Category : aktuelles

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Fuck you, Othello

Sommerzeit. Chance zum Abschalten, Runterkommen und Entdecken. Es muss keine Weltreise sein. Keine überfüllten Autobahnen, Flughäfen oder Züge. Manches Ziel liegt sehr nahe. Immer wieder Neues entdecken kann man im kleinen brandenburgischen Netzeband in der Nähe von Neuruppin. Mit dem PKW ist es von Berlin eine gute Stunde entfernt, wenn alles klappt, aber das Beste: Netzeband hat einen eigenen Bahnanschluss und kann mit der RE6 alle zwei Stunden erreicht werden. Das vergessene Straßendorf hat der Düsseldorfer Landschaftsarchitekt Horst Wagenfeld nach der Wende wachgeküsst. Seit dreißig Jahren lebt nun das knapp 200-Seelen-Theaterdorf seinen Traum. Und der heißt: Kunst und Kultur für alle. Theater, Klassik, Jazz, Disco, Lesungen, kurz: das volle Programm.

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„Wirds besser?“

„Wirds schlimmer? Leben ist immer lebensgefährlich.“ Einer der vielen Erich Kästner-Sätze, die mich ein Leben lang begleiten. Seit ich lesen und einigermaßen denken kann, ist Kästner mein treuer Weggefährte. Aus seinem „Emil und die Detektive“ habe ich mit acht oder neun Jahren meine erste Kurzgeschichte zusammengebastelt. Mit Bleistift und Radiergummi im kleinen schwarzen Oktavheft, liebevoll „Muttiheft“ genannt. Ich hatte seinen Emil  mehr oder weniger übernommen, nur einige Varianten waren neu und ein paar Namen. Egal. Die Erwachsenen lobten mich, meine Eltern nickten beifällig, meine Tante spendierte ein Eis. Später sah ich ein Fernsehporträt in Schwarz-Weiß. Schriftsteller Kästner saß mit Anzug und Hut in den Bergen auf einer Holzbank mit Tisch.

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Sterne am rumänischen Himmel

Gute Geschichten erzählen sich von selbst, heißt es. Klingt verlockend einfach, ist jedoch keineswegs so leicht. Für die heißen Sommertage kann ich eine spannende und vielversprechende Entdeckungsreise empfehlen. Ein Buch wie eine Einladung. Keines, bei dem man ohne Gangschaltung einen hohen Berg hinaufstrampeln muss. Wie heißt es?  “Das Pfauengemälde”. Die Reise führt nach Rumänien. Für viele ein Land irgendwo im Hinterhof Europas, unbekannt, verwegen, fremd. Das Karpatenland hat jedoch mehr zu bieten als die üblichen Netflix-Klischees von Pferdewagen, Bären, billigen Arbeitskräften, Kriminellen, Neureichen und Securitate-Finsterlingen.     Das Roman-Debüt von Maria Bidian erzählt eine Vater-Tochter-Exil-Geschichte. Maria Bidian sagt mir: “Rumänien ist ein sehr herzliches, wildes Land. Wo gerade sehr viel

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Die Kunst der Verführung

Können wir aus der Geschichte lernen? Oder tappen wir heute wieder in die gleiche Falle? Haben wir keine Schlüsse gezogen aus den Erfahrungen unserer Eltern und Großeltern? Das neues Kino-Dokudrama „Führer und Verführer“ erzählt über die Kraft der Lügen und die Macht der Inszenierung. Dies sei ein Film für heute, heißt es. Es geht um die Geschichte der Verführung eines ganzen Volkes. Ein Meister der Inszenierung aus Deutschland war NS-Propagandaminister Joseph Goebbels. Robert Stadlober spielt diesen schreienden, schmeichelnden, genialisch verführerischen, abgrundtief hassenden Rheinländer mit Hut und Hinkefuß. Goebbels: „Propaganda ist eine Kunst wie die Malerei. Wir schaffen Bilder, die bleiben werden. Wir gehen in die Geschichte ein.“ In einer Mischung

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Der Mutmacher

Zwei ältere Herren plaudern vor einer großen Leinwand in Potsdam. Anlass ist ein kleines, feines Literaturfestival mit dem Thema: „Vorwärts zur Natur.“ Was geht da ab? Nicht zurück zur Natur wie einst bei Jean-Jacques Rousseau, lautet das Versprechen: Nein, vorwärts zu neuen Ideen und Lösungen. In der ersten Reihe des Thalia-Kinos sitzt ARD-Literaturpapst Denis Scheck, der Leiter des Events. Der große Saal ist gut gefüllt. Ex-Berlinale Chef Dieter Kosslick versucht Filmemacher Volker Schlöndorff alles über seine Liebe zu Bäumen, das Geheimnis guter Filme und die Kunst des Geschichtenerzählens zu entlocken. Die meisten im Saal warten auf Schlöndorffs Doku-Film: „Der Waldmacher“. Es ist die Geschichte eines Australier, der eine patente Lösung

