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Was die Einheit gebracht hat

Was haben Sie mit Ihrem ersten Westgeld gemacht? – „Eine Platte von Bruce Springsteen gekauft.“ – „Für das neue Auto angespart.“ – „Ich war gut essen und im Sexshop“. – Diese Antworten sind am Eingang im Deutschen Historischen Museum in Berlin zu finden. Auf Zetteln von Besuchern angeheftet an einer großen Pinnwand. Genau 25 Jahre ist es her, dass DDR-Bürger 100 DM Begrüßungsgeld erhielten. Es war der hoffnungsfrohe Startschuss in eine neue Zeit. Und heute?

Heute gibt es nur noch ein großes Anschweigen zwischen Deutschen in Ost und West, so scheint´s. Ein Arrangement wie in einer ordentlichen Ehe. Der eine Partner will ständig reden, während der andere partout nicht zuhört. Im Oktober feiern die Deutschen ihre Silberhochzeit. Anlass für die amtlichen Museumsmacher, das „Porträt einer Übergangsgesellschaft“ zu wagen. Der Titel ihrer Ausstellung im Haus Unter den Linden in Berlins Mitte kommt bürokratisch knapp daher: „Alltag Einheit.“

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1990. Erst 100 DM Begrüßungsgeld. Dann kommt die D-Mark für alle. Gut zehn Jahre später wird der Euro eingeführt.

Was sofort auffällt. Vieles ist längst vergessen und verdrängt. Blaue Stone-washed Jeans-Träger, unmögliche Frisuren, weiße Herrensocken, Männer mit bepissten Trainingshosen und Hitlergruß. Die Ausstellung zeigt Baustellenbilder, Max Schmeling mit Henry Maske, die auf Plakaten das Zusammenwachsen beschwören. Zu sehen ist das Modell eines futuristischen Luigi Colani-Fernsehers, der ein sieches DDR-Werk in Staßfurt retten sollte aber nicht konnte. In den frühen Einheitsjahren kauften die Ostdeutschen lieber Westwaren.

Einprägsam ein T-Shirt der Kali-Kumpel aus Bischofferode von 1993. Dort steht „Wir sind ein Volk“, doch trotz Hungerstreik und Protesten wurde die Zeche geschlossen. Nicht rentabel. Ein Land wurde abgewickelt. Auf einem anderen Foto ist ein mittelalter Mann im brandenburgischen Zeesen zu sehen. Finster entschlossen steht er vor seinem Anwesen und hält trotzig ein Schild hoch: „Zutritt für Wessis strengstens untersagt“.

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Allen Sprachbereinigungsversuchen zum Trotz. Statt friedlicher Revolution oder anderen Begriffen hat sich das Wort Wende durchgesetzt. Bei einem solchen Vorgang gibt es logischerweise auch Wendehälse.

So blühen die neunziger Jahre auf. Mit Techno, freier Szene und Love-Parade in der Hauptstadt, Neonazis und viel Frust bei den Alten und Abgewickelten in der Provinz. Das ostdeutsche Volk geriet in Bewegung. Über fünf Millionen Menschen wechselten in den Westen. Rund zwei Millionen Deutsche zogen in den Osten. Eine Massenbewegung. Eine innerdeutsche Arbeitsmigration, deren Geschichte bis heute noch nicht erzählt ist.

Deutschland hat sich im letzten Vierteljahrhundert wesentlich verändert. Die Globalisierung zeigt Wirkung. Davon berichtet die Berliner Ausstellung nicht. So bleibt es am Ende bei einem nostalgischen Schmunzeln nach dem Motto Ach-weißt-du-noch! Beispiel gefällig? 1991 erschien das neue Ost-Zentralorgan Super Illu mit ostdeutschen Nackedeis und schrillen Wessi-Abzocker-Schlagzeilen auf dem gleichen Titelblatt. Sex and Crime. Die schöne Neue Medienwelt, zusammengestellt von Machern aus den alten Ländern. So funktioniert(e) die deutsche Einheit.

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Willkommen im deutschen Wunderland. Der Zusammenstoß der Kulturen. Ein Unfall in der Nähe von Halle 1991.

 

Alltag Einheit. Deutsches Historisches Museum. Bis 3. Januar 2016.

