Category : aktuelles

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Petras Traum

Sie war gerade einmal 44 Jahre alt, als sie im Oktober 1992 mit einem Kopfschuss in einem Bonner Reihenhaus aufgefunden wurde. Petra Kelly. Friedenskämpferin. Frauenrechtlerin. Frontfrau im internationalen Kampf für Menschenrechte. Die Kugel stammte aus der Pistole ihres Partners und Beschützers Gerd Bastian. Ein Ex-General, der sich unmittelbar danach selbst das Leben nahm. Das tragische Ende konnte bis heute nicht restlos und zweifelsfrei geklärt werden. Doch auch der neue bewegende Dokumentarfilm „Act Now“ von Doris Metz lässt nur einen Schluss zu. Es war Mord, kein verzweifelter Doppelselbstmord. So hatte Alice Schwarzer bereits 1993 ihre Recherchen im Buch „Eine tödliche Liebe“ auf den Punkt gebracht.     Das kurze Leben der

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Der Bankier

Das wahre Leben spielt sich auf Bänken ab. So der 35-jährige Schriftsteller Patrick Holzapfel in seinem Debütroman: „Hermelin auf Bänken“. Schauplatz: seine Wahlheimat Wien. Nicht das Touristen-Fiaker-Walzer-Wien im ¾-Takt mit viel Inszenierung, Opernball, Burgtheater, Zentralfriedhof-Melancholie und Wiener Schmäh. Nein. Der gebürtige Augsburger Holzapfel schaut auf die kleinen Bühnen des Lebens. Er konzentriert sich auf Sitzgelegenheiten aller Art zwischen Donau und 9. Bezirk. Sein Ausgangspunkt: Wir haben das Sehen verlernt. Sein „Bank“geheimnis: Hinsetzen, entschleunigen, wahrnehmen. Unablässig steuert sein Held, ein Student alle möglichen Park-, Sitz- und Stadtmöbel der Stadt an. Seine Mutter ist gerade verstorben. Er studiert lieber das Leben als unnützes Wissen im Hörsaal. »Je länger man sitzt, desto mehr

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Leni forever?

Sie war Hitlers Lieblingsregisseurin. Und seine beste Frau für filmische Propaganda. Leni Riefenstahl. Wie keine andere perfektionierte die ehrgeizige Filmemacherin Ästhetik, Macht und Verführbarkeit des Faschismus. Leni Riefenstahl zählt zu den bekanntesten und umstrittensten Frauen des 20. Jahrhunderts. An diesen großen Mythos hat sich Andres Veiel gewagt. Er nähert sich der Berlinerin aus dem Weddinger Arbeitermilieu, die mit „Triumph des Willens“ und „Olympia“ Bilder schuf, die bis heute wirken. Veiel ist ein beharrlicher Dokumentarfilmer, der sich akribisch mit sperrigen Tabu-Themen auseinandersetzt. Erinnert sei an Der Kick, Black Box BRD oder Beuys.  Auf den diesjährigen Filmfestspielen in Venedig feiert Veiels neuer Dokumentarfilm „Leni Riefenstahl“ Premiere. Es ist sein Versuch, ihre Magie

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„Wo Freunde sind, da ist Heimat“

Die Berlinerin Inge Deutschkron wurde fast hundert Jahre alt. Alt werden sei keine Leistung, sagte sie manchmal, denn etwas anderes war ihr viel wichtiger: Sie überlebte die Nazis um sage und schreibe 77 Jahre, als sie im Frühjahr 2022 starb. Ihr persönlicher Triumph, betonte Inge Deutschkron. Denn die Hitler-Partei wollte sie und ihre ganze Familie ausrotten. Einfach nur, weil sie „jüdisch“ waren. Ihre Bindung an den Glauben? Fehlanzeige. Vater Martin, ein Sozialdemokrat und Träger des „Ehrenkreuz für Frontkämpfer“ im I. Weltkrieg wurde 1933 aus dem Staatsdienst entlassen. Er konnte im April 1939 nach England auswandern. Inge blieb mit ihrer Mutter Ella in Berlin. Die beiden Frauen mussten ab Januar 1943

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Was tut gut?

Neulich mit meiner sechsjährigen Enkelin im Bäckerladen. Bei all den feilgebotenen Köstlichkeiten kann sie sich nicht sofort entscheiden. Ihre Wahl fällt auf ein schlichtes Croissant. Eine Kundin in der Warteschlange beobachtet uns aufmerksam. Als wir bezahlen und uns Richtung Ausgang bewegen, schaut uns die Frau fragend an. „Na, bei so einer süßen Tochter kann der Papa aber mächtig stolz sein.“ Wir lachen. Die Dame traut mir eine Menge zu. Sie macht meinen Morgen zu einem das-tut-mir-gut-Ereignis. „Ich bin nur der Opa“, antworte ich und wünsche einen schönen Tag. Nach dem Frühstück singt die Sechsjährige gemeinsam mit ihrer zwei Jahre älteren Schwester textsicher und mit großer Leidenschaft Katharina von AnnenMayKantereit. “Katharina,

