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Brot ist Leben

Was muss in ihr vorgegangen sein? In der Todesstunde, gegen Mitternacht in Berlin-Plötzensee. Wir wissen es nicht. Margarete Elchlepp starb „im Namen des Volkes“ einsam unter dem Fallbeil. Ihr Verbrechen: Sie hatte kurz vor Kriegsende mit Hunderten anderen hungernden Menschen in Berlin-Köpenick Brot verlangt. Die Hausfrau starb am 8. April 1945 um 0.45 Uhr. Genau wie ihr Leidensgenosse Tischlermeister Max Hilliges. Die beiden Köpenicker wurden als „Rädelsführer“ wegen „Landfriedensbruchs, Plünderns und Wehrkraftzersetzung“ enthauptet. Auf Befehl von „Reichsverteidigungskommissar“ Joseph Goebbels. Ermöglicht durch einen fanatischen NS-Ortsgruppenleiter, denunziert von Hitler-treuen Frauen aus der Nachbarschaft. Das grausame Ende des Brotaufstands von Rahnsdorf: Drei Todesurteile, zwei vollstreckt. Eine Frau wurde in letzter Minute zu acht Jahren Zuchthaus begnadigt, weil sie Mutter von drei Kindern war. Hingerichtet für ein Stück Brot, vier Wochen vor dem Ende des Dritten Reiches.

 

Magarete Elchlepp (1899-1945) Ihren Wunsch nach Brot musste sie am 8. April 1945 um 0.45 Uhr mit dem Leben bezahlen. Foto: Familiennachlass Elchlepp

 

Freitag, 6. April 1945. Im beschaulichen Berliner Vorort Rahnsdorf am Müggelsee verbreitet sich am Vormittag ein Gerücht. Brot gibt es nur noch für NS-Mitglieder! Hunderte Köpenicker eilen zu den drei Bäckern des Ortes. Frauen, Kinder, Alte. Zwei Bäcker zeigen Herz und verteilen das Brot zu 50,- Pfennig das Stück. Beim zentralen Bäcker an der Fürstenwalder Allee eskaliert die Situation. Das nazitreue Bäckerspaar weigert sich Brot an die Bevölkerung abzugeben. Der alarmierte Ortsgruppenleiter Hans Gathemann droht mit gezogener Waffe zu schießen, kann aber nicht verhindern, dass Brot den Besitzer wechselt. Es gibt Wortgefechte. Der in der Bäckerei mit Reparaturen beschäftigte Tischlermeister Max Hilliges sagt zum 52-jährigen NS-Funktionär: „Gib den Frauen doch Brot“. Und: „Deinen Rock wirst Du bald ausziehen müssen“.

 

Die ehemalige Bäckerei Deter in Berlin-Rahnsdorf vor der Sanierung. Links unter der Hausnummer ist die noch nicht enthüllte Gedenktafel von 1998 zu erkennen. Sie verschwand nach der Renovierung vor ca. fünf Jahren.

 

Margarete Elchlepp soll in der Menge vorne gestanden haben. Was sie genau getan oder gesagt hat, ist unbekannt. Laut Kripoakten soll sie „vermittelt haben“. Sie habe jedoch „unumwunden zugegeben, Brot genommen zu haben“. Schließlich gelingt es NS-Mann Gathemann, die wütende Menge zu vertreiben. Nun nehmen die Nazis Rache. Frauen aus der Umgebung notieren Namen auf einem Stück braunem Papppapier. Gathemann meldet die Beteiligten der Gestapo. Am selben Abend werden 15 Rahnsdorfer verhaftet und zum Polizeipräsidium am Alexanderplatz gebracht. Am folgenden Tag verurteilt ein Standgericht Max Hilliges (56), Margarete Elchlepp (45) und Gertrud Kleindienst (36) als „Rädelsführer“ zum Tode.