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Unter jedem deutschen Dach – ein großes gemeinsames Ach

Das Streithaus steht mitten im Dorf. Es ist ein einfaches märkisches Büdnerhaus mit zwei Eingängen, zwei Gärten und zwei Geschichten. Im kleineren Teil lebt seit langem eine alteingesessene Familie mit drei Kindern. Die linke Hälfte, der weitaus größere Teil verfiel in den letzten Jahren. Dann begannen plötzlich die Handwerker einzuziehen, rissen Wände ein, deckten das Dach neu und putzten das Haus so schön heraus, dass es kaum wiederzuerkennen war.

Das neue Anwesen mit großzügiger Terrasse, Swimming Pool und Buchenhecken könnte jeden „Schöner Wohnen“- Wettbewerb bestehen. Landlust für Großstädter. Die perfekte Idylle. Hier erfreuen edle Ziersträucher, teurer Rollrasen und eine Bank aus Teakholz das Auge. Weder stören Gartenzwerge, Plastikrehe noch Hühner wie im Nachbargarten das ländliche Ambiente.

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Das Fest kann beginnen. Die Landlust lockt. Berliner Träume im Brandenburgischen.

Pfingsten 2015 sollte die große Einweihung gefeiert werden. Der Sekt war kalt gestellt, der Grill in Positur gestellt. Es kam alles anders. Wenige Tage vor dem Fest tauchte das Bauamt auf und versiegelte die neue Hälfte. Der stolze Neubesitzer wurde ausgesperrt. Nicht einmal seinen Autoschlüssel durfte er aus dem Haus holen, heißt es im Dorf. Die spektakuläre Schließung markiert den Höhepunkt einer monatelangen Auseinandersetzung zweier Nachbarn, die unter einem Dach leben, sich aber auf den Tod nicht ausstehen können.

Der Investor habe Bauvorschriften und Brandschutzbestimmungen nicht eingehalten, so die amtliche Begründung. In der Breite sei das Haus angeblich zwei Zentimeter zu lang geworden. Der prominente Berliner, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen wolle,  sei vom ersten Tag an mit seinem Nachbarn in Hader und Streit geraten, konstatiert die Lokalpresse. Es sollen sogar die Fäuste geflogen sein, wegen eines mobilen Klohäuschens vor der Tür. Auf jeden Fall folgten Anzeigen und Razzien.

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Der brandenburgische Vorgarten. Gartenzwerge, Jägerzaun und Satellitenschüssel.

 

Die Streithähne haben sich nichts geschenkt. Dorf gegen Stadt. Arm gegen Reich. Ost gegen West. Kein Klischee, das nicht passen würde. Jetzt steht im gemeinsamen Garten eine fast drei Meter hohe Mauer. Nun schlägt die Stunde der Anwälte. Das Ende ist offen. „Das Haus ist schön, der Mensch nicht“, sagt ein Nachbar von gegenüber und schüttelt den Kopf. So geht es zu bei einer ordentlichen brandenburgischen Provinzposse. Was für wunderbare Aussichten für das künftige Zusammenleben unter einem gemeinsamen Dach.

Halleluja

Die berührendsten Geschichten schreibt die Wirklichkeit. Sie finden nicht irgendwo statt sondern direkt hier bei uns. Vor unserer Haustür. In diesem Fall geht es um das somalische Ehepaar Aliyah und Rooble. Sie fliehen vor Krieg, Gewalt und Verfolgung. Von Mogadishu über Kenia, Sudan, durch die Sahara nach Libyen. Weiter übers Meer nach Lampedusa dann nach Dänemark und Deutschland.

Sie kommen ins Aufnahmelager nach Eisenhüttenstadt. Trotz zweier Fehlgeburten wird ihr Antrag 2014 abgelehnt. Schließlich sitzen sie in Berlin fest. Endstation: Neukölln. Die Abschiebung von Aliyah und ihrem Mann Rooble ist angeordnet. Alle Rechtsmittel erschöpft. Die Flugtickets für Italien sind für den 5. Mai 2014 gebucht. Aliyah und Rooble sind am Ende ihrer Kraft. Gewalt, Willkür und Misshandlung kannten sie. Jetzt erfahren sie ihre völlige Ohnmacht. Es herrscht das Prinzip Hoffnungslosigkeit.

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Neue Heimat. St. Christophorus in Berlin-Neukölln.