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Fuck you, Othello

Sommerzeit. Chance zum Abschalten, Runterkommen und Entdecken. Es muss keine Weltreise sein. Keine überfüllten Autobahnen, Flughäfen oder Züge. Manches Ziel liegt sehr nahe. Immer wieder Neues entdecken kann man im kleinen brandenburgischen Netzeband in der Nähe von Neuruppin. Mit dem PKW ist es von Berlin eine gute Stunde entfernt, wenn alles klappt, aber das Beste: Netzeband hat einen eigenen Bahnanschluss und kann mit der RE6 alle zwei Stunden erreicht werden. Das vergessene Straßendorf hat der Düsseldorfer Landschaftsarchitekt Horst Wagenfeld nach der Wende wachgeküsst. Seit dreißig Jahren lebt nun das knapp 200-Seelen-Theaterdorf seinen Traum. Und der heißt: Kunst und Kultur für alle. Theater, Klassik, Jazz, Disco, Lesungen, kurz: das volle Programm.

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„Wirds besser?“

„Wirds schlimmer? Leben ist immer lebensgefährlich.“ Einer der vielen Erich Kästner-Sätze, die mich ein Leben lang begleiten. Seit ich lesen und einigermaßen denken kann, ist Kästner mein treuer Weggefährte. Aus seinem „Emil und die Detektive“ habe ich mit acht oder neun Jahren meine erste Kurzgeschichte zusammengebastelt. Mit Bleistift und Radiergummi im kleinen schwarzen Oktavheft, liebevoll „Muttiheft“ genannt. Ich hatte seinen Emil  mehr oder weniger übernommen, nur einige Varianten waren neu und ein paar Namen. Egal. Die Erwachsenen lobten mich, meine Eltern nickten beifällig, meine Tante spendierte ein Eis. Später sah ich ein Fernsehporträt in Schwarz-Weiß. Schriftsteller Kästner saß mit Anzug und Hut in den Bergen auf einer Holzbank mit Tisch.

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Sterne am rumänischen Himmel

Gute Geschichten erzählen sich von selbst, heißt es. Klingt verlockend einfach, ist jedoch keineswegs so leicht. Für die heißen Sommertage kann ich eine spannende und vielversprechende Entdeckungsreise empfehlen. Ein Buch wie eine Einladung. Keines, bei dem man ohne Gangschaltung einen hohen Berg hinaufstrampeln muss. Wie heißt es?  “Das Pfauengemälde”. Die Reise führt nach Rumänien. Für viele ein Land irgendwo im Hinterhof Europas, unbekannt, verwegen, fremd. Das Karpatenland hat jedoch mehr zu bieten als die üblichen Netflix-Klischees von Pferdewagen, Bären, billigen Arbeitskräften, Kriminellen, Neureichen und Securitate-Finsterlingen.     Das Roman-Debüt von Maria Bidian erzählt eine Vater-Tochter-Exil-Geschichte. Maria Bidian sagt mir: “Rumänien ist ein sehr herzliches, wildes Land. Wo gerade sehr viel

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Die Kunst der Verführung

Können wir aus der Geschichte lernen? Oder tappen wir heute wieder in die gleiche Falle? Haben wir keine Schlüsse gezogen aus den Erfahrungen unserer Eltern und Großeltern? Das neues Kino-Dokudrama „Führer und Verführer“ erzählt über die Kraft der Lügen und die Macht der Inszenierung. Dies sei ein Film für heute, heißt es. Es geht um die Geschichte der Verführung eines ganzen Volkes. Ein Meister der Inszenierung aus Deutschland war NS-Propagandaminister Joseph Goebbels. Robert Stadlober spielt diesen schreienden, schmeichelnden, genialisch verführerischen, abgrundtief hassenden Rheinländer mit Hut und Hinkefuß. Goebbels: „Propaganda ist eine Kunst wie die Malerei. Wir schaffen Bilder, die bleiben werden. Wir gehen in die Geschichte ein.“ In einer Mischung

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Der Mutmacher

Zwei ältere Herren plaudern vor einer großen Leinwand in Potsdam. Anlass ist ein kleines, feines Literaturfestival mit dem Thema: „Vorwärts zur Natur.“ Was geht da ab? Nicht zurück zur Natur wie einst bei Jean-Jacques Rousseau, lautet das Versprechen: Nein, vorwärts zu neuen Ideen und Lösungen. In der ersten Reihe des Thalia-Kinos sitzt ARD-Literaturpapst Denis Scheck, der Leiter des Events. Der große Saal ist gut gefüllt. Ex-Berlinale Chef Dieter Kosslick versucht Filmemacher Volker Schlöndorff alles über seine Liebe zu Bäumen, das Geheimnis guter Filme und die Kunst des Geschichtenerzählens zu entlocken. Die meisten im Saal warten auf Schlöndorffs Doku-Film: „Der Waldmacher“. Es ist die Geschichte eines Australier, der eine patente Lösung

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