 

Max Hilliges. (1891-1945) Auch der Tischlermeister musste sterben, weil er es wagte, dem NS-Ortsgruppenleiter zu widersprechen. Foto: Gedenkstätte Deutscher Widerstand

 

Drei Stunden nach dem Urteil muss Margarete Elchlepp im Gefängnis Plötzensee ihre letzte Habe abgeben. Ein paar Halbschuhe, drei Taschentücher, zwei Halstücher und ein Wintermantel. Sie kann nicht einmal mehr quittieren. Ein rotes Kreuz wird nachträglich markiert. Es bedeutet Hinrichtung. Der Henker muss in der Nacht extra wegen der „Brotaffäre“ kommen. So dringend war Joseph Goebbels das Abschreckungsurteil, dass er den nächsten regulären Hinrichtungstermin am 10. April 1945 nicht abwarten wollte. In seinem Tagebuch notiert er: „So muss man vorgehen, wenn man in einer Millionenstadt Ordnung halten will. Und die Ordnung ist die Voraussetzung der Fortsetzung unseres Widerstandes.“

 

Das sog. Kammerbuch von Plötzensee. Eintrag Margarete Elchlepp vom 8. April 1945, ca. 0.30 Uhr. Kurz vor der Hinrichtung wurde ihr die letzte Habe abgenommen und genauestens protokoliiert.

 

Viele Jahrzehnte wurde das „Verbrechen gegen die eigene Bevölkerung“ vergessen und verdrängt, so Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Erst 1998 wurde eine (fehlerhafte) Gedenktafel am Haus der Bäckerei angebracht. Diese verschwand nach einem Eigentümerwechsel. Was wir mittlerweile wissen: NS-Ortsgruppenleiter Gathemann wurde laut Moskauer Akten von einem Sowjetischen Militärtribunal zum „Tode durch Erschießen“ verurteilt. Ob das Urteil vollzogen wurde, war bislang nicht zu erfahren. Eine der Frauen aus der Nachbarschaft wurde 1953 in der DDR zu sechs Jahren Zuchthaus „wegen Denunziation“ verurteilt. Sie saß fünf Jahre unter anderem im Frauengefängnis Hoheneck.

Familie Elchlepp sprach nur im engsten Familienkreis über das Schicksal Margaretes. Der heute 83-jährige Dietrich Elchlepp:„Ich erinnere mich als kleiner Bub, wie unsere Familie nur ganz leise über den Tod meiner Tante sprach. Mit Entsetzen in den Augen. Man wollte es einfach nicht glauben.“ Der ehemalige Europarlamentarier aus Denzlingen bei Freiburg schaut mich an: „Mir wird heute noch schlecht. Ich kann mir das richtig vorstellen. Es geht mir unheimlich nahe. Diese Unverhältnismäßigkeit. Für einen Laib Brot, Kopf ab.“ Dietrich Elchlepp ist eine Sache noch wichtig: „Wenn Herr Gauland von der AfD im Bundestag sagt, die NS-Zeit sei in der Geschichte Deutschlands nur ein Vogelschiss gewesen, dann sage ich ganz klar. Das war kein Vogelschiss. Das war die Ermordung der Margarete Elchlepp und vieler Hundertausende anderer.“

 

Margarete Elchlepp 1936. Die gebürtige Brandenburgerin aus Müncheberg war mit dem Steglitzer Textilkaufmann Walter Elchlepp verheiratet. Dieser stellte nach dem Krieg Anträge auf Entschädigung. Sie wurden abgelehnt. Foto: Familiennachlass Elchlepp

 

Margarete Elchlepp aus Berlin-Rahnsdorf wurde 45 Jahre alt. Seit Jahren wird versprochen, eine neue Gedenktafel an der Bäckerei anzubringen.

Über mittelmäßigen Sex

Kaya liebt Rammstein und norwegische Berge. Sie modelt für Gucci und spielt im Mystery-Thriller Thelma eine Studentin. Sie lebt in Oslo, New York und Berlin. Und singt in ihren Liedern: „Ich könnte eine Alge sein und du ein Pilz.“ Ihre Songs sind kleine Kurzgeschichten, ehrlich, überraschend und verstörend. Es geht um Hormoneinflüsse und Routine in der Therapie. „Ist der Sex mit mir nur mittelmäßig“, fragt sie. Sie kann über sich lachen und entdeckt die Fähigkeit sich selbst zu akzeptieren. Kaya Wilkins alias Okay Kaya ist eine junge Singer-Songwriterin, die etwas zu sagen hat. Weil sie zu ihrem Doppelleben steht.