Da erklärt am 30. April 2014 die Neuköllner Kirchengemeinde St. Christophorus überraschend. „Wir haben uns entschieden und nehmen am Donnerstag auf.“ Sie informiert ihren Bischof und organisiert ein Quartier in ihrem Gotteshaus am Reuterplatz. Draußen vor der Tür lautet Volkes Stimme: „Was wir in Jahrzehnten aufgebaut haben, lassen wir uns nicht von den Flüchtlingen kaputt machen.“ Oder: „Wir sind nicht bereit, unsere Aufklärung zu opfern“. Irgendwann kommt der Satz: “Das wird man doch noch sagen dürfen”.

Doch Lissy Eichert, die unerschrockene Pastoralreferentin und Pfarrer Kalle Lenz lassen sich nicht beirren. Ihr Team gibt den beiden Somalis Heimstatt und Hoffnung. Für die Kirchenleute lässt sich das Thema Massenflucht nicht mehr jenseits des Mittelmeers abschieben. Die katholische Gemeinde beruft sich auf ein afrikanisches Sprichwort: “Es ist schwer, jemanden zu wecken, der sich schlafend stellt”.

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Ultimo Ratio. Eine wahre Geschichte im Neuköllner Heimathafen.

Während Alyah und Rooble mittlerweile im brandenburgischen Waßmannsdorf in einer ehemaligen NVA-Kaserne auf eine Entscheidung der Behörden warten, präsentiert der Heimathafen Neukölln mit Ultima Ratio ein überzeugendes Theaterstück auf der Basis ihrer Geschichte. Die neunzig Minuten verbinden mit wenigen Strichen Zeichnungen in Graphic-Novel-Art mit Stimmen aus Behördenschreiben. Es genügt ein alter Overhead-Projektor – und auf der Bühne die hinreißende Schauspielerin Tanya Erartsin.  Beeindruckend.

Hingehen!  Leonard Cohen. Hallelujah.

Das Problemgewehr – ein Gedicht

„Mit defekten Waffen endlich Frieden schaffen“ – von Kurt Sonn.

 

„Heckler und Koch ist weltbekannt

Als prima Waffenlieferant

Ein Sturmgewehr wird fabriziert

In großen Mengen produziert.

 

Doch das Gewehr schießt etwas schlecht

Wenn heiß geworden beim Gefecht

Nur mit viel Glück und ziemlich Schwein

Trifft der Schuss ins Ziel hinein.

 

Die Bundeswehr schafft Waffen an

Die unnütz für den Einsatzplan

Gar nicht heiter und famos

Geht der Schuss nach hinten los.

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Kurt Sonn. „Malerei vom Schurwald“.

Ein Gewehr muss mit Gelingen

Die Leute um die Ecke bringen

Der Feind schießt schließlich nach Bedarf

Sehr treffsicher und extra scharf.

 

Mein Vorschlag wäre ganz spontan

Schafft nur solche Waffen an

Die niemals richtig funktionieren

Recht viele davon profitieren.

 

Soldaten schießen Platzpatronen

Die Häuser wo die Menschen wohnen

Bleiben heil und ohne Schaden

Weil in Bomben und Granaten

Wattekugeln explodieren

So nicht das Städtchen ruinieren.

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Kurt Sonn. Seit 1958 selbständig als Grafiker, Maler und Autor.

Klar, alle Waffenlieferanten

Welche auf der Welt vorhanden

Müssen traulich sich verpflichten

sich nach meinem Vorschlag richten.

Dies könnte vielmehr Frieden geben

Und retten viele Menschenleben.“

 

Kurt Sonn ist Dichter, Maler, Sänger und bleibt mit 82 Jahren ein aufgeweckter, hellwacher Zeitgenosse. Seine wahre Leidenschaft ist das Malen.

Der Fall des „Affärengewehrs“ G36 wird derzeit im Verteidigungsausschuß verhandelt. Außer technischen Fragen müssen die Abgeordneten klären, ob Korruption bei der jahrelangen Vertuschung im Spiel war.