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Warten auf den Zug

Es ist heiß und schwül. Am Horizont türmen sich schwarze Wolken. Warten auf einem Bahnhof in der Provinz. Der Bahnsteig füllt sich. Auf einer Bank telefonieren zwei dralle Girlies in voller Lautstärke und in viel zu kurzen Hotpants. Auf Arabisch. Eine dritte Person quäkt aus dem aufgedrehten Handy. Die Mädels gackern, als wären sie allein auf der Welt. Der Zug kommt nicht. Verspätung. Alle sind genervt. Yalla, yalla schallt es über den Bahnhof. Die meisten Wartenden starren unbeteiligt auf ihre Smartphones. Plötzlich schreit ein Bärtiger vom gegenüberliegenden Bahnsteig: „Ruhe. Verdammt noch mal.“ – Die Ladys kontern sofort: Gut, gut. Das ist zu verstehen, ein Wortschwall folgt auf Arabisch. Sollte man

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Geile Zeit

Wer sich am Rathaus Neukölln aus der U-Bahn schält, taucht in einer anderen Welt auf. Der Orient ruft. Schnurstracks geht es über die wuselige Karl-Marx-Straße zu einem in die Jahre gekommenen Kaufhaus. Dort muss irgendwo ein Fahrstuhl sein. Wo geht´s bitte zum Klunkerkranich, frage ich die bunt geschminkte Kosmetikverkäuferin mit Kopftuch. „Hey Bruder, da war ich noch nie. Aber irgendwo da hinten, zwischen New Yorker und Lidl ist ein Lift. Krass, checke Parkdeck 5.“ Oben angelangt, suche ich nach dem Zugang ins gelobte Land. Am Ende der dunklen Hochgarage, startklar für jeden Tatort-Dreh, steht: Zur Lesung „Geile Zeit“. Da will ich hin. Eine gepiercte Lady fragt gelangweilt: Wo willste hin?

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Frau am Bass

Der Bass ist nur die Verwaltung seiner selbst. Brumm, brumm. Nichts Neues. Nur Stillstand. Irrtum! Die meisten Bassisten sind männlich, eher zurückgezogen und häufig im Hintergrund. Nein! Als Solo-Instrument im modernen Groove übernimmt der Bass nur eine dienende, selten aktive Rolle. Die tiefen Töne sind für Struktur, Begleitung und Tiefe zuständig. Noch ein Irrtum! Darf ich vorstellen: Kinga Glyk. Virtuos hat die junge Bassistin ihren eigenen Stil entwickelt. Sie zeigt eine eigene Handschrift, die überrascht und überzeugt. Kinga gelang mit 19 Jahren der Durchbrch zu ihrer internationale Karriere. 2017 konnte ich die junge Polin zum ersten Mal im heute journal einem breiten Publikum vorstellen. Kinga gilt als eines der Super-Talente

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Mein erstes Mal

Frühe Morgenrunde durch den hochherrschaftlichen Schlosspark Neuhardenberg. Graue Wolken hängen tief über dem urpreußischen Anwesen nahe der deutsch-polnischen Grenze. Das Schlossensemble sieht aus, als wäre ein riesiges weißes Ufo mitten im märkischen Oderbruch gelandet. Ein Reiher lauert am Teich auf Beute. Ein paar Krähen krakeelen. Ansonsten: Stille, Friedfertigkeit, Harmonie. Einfach nur Durchatmen. Es sind meine ersten Stunden als frischgebackener Rentner. Ich bin einer von den vielen Babyboomern, die gerade den Ablauf ihrer Betriebszeit erleben. Plötzlich kreuzt ein kräftiger Landmann mit Muskelshirt und schwarzem Labrador-Schäferhund-Mischling meine Wege. Wir grüßen uns freundlich.     Wir kommen ins Gespräch. Er drehe hier im Park regelmäßig seine Runden, zwischen Schloss, Eichen und Rotbuchen. Neuhardenberg

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Lesen macht reich

S-Bahnhof Savignyplatz. Die junge Frau sitzt am Ende der langen Treppe vor dem Ausgang. Meist im Schneidersitz. In der Regel ist sie nachmittags anzutreffen. Große Brille, Hoodie, die Nase stets in ein Buch vertieft. Sie hat sich eingerichtet. Eine Decke auf dem Boden. Zwei, drei Kissen im Rücken, ein paar Kuscheltiere. Im Beutel ein Stück Fladenbrot. Die Frau hat hier ihren Stammplatz. Sie liest in aller Ruhe, als wäre es das Normalste der Welt. Passanten eilen hektisch vorbei, an der Leserin mit ihrer kleinen Spendenschale. Die junge Frau spricht keine Menschen an, schnorrt nicht, verkauft keinen „Straßenfeger“, wirft niemanden einen flehenden Blick zu. Kein „Haste mal nen Euro oder was

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