 

 

Was die Dreißigjährige genau antreibt, ist nur schwer zu beschreiben. Sie hat viele Gesichter, führt mindestens zwei Leben. Vielleicht sogar einige mehr. Ihre Motivation – sie will den Dingen auf den Grund gehen. Eintauchen in neue Welten, das Geheimnis des Lebens entdecken. Geboren ist Kaya in New Jersey als Tochter einer Norwegerin und eines Amerikaners. Sie wächst in der Heimat ihrer Mutter auf. Es ist die eher ländliche Halbinsel Nesoddtangen im Oslofjord.

Mit achtzehn bricht sie nach London auf, lernt das Tanzen. Geld verdient sie „mit meinem Gesicht und meinem Körper“. Kaya wird rasch ein vielgefragtes Fashionmodel. Ein rastloses Leben. Immer auf Tour. Hotelzimmer. Flughafen. Modemessen. Täglich neu Scheinwerferlicht, Schminke, Umziehen und ein Lächeln auf Verlangen.

 

 

Kaya wird schnell klar. Das ist nicht ihr Leben. Modeln ist  nichts als Fassade, maximal ein Job. Ihr Herz findet zielsicher den Weg zur Musik. Schon als Teenie hatte sie in der Metall-Band ihres Bruders mitgejammt. Kaya zieht von London nach New York, steht 2017 in Thelma vor der Kamera. Seit drei Jahren geht sie nun musikalisch eigene Wege. Die taz verlieh ihr das Etikett „Radical Softness“. Eine Mischung aus nordischen Balladen und modernem Feminismus, aus schnellen Beats und sanftem Indierock.

Ihre Plattenfirma wollte sie lieber als singendes Model präsentieren, das mache sich gut. „Mit zwanzig wollte ich es allen recht machen“, erinnert sie sich. Doch Kaya Wilkins nennt sich fortan Okay Kaya und will so sein wie sie ist: Selbstbestimmt, lesbisch, euphorisch und dann wieder von Depressionen gebeutelt. Kaya kündigt beim Label und produziert ihr neuestes Album selbst. „Watch this Liquid pour itself“. „Was, wenn die Antidepressiva mich nicht mehr feucht werden lassen?“ singt sie. Ihren Zwilling wird sie einfach nicht mehr los.

 

 

Kaya schreibt schonungslos ehrliche Texte und mixt sie mit entschleunigten Songs im Sound der heutigen zwanziger Jahre. Eine Zeit der Krisen, Einsamkeit und seelischen Verwüstungen durch die Corona-Pandemie. „Alle sind überrascht über meinen Optimismus“, sagt die US-Norwegerin, „aber ich hebe mir den Nihilismus einfach für besondere Momente auf.“

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Das Volk der Bäume

Schon gehört: Walduntergang? In solchen Momenten wird gerne der Baumfreund Albert Schweitzer zitiert. „Der Mensch hat die Fähigkeit verloren, vorauszublicken und vorzusorgen. Er wird am Ende die Welt zerstören“. So Schweitzer vor fast einem Jahrhundert im Schicksalsjahr 1933 in „Ehrfurcht vor dem Leben“. Da praktizierte der äußerst populäre Arzt und Theologe im fernen Urwaldhospital in Gabun. NS-Propagandachef Joseph Goebbels schickte dem Vordenker eine Einladung mit Hitlergruß, er möge nach Deutschland zurückkehren. Menschenfreund und Bach-Liebhaber Schweitzer schickte aus Lambaréné eine höfliche Absage – „mit zentralafrikanischem Gruß“.

Heute hätte der Urwald-Doktor viel zu tun. Welt, Wald und Klima sind krank. Dabei lieben die Deutschen ihren Wald mit Herz und Seele. Die Alten schätzen Gedichte von Eichendorff und Klopstocks Oden an die deutsche Eiche. Bilder von Caspar David Friedrich und Grimms Märchen. Die mittlere Generation kauft Förster Peter Wohllebens Waldbücher und Internetkids entdecken Shinrin Yoku, das „Waldbaden“ für 39 Euro die Stunde. Natürlich wissen die meisten, dass eine grüne Idylle in dem Augenblick gefährdet ist, in dem sie entdeckt wird. Dann hilft nur noch Greenwashing. Wir wollen uns ja wohlfühlen. Beispiel „Landlust“. Das Hochglanzblatt zeigt das Leben in der Natur etwa so realitätsnah wie einst der untergegangenen „Playboy“ Frauen.