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L237 – Ein Dachboden enthüllt seine Geheimnisse

In der Straße Dlouha 24 in Terezin steht ein unscheinbares Eckhaus. Eine Pizzeria bietet im Erdgeschoss Pasta, Pizza und frisches Budweiser vom Fass an. Oben auf dem Dachboden hat sich siebzig Jahre lang ein gut gehütetes Geheimnis verborgen. Hier hat ein junger Mann zwischen Müll und Gerümpel Zeichnungen und Graffitis entdeckt. Zeichnungen von Kindern. Schauplatz: Terezin, auf Deutsch Theresienstadt. Das zweistöckige Haus gehörte einmal zum Block L 237. Mitten im Ghetto.

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Theresienstadt. Dlouha 24. Einst Bahnhofstraße. In der Zeit des Ghettos: Block 237.

Lukas Lev ist ein aufgeweckter tschechischer Student. Er verdient sein Geld mit Touristen, die aus der ganzen Welt nach Theresienstadt kommen – rund siebzig Kilometer nördlich von Prag. Kenntnisreich und energisch führt er die Besucher durch Festung und Garnisonstadt Terezin. Von der K.u.K-Monarchie im 18. Jahrhundert errichtet, um die Preußen aufzuhalten. Das Bollwerk wurde jedoch nie gebraucht. Erst die Nazis nutzten die monumentale Anlage als Aufnahme-, Sammel- und Durchgangslager. Es war – vor allem – ein Todeslager.

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„Mein liebes Bavorov – Städtchen im Böhmerwald.“ Eine der Wand-Botschaften aus dem Jahre 1944.

Von den 140.000 eingepferchten europäischen Juden starben in Terezin mindestens 35.000. Die meisten Insassen wurden zwischen 1942 und 1944 von dort aus weiter in die Vernichtungslager nach Osten transportiert. Endstation: Auschwitz. Über Theresienstadt gibt es einen legendären Propaganda-Film der SS. Der zehnminütige Streifen zeigt das Lager als blühende Landschaft mit Kräutergarten, Bäckerei, Theater und wohlversorgten Ghetto-Insassen.

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Karlsbrücke und Burg in Prag. Zeichnung auf dem Dachboden nach 70 Jahren entdeckt.

 

Die Wirklichkeit sah anders aus. Von 15.000 Kindern haben gerade 150 das Ghetto überlebt. Auf dem Dachboden im Block L237 hat Lukas Lev letztes Jahr an Wänden und Dachbalken letzte Hinterlassenschaften von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen entdeckt. Heimliche Zeichnungen. Zeichen des unbedingten Überlebenswillens. Sie erzählen von Hoffnung und Heimweh, Liebeskummer und Läusen. In insgesamt elf Dachböden sind solche beeindruckenden Botschaften gefunden worden.

Besonders die Zeichnungen der Kinder gehen unter die Haut. Bilder von Marienkäfern und Windmühlen. Es sind krakelige Hilferufe nach einem Leben ohne Gewalt, Angst und Willkür. Diese Zeugnisse wurden in den letzten Jahrzehnten vergessen. Sie sind akut bedroht, weil sich niemand von offizieller Seite findet, der die Funde retten will. Lukas Lev hat seine Arbeit bislang komplett aus eigener Tasche finanziert. Anfang Juni werden die Bilder zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellt.

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Das „Sammellager“ Theresienstadt existierte von 1942 bis 1945. Die einstige Festung- und Garnisonstadt, ausgelegt für 6.000 Soldaten, war ständig mit rund 60.000 Menschen aus ganz Europa belegt.

 

Weitere Informationen unter ghettospuren.

The thrill is gone

Nun hat er seine letzte Reise angetreten. B.B. King hat uns verlassen. Er war der lebende Beweis für drei Dinge, die im Leben wichtig sind. Der Blues. Die Frauen. Und dass aus Niederlagen Glücksmomente werden können. Das war, das ist B.B. King. The thrill is gone. Dieser Kick ist vorbei. Aber seine Musik bleibt.

Unvergessen sind seine Konzerte mit Eric Clapton. Er war Lehrmeister für Generationen von schwarzen und weißen Musikern. 1925 in Mississippi geboren, bewies King allen Widerständen zum Trotz was es heißt der „König des Blues“ zu sein. Er ließ sich von allen rassistischen Anfeindungen nicht unterkriegen. Der Mann aus Mississippi brachte es auf mehr als 15.000 Auftritte, verkaufte mehr als vierzig Millionen Tonträger.

