und bevorzugt Außenseiter aller Schattierungen. Als er sich in einem seiner über dreißig Bücher plötzlich auf Vögel, Lurchen und Insekten stürzte, schüttelte nicht nur ich verwundert den Kopf. Roger Willemsen fand den Populärwissenschaftler Alfred Edmund Brehm faszinierend. Besser bekannt durch sein Standardwerk Brehms Tierleben.

Warum? Roger Willemsen lächelte. Eine echte Bildungslücke! Nun, Brehm trat an gegen „Pfaffentum und Weltweisheit, gegen Schreibtischgelehrte in ihrer hohen und hohlen Weisheit.“ Er mischt „Empathie mit Empirie, er leuchtet historische Quellen aus, sammelt Beobachtungen und leuchtet kulturelle Zusammenhänge aus“. Präziser hätte sich der Menschenforscher Willemsen nicht selbst beschreiben können.

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Roger Willemsen. 2014. Quelle: Wikipedia.

Das Leben zeigt einmal mehr, dass es keinen Artenschutz gibt. Auch nicht für Menschen wie Roger Willemsen. Für Suchende wie ihn mit wachem Verstand, ungebremster Leidenschaft und klarer Haltung. In einem seiner letzten Interviews vom vergangenen Sommer sagte der Publizist es gehe für ihn darum „die gegebene Frist sinnvoll zu nutzen und nicht nur Spaß zu haben.“ Das sei der Sinn des Lebens. In dieser Frage hat Roger Willemsen Wort gehalten. Das ist, was bleibt. Ein tröstlicher Gedanke.

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Von oben betrachtet

Der kanadische Astronaut Chris Hadfield umrundete 2013 die Erde. Er war begeistert. Von der Raumstation ISS zeigte sich der blaue Planet eindrucksvoll. Eine weiß-blaue Kugel, elegant, erhaben, einzigartig. Filigran, fast zerbrechlich. Aus vierhundert Kilometern Höhe fotografierte Hadfield Städte, Landschaften, Kontinente. Bei Tag und Nacht. Über Berlin entdeckte er eine Überraschung. Aus dem All präsentiert sich die Stadt mit einer eindrucksvollen Licht-Installation. Während im Westen bläulich-kühles Licht vorherrscht strahlt der Osten in warmem Bernsteingelb.

Berlin bei Nacht aus 400 Kilometern Höhe. Quelle: NASA/Chris Hadfield

 

Die Lichtgrenze verläuft exakt entlang der alten Mauer. Für Betrachter aus dem All scheint die Berliner Teilung noch Gegenwart zu sein. Auch über ein Vierteljahrhundert nach der Einheit kann die deutsche Metropole ihre getrennte Vergangenheit nicht verheimlichen. Zufall? Keineswegs. Der Grund für das Phänomen einer Lichtgrenze ist der Einsatz der berlinweit 182.000 Elektroleuchten. Während im alten Westen vorwiegend hell-weiße Leuchtstofflampen installiert wurden, kamen im früheren Osten vor allem gelblich scheinende Natriumdampflampen zum Einsatz.

 

Der kleine Unterschied macht´s. Er wird noch Jahrzehnte zu sehen sein. Jedenfalls aus dem All. Denn bis die Berliner Straßenbeleuchtung auf einheitlich energiesparende LED-Lampen umgestellt wird, kann es noch lange dauern. Solange strahlt die Stadt weiter in den Lichttönen Ost und West. Bleibt eine Stadt der zwei Farben. Zu sehen von der Raumstation ISS.