 

 

Der deutsche Wald ist krank. Das sagt der neue Waldzustandsbericht. Es ist die schlimmste Bilanz seit 36 Jahren, seitdem es diesen Jahresbericht gibt. Nur noch jeder fünfte Baum ist gesund. Egal ob Eiche, Kiefer oder Buche. „Die anhaltende Dürre in den Vegetationszeiten 2018 – 2020 hat verbreitet dazu geführt, dass die Blätter vorzeitig abgefallen sind. Bei der Fichte begünstigte sie, dass sich Borkenkäfer weiter massenhaft vermehren. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Absterberate nochmals gestiegen. Vor allem unsere alten Wälder (>60 Jahre) sind betroffen.“ Ausführlich nachzulesen im Waldzustandsbericht 2020.

Das Waldsterben sei ein „ökologisches Hiroshima“, titelte vor dreißig Jahren der SPIEGEL. Was geschah? – Nichts. Es war möglicherweise in den letzten Jahren einfach zu viel los. Deutsche Einheit, Ost-West-Gezänk, Gentechnik, Dioxin, Ozonloch, Allergien, Abgasskandal, Verkehrsinfarkt, Treibhauseffekt, Vogelgrippe, Schweinepest, Rinderwahnsinn, Bankencrash, Terrorismus, Migration, Wutbürger, Pegida, Pandemie, Korruption, jetzt Gender- und Rassismus-Debatte. Unsere Angstlustgesellschaft hat Heißhunger nach neuem Futter. Welche Krise, welcher Schadstoff darf der Nächste sein?

 

 

Währenddessen leidet der Wald und schweigt. Eine Wende tut not. Statt kranker Fichte oder Kiefer müssen resistente Bäume her. Klimataugliche Weggefährten, die Hitze, Dürre, Stürme und Borkenkäfer überleben. Migranten aus Amerika und Afrika sollen den kranken Wald retten. Als Bäume der Zukunft gelten sogenannte Neophyten.  Einwanderer wie Douglasie, Robinie oder die Libanon-Zeder. Besonders Zedern wachsen besser als Kiefer oder Fichte, hat die Uni Bayreuth in jahrelangen Tests herausgefunden. Sie liefern wertvolleres Holz und seien „robust gegenüber Klimaextremen“.

Der deutsche Wald wird sich radikal ändern, soll er bleiben. Er muss vielfältiger und artenreicher, neudeutsch: diverser werden. Eine Jahrhundertaufgabe, so Waldexperten. Na, darauf ein Likörchen.

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„Wir kümmern uns“

Ingeborg M. * ist Intensivschwester. Sie liebt ihren Beruf. Im Laufe der Pandemie sammelte sie mehr als 200 Überstunden. Corona kennt keinen Feierabend. Sie freute sich im stressigen Katastrophenjahr über Anerkennung und Beifall. Ein dankbarer Blick von Patienten und Angehörigen ist viel wert, wenn Ingeborg mal wieder geholfen hatte ein Menschenleben zu retten. Großartig! Als sie ihre Überstunden einreichte, hörte sie nichts mehr. Sie rackerte weiter, vertrat Schichten bis zur völligen Erschöpfung. Als sie wiederholt nach dem Lohn für ihre Überstunden fragte, bat die Verwaltung um Geduld. Bis zum Jahresende 2020 wurde keine einzige Überstunde bezahlt.