 

 

Er hatte fünfzehn Kinder von fünfzehn verschiedenen Frauen. Nicht ein einziges sei ehelich gewesen, heißt es. Seine beiden Ehen scheiterten. Wahrscheinlich weil er ein Leben lang unterwegs war. Verheiratet war er nur mit Lucille, seiner heiß geliebten Gibson-Gitarre. Seine simple Botschaft: „Ich hatte immer ein gutes Verhältnis zu den Müttern meiner Kinder – vorher, währenddessen und hinterher“.

B.B. King. Das BB stand für Blues Boy. John Lennon bewunderte ihn. BB spielte vor der Queen und im Weißen Haus. Seine Musik war einfach. Dazu sagte er: „Ich bin eben ein einfacher Arbeiter“. Aber seine Auftritte hatten den Blues. Eine Seele. Das bleibt. Am 14. Mai ist B.B. King im Alter von 89 Jahren gestorben. In diesem Sinne: Let the good times roll… Danke B. B. King!

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Vom „Berliner Unwillen“

In wenigen Wochen feiert das neue Berliner Schloss offiziell Richtfest. Humboldtforum soll das 600-Millionen-Projekt ideologisch-unverdächtig heißen. Ab Mitte 2019 soll der Neo-Preußen-Palast eingeweiht werden. Auf leisen Sohlen schleicht die politische Elite um den kolossalen Neubau. Es heißt: Bloß keine schlafenden Hunde wecken. Nur in keine Fettnäpfchen stolpern. Vor allem: kein finanzielles und organisatorisches Desaster wie beim Hauptstadtflughafen produzieren. Nur kein: Berlin kann alles – außer Prestigebauten.

Der stille Ehrgeiz der Macher gilt der besten Adresse Berlins. Schlossplatz 1. Einige Jahrzehnte lang hieß der zentrale Ort der Stadt Marx-Engels-Platz. Was auffällt: Planer und Verantwortliche drängt es weder in Talkshows noch zu offenen Bekenntnissen in den Nachrichten. Das Schloss soll möglichst geräuschlos auf die Bühne der Republik gebracht werden. Getreu der Devise: Die Zukunft im Sinn – die Vergangenheit als Vorbild.

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Berliner Schloss im Rohbau. Richtfest ist Mitte Juni 2015.

Der Schlossplatz war jedoch schon immer ein heiß umkämpftes und umstrittenes Gelände. Prunkbauten waren hier noch nie willkommen. Zudem: Keiner der Hohenzollern fühlte sich jemals im Stadtschloss wohl oder auch nur annähernd glücklich. Die Hausherren verflüchtigten sich lieber auf ihre Liegenschaften in Charlottenburg, Rheinsberg oder ganz besonders Sanssouci.

 

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So sieht das „Humboldtforum“ nach den Vorstellungen der Planer aus. Geplante Einweihung: ab Mitte 2019.

Schon im 15. Jahrhundert beim allerersten Schlossbau zeigten die widerspenstigen Berliner, was sie von den Plänen des damals regierenden Kurfürsten Friedrich II hielten. Nichts! Als der brandenburgische Markgraf, im Volksmund nur „Eisenzahn“ genannt, sein Prestigeprojekt durchdrückte, wurde der Bauplatz 1448 sogleich mit Spreewasser geflutet. Aufgebrachte Berliner verhafteten außerdem den Hofrichter Balthasar Hake und vernichteten alle Unterlagen.

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Kurfürst Friedrich II. Der „Eiserne“ oder auch „Eisenzahn“ genannt.

 

Das Schloss wurde um einige Jahre verzögert, konnte aber letztlich nicht verhindert werden. Die Proteste der aufmüpfigen Bürger gingen als „Berliner Unwille“ in die Geschichtsbücher ein. Friedrich II, jener besagte Eisenzahn, erhielt sein Schloss am heutigen Platze. Das Schloss machte den hartherzigen Markgraf bei seinen Untertanen zu keinem Zeitpunkt beliebter. Aber diese Geschichte ist über fünfhundert Jahre alt. Und längst vergessen.

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„Palast der Republik“. 1990 geschlossen. Der DDR-Prunkbau musste Anfang des 21. Jahrhunderts weichen, wegen Asbest, wie es offiziell hieß.