Ingeborg M. kündigte. Nach 14 Jahren auf der Intensivstation in einer süddeutschen Kleinstadt. Die aus Mecklenburg-Vorpommern stammende Fachkraft hat mittlerweile einen „ruhigeren“ Job in einer Reha-Einrichtung. Es gibt viele Ingeborgs. Ganze Teams denken laut einer  Studie mehrmals pro Woche darüber nach auszusteigen. Die erfahrene Ingeborg fragt, wie künftig Pflege in Krankenhäusern und Heimen noch funktionieren soll. Sie kenne so viele Kolleginnen und Kollegen vom Kreißsaal bis zur Palliativstation, denen es ähnlich ergehe. Durchschnittlich bleibt eine Pflegkraft acht Jahre im Beruf. Viele der 1.7 Millionen „Helden der Arbeit“ (Ingeborg) sind ausgebrannt, frustriert oder werden um Überstunden und Zulagen gebracht. Darüber offen zu reden trauen sich die wenigsten. Auch Ingeborg nicht.

 

 

Vielleicht sollte Ingeborg im Herbst Bundestagsabgeordnete werden? Vielleicht würde dann der angekündigte Corona-Bonus endlich an alle ausgezahlt werden. Wichtiger noch: Wie wäre es, die bekannten Missstände im Gesundheitswesen wie Personalmangel, Fallpauschale oder Überstunden abzustellen. Oder die Perspektive, den Schlüssel von einer Pflegeperson pro 13 Patienten (Bundesdurchschnitt) auf ein menschenwürdiges und medizinisch angemessenes Level zu senken. Keine verkehrte Idee in einem reichen Land.

Währenddessen kümmerten sich im ersten Corona-Jahr „bis zu zwei Dutzend Bundestagsabgeordnete“ um das lukrative Maskengeschäft. Einige MdBs waren mit ihren Überstunden äußerst erfolgreich. Vizefraktionschef Georg Nüßlein (CSU) verdiente 2020 an der Corona-Not 660.000 Euro Vermittlungsgebühren. Er werde „seine Ämter ruhen lassen“, ließ er verkünden. Der Mannheimer CDU-Abgeordnete Nikolas Nübel nahm 250.000 Euro . Eine „marktgerechte“ Provision, so der 34-jährige Hinterbänkler. Der Unternehmensberater bot Schutzmasken einer baden-württembergischen Firma feil. „Ich hätte sensibler handeln sollen“, ließ Maskenlobbyist Nübel mitteilen. Er bedaure den Fehler und ziehe sich daher aus dem Auswärtigen Ausschuss zurück.

 

 

Zum Schluss ein einfaches Rechenexempel. Wie viele Überstunden im Gesundheitswesen könnten mit Hilfe der Masken–Boni (derzeit 910.000 Euro; ohne Dunkelziffer) der Abgeordneten beglichen werden? Der Stundenlohn einer Krankenschwester beträgt 11,63 brutto. Bei vorsichtiger Schätzung könnten bundesweit mehr als 80.000 Überstunden ausgezahlt werden. Mit dabei wären auch die 200 Stunden von Ingeborg M., auf deren Überweisung sie bis heute wartet.

 

* Richtiger Name bekannt.

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Kleiner Fabio, was nun?

„Wie kann man lachen, richtig lachen, in solcher Welt mit sanierten Wirtschaftsführern, die tausend Fehler gemacht haben, und kleinen entwürdigten, zertretenen Leuten, die stets ihr Bestes taten?“ Niemand konnte die Sorgen der kleinen Leute genauer beschreiben als Hans Fallada. Vor gut einhundert Jahren landete er mit „Kleiner Mann, was nun?“ einen Riesenerfolg. Heute versucht ein einfacher Abgeordneter der Linken die großen Wirtschaftsführer herauszufordern. Mit Hartnäckigkeit, Herz und Kompetenz. Sein Name: Fabio de Masi. 39 Jahre alt, gebürtiger Hesse, italienische Wurzeln, katholisch, Hamburger aus St. Pauli, Wahlheimat Südafrika. Diplom-Volkswirt, Bundestagsabgeordneter und „überzeugter Linker“.