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„Zu feige“

Auf einer Mittelinsel mitten im Verkehrslärm der Berliner Uhlandstraße steht eine neue kleine Gedenktafel. Dort ist zu lesen: „Hier wurde in den letzten Tagen des April 1945 ein 17-Jähriger von den Nationalsozialisten erhängt.“ Auf und vor der Tafel liegen ein paar frische Blumensträuße. Selten bleibt ein Passant an dieser belebten Straße im Berliner Westen stehen. Verharrt für einen Moment um zu lesen, was dort steht.

Was ist hier passiert? Die Front nahte. In den letzten Kriegstagen hatte sich ein Junge in einem Keller im bürgerlichen Bezirk Wilmersdorf versteckt. SS-Männer zogen den 17-Jährigen aus seinem Versteck und knüpften ihn an einer Laterne vor dem Haus Uhlandstraße 103 auf. Die Wäscheleine dazu hatten sie sich im Nachbarhaus beschafft. Um den Hals banden sie dem Jugendlichen ein Schild. Dort war zu lesen: „Ich war zu feige, für Deutschland zu kämpfen.“ Zur Abschreckung blieb sein Leichnam mehrere Tage hängen.

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Berlin-Wilmersdorf. Uhland-Straße. Eine unscheinbare Gedenktafel mitten auf der Straße.

Wer war dieser Junge, fast noch ein Kindersoldat? Auch siebzig Jahre danach ist nur bekannt, dass er zum Volkssturm gehörte und eine viel zu große Jacke trug – ausgerechnet eine der Waffen-SS. War er freiwillig bei der SS eingetreten wie einst Günter Grass oder hatte er die Jacke einfach gefunden? Ist er denunziert worden? Wie war sein Name? Wo kam er her? Welche Pläne hatte er?

Bis Anfang der fünfziger Jahre legten Anwohner am Todestag Blumen vor dem Haus nieder. Sie erinnerten mit einem beschrifteten Pappkarton an die Hinrichtung auf offener Straße. Vor zwanzig Jahren unternahm eine Friedensinitiative einen ersten Versuch, an den unbekannten Toten zu erinnern. Deren Antrag auf eine Gedenktafel wurde damals von der Kommission abgelehnt – wegen der Waffen-SS-Jacke.

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Die neue Gedenktafel. Vor 20 Jahren war ein Antrag in Berlin gescheitert. Begründung: der hingerichtete Junge hatte eine Waffen-SS-Uniformjacke an.

 

Adolf Hitler hatte einmal erklärt: „Soldaten können sterben. Deserteure müssen sterben.“ Der Junge aus der Uhlandstraße ist einer von 3.760.000 toten Wehrmachtssoldaten des II. Weltkrieges. Er starb in letzter Minute, weil er nicht mehr kämpfen wollte. Wenige Stunden, bevor die Rote Armee auch die Wilmersdorfer Uhlandstraße von SS-Kommandos befreite.

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Kain und Abel

Das Lächeln erlosch und sein Gesicht war so verschlossen, als habe man die schwerste Tür direkt vor seiner Nase zugeschlagen. So geht es zu, wenn sich die verfeindeten Brüder des Nahost-Konfliktes begegnen. Es bleibt eine einfache Frage: Wer kann dieses Menschheitsproblem zwischen Israelis und Palästinensern lösen? Den Streit  Kain und Abel?

Amos Oz, der große israelische Erzähler wagt sich an den brisanten Stoff und sucht in seinem neuen Roman „Judas“ nach Antworten. Findet er welche? Wer ist also der Held, wer der Verräter? Er schildert die Wahrheitssuche eines jungen Mannes, für den Judas Ischaroit kein Verräter von Jesus war, sondern „der treueste und ergebenste Jünger “.

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Der „Judas-Kuss“. Typische Darstellung des Menschheits-Verräters.

 

Amos Oz entwickelt die Geschichte des Zionisten Schealtiel Abrabanel, der sich 1947 bei der Staatengründung Israels offen gegen seine eigene Jewish Agency stellte. Der idealistische Außenseiter warb für einen Staatenverbund mit den Palästinensern, stimmte gegen einen unabhängigen Judenstaat. Er wollte mit den Arabern gemeinsam unter einem Dach zusammenleben. Als Partner.