Sein Großvater war im II. Weltkrieg Partisan im Piemont. Seine Großmutter schmuggelte geheime Botschaften in der Salami. Und der Enkel? Fabio de Masi ist der brillanteste Aufklärer im Wirecard-Untersuchungsausschuss. Für den Abgeordneten der Linken ist Wirecard der größte Finanzskandal der jüngeren Geschichte. „Ein Fenster unserer Zeit“ in die Welt skrupelloser Abzocker getarnt als Finanzdienstleister. Die neuen Masters of the Universe seien mächtiger als Banken. 20 Milliarden Euro hat die „smarte Illusionsfabrik“ Wirecard in den Sand gesetzt. Unzählige Kleinanleger wurden um ihr Vermögen geprellt. Mit im Spiel laut de Masi: Eine unfähige Finanzaufsicht, die statt zu kontrollieren kritische Journalisten verfolgen ließ. Und Lobbyisten von „Kai Diekmann (Ex-BILD) über Karl-Theodor zu Guttenberg (Ex-Verteidigungsminister) bis zum ehemaligen Geheimdienst-Koordinator im Kanzleramt Klaus-Dieter Fritsche“.

 

 

Das Milliarden-Wirecard-Imperium war „ein Luftballon“, der auf den Philippinen platzte. Einer der Chefs sitzt hinter Gittern bzw. ab und zu vor dem Bundestags-Untersuchungsausschuss. Dort kann sich CEO Markus Braun nicht einmal mehr an seine Doktorarbeit erinnern. Der andere Chef, gleichfalls ein Österreicher ist seit Juni 2020 flüchtig. Der gelernte Programmierer Jan Marsalek mit Geheimdienst- und FPÖ-Nähe verschwand mit einer Cessna gen Weißrussland/Belarus. Wo sich der Hochstapler heute befindet, ist unbekannt. Fabio de Masi versucht wie kein anderer die Hintergründe aufzuklären. Der Experte fordert eine Finanz-Elite-Polizei, die Betrüger und deren Netzwerke jagt und nicht wegschaut. Das sei eine wichtige Lehre aus den Pleiten und Betrügereien der letzten Jahre, so der Hamburger de Masio. Die Liste ist lang. Von den Panama-Papers bis zum CumEx-Steuerbetrug.

 

Aktuelles Fahndungsplakat. Jan Marsalek. Ex-Chef con Wirecard.

 

„Es gibt die Weisheit der kleinen Leute“, sagt Fabio de Masi. Aufgabe einer guten Politik sei es, sie zu schützen und ihre Interessen zu vertreten. Doch der furchtlose Aufklärer will nicht mehr. Statt eines möglichen Parteivorsitzes will er im September 2021 als Abgeordneter aufhören. Folge: Das große Problem bleibt, der kleine Fabio geht. Für einen Posten als Parteichef brauche es einen „gemeinsamen Spirit“ in seiner Partei. Er wolle seine Energie nicht „in eingeübten Ritualen und Machtkämpfen verausgaben“. Lieber kümmere er sich um seinen Sohn. Die Begründung seines Rückzuges ist lesenswert. Hier Auszüge:

„Ich habe den politischen Meinungsstreit – gerade mit Konservativen und Liberalen – immer als eine Bereicherung empfunden. Denn Widerspruch schult die eigenen Argumente. Wir müssen lernen, respektvoll miteinander zu streiten – so wie in jedem Dorf, in jeder Familie, in jedem Sportverein und in jedem Freundeskreis.

Es gibt in verschiedenen politischen Spektren und vor allem in den sozialen Medien die Tendenz, Politik nur noch über Moral und Haltungen zu debattieren. Ich halte dies für einen Rückschritt. Werte und Moral sind das Fundament politischer Überzeugungen. Wer jedoch meint, dass alleine die „richtige Haltung“ über „richtig oder falsch“ entscheidet, versucht in Wahrheit den Streit mit rationalen Argumenten zu verhindern.

Identität ist wichtig im Leben. Sie darf aber nicht dazu führen, dass nur noch Unterschiede statt Gemeinsamkeiten zwischen Menschen betont werden und sich nur noch „woke“ Akademiker in Innenstädten angesprochen fühlen. Eine Politik, die nur noch an das Ego und die individuelle Betroffenheit, aber nicht mehr an die Gemeinschaft appelliert, ist auch Donald Trump nicht fremd.“

 

Fabio de Masi. Stilgerecht im Fiat 500. Ob er mit den Ferraris der Finanzelite mithalten kann? Für ihn nicht eine Frage des Tempos, sondern der Hartnäckigkeit. Foto: privat

 

Fabio de Masi hofft bis zum Sommer 2021 vorzeigbare Resultate aus dem Wirecard-Ausschuss der Öffentlichkeit präsentieren zu können. Alle kleinen und großen Leute dürfen gespannt sein.