Für sein Nein wurde Abrabanel von Zeitgenossen und einstigen Weggefährten als Judas attackiert, aus allen Organisationen geworfen und totgeschwiegen. Abrabanel zog sich verbittert zurück und „hüllte sich in seine Kränkung wie in ein Leichentuch“. Abrabanel gab es nie. Er ist eine fiktive Figur, die Oz zu Leben erweckt. Man nimmt sie dem großen israelischen Schriftsteller jedoch unbesehen ab.

 

Amos Oz erklärt an einer Schlüsselstelle seines lesenswerten Romans: „Die Wahrheit ist, dass alle Macht der Welt den Feind nicht in einen Freund verwandeln kann.“ Und weiter: „Mit aller Macht der Welt kann man aus einem Rachedurstigen keinen Freund machen. Und genau da liegen die existenziellen Probleme des Staates Israel.“

Was ist nun die Lösung dieses jahrzehntealten Konfliktes, blitzgefährlich wie eine Zeitbombe? Amos Oz zitiert den großen deutschen Aufklärer Immanuel Kant: „Aus so krummem Holz, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts Gerades gezimmert werden.“ Eine Lösung gibt es folglich nicht, aber eine Entschärfung der explosiven Mischung aus Hass und Gift tut Not. Wenn Kain und Abel es nur wirklich wollten.

 

Amos Oz. Judas. Suhrkamp. 2015.

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Mehr Hirn

Täglich erneuern sich in unserem Hirn etwa 100 Milliarden Nervenzellen. Das ist gut so. Insgesamt rund eine Billiarde intakter Synapsen (eine Eins mit 15 Nullen) sind in einem menschlichen Gehirn bei guter Führung anzutreffen. Unser faszinierendes Navi im Hirn wird durch ständiges Training besser. Dieses Lernen sorgt dafür, dass unser Gehirn dichter, keineswegs schwerer wird. Gott sei Dank! Das würde nur Kopfschmerzen verursachen.

Eine der wichtigsten Erkenntnisse ist dem Ulmer Hirnforscher Manfred Spitzer zufolge, dass unsere sozialen Fähigkeiten mit den Aufgaben wachsen. Dummerweise gilt umgekehrt folgende Grundregel: Je länger Menschen vor dem Laptop oder am Smartphone hängen, desto geringer ist ihr Sozialverhalten ausgeprägt. Empathie und Emotionen für andere nehmen mit Zunahme des digitalen Verkehrs deutlich ab. Ebenso Konzentration- und Merkfähigkeiten. Das belegen zahlreiche US-Studien aus Stanford, Princeton und Harvard.

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Unsere linke Hirnhälfte steuert Sprache und Emotionen.

Der Ulmer Psychologe weist darauf hin, dass es mittlerweile regelrechte Selbstmorde am Computer gibt – in Form von Herz- oder Hirntod durch übermäßige Nutzung bis zur totalen Erschöpfung. Spitzer sagt: „Google macht dumm. Bei Google lernt man am wenigsten.“ Der Computer merke sich alles, der Mensch vergesse diese Informationen sofort wieder. Ohne eigenes Wissen mache Google keinen Sinn. Lernen sei wie eine Kerze anzünden. Der Docht ist entscheidend. Der Docht beim Lernen ist die menschliche Neugierde.

Spitzers Hirnformel lautet: Wer dauernd dattelt, lernt weniger, erhöht sein Angstniveau und fördert letztlich Versagensängste. Handys machen also nur Stress, verhindern Lernfortschritte, Glück und Selbstbewusstsein. WLAN habe nichts in Schulen oder Hörsälen zu suchen. Multi-Tasking beim Lernen sei Unsinn. Der Mensch kann keine zwei Bedeutungsstränge zeitgleich verarbeiten, so Manfred Spitzer in seiner Rede zur Eröffnung der Medizinischen Hochschule Brandenburg in Neuruppin.

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Manfred Spitzer erklärt Studenten und Professoren, wie wichtig Hirn, Herz und Hand für den Erfolg sind. „Vergesst Google! Lasst den Laptop zuhause!“

Den erstaunten Jung-Akademikern rät er noch, dem Vorbild leitender Mitarbeiter von Google und Amazon zu folgen. Die Manager schicken ihre Kinder in Silicon Valley auf eine Waldorf-Schule. Dort sind Computer und Smartphones strikt verboten.

In diesem Sinne: Danke für Ihren digitalen Besuch. Wenn Sie ihr Hirn weiter trainieren wollen, schalten Sie baldmöglichst wieder ab!