 

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Oh, wie schön ist Janosch

Ein gewisser Herr Wondrak unterwegs ins Grüne: „Herr Janosch, welches ist die richtige Haltung beim Radfahren? »Luise sitzt vorbildlich aufrecht. Und Wondrak hält Ausschau nach hinten und achtet im Übrigen darauf, dass er nicht stört.« Typisch Janosch. Das Leben ist so schön. Der Meister des heiteren Müßiggangs und Wegbegleiter vieler Kinder-Generationen. Ein Mann der feinen Ironie. Berühmt geworden als Vater der Tigerente. Legendär sein Oh, wie schön ist Panama. Kaum zu glauben. Janosch wird bald Neunzig.

Als Horst Eckert erblickt er am 11. März 1931 in Hindenburg (das heutige polnische Zabre) in einer schlesischen Malochergegend das Licht der Welt. Janosch: „Aus Versehen geboren, und dann selig über die Erde getorkelt. Wie ein Bote, der hier etwas abzuliefern, aber den Empfänger vielleicht doch noch nicht gefunden hat, ihn auch gar nicht mehr sucht.“ Einer der erfolgreichsten deutschen Kinderbuchautoren aller Zeiten hatte von Anfang an eine schwierige Kindheit. Der Vater war ein prügelnder Nazi. Dann Krieg, Flucht, Vertreibung und Neuanfang in München. Dort wollte er Kunst studieren. Der Professor warf ihn raus, wegen „mangelnder Begabung“.

 

Janosch: „Ich hatte die Schnauze voll von Kinderbüchern. Keiner kaufte die. Und da wollte ich einen Racheakt an der Welt landen. Ich wollte ein Kitschbuch machen. Da gibt es so ein paar Regeln. Da muss ein Kuschelbär dabei sein und der Bär muss eine Reise machen und muss einen Freund haben und schon fangen die Weiber an zu heulen.“

Der Durchbruch kam mit Waldbär und Tigerente in seiner Panama-Geschichte. Da war er 47 Jahre alt. Der Erfolg machte ihn nicht glücklich. Im Gegenteil. Nach dem Welterfolg  ließ er sich von abgebrühten Werbeleuten über den Tisch ziehen. Die cleveren Vermarkter organisierten die Nutzungsrechte, packten die Tigerente auf Kaffeetassen oder auf die Putenbrust und verdienen fortan an Janosch prächtig.

 

Kinderfreund und Lebensphilosoph Janosch 2002. Foto: Wikipedia

 

Sein Glück fand Janosch in den Bergen von Teneriffa. In einer Hütte lebt er bescheiden und zurückgezogen mit seiner Frau. Vielleicht döst der begnadete Melancholiker gerade in seiner Hängematte. Motto: Wer fast nichts braucht, hat alles. Janosch: „Alle Leute suchen nach dem Glück. Das ist etwas zu viel verlangt. Ich würde nicht mal danach suchen. Die beschäftigen sich ein ganzes Leben damit, das Glück zu suchen. Wozu?“ Interviews hasst er. Kinder liebt er, nicht aber deren Eltern. Janosch bleibt ein schrullig-liebenswerter Anarchist und Aussteiger. Wie sein Herr Wondrak, der viele Jahre im Zeit-Magazin Mitmenschen ihre Sorgen vertrieb. Froh, heiter und gelassen. Und wenn es nur für einen kurzen Augenblick war, der ein Lächeln bescherte.

 

 

Mit seinen Helden, dem Umwelthäuptling Emil Grünbär, der klugen Graugans Dolli Einstein und dem gütigen Hund Rüdi von Lieberbaum versucht er auf seine Art Natur und Klima zu retten. Seit vielen Jahren setzt sich Janosch für Projekte gegen Armut ein. In seinem Geburtsort Zabrze (Polen) kauft er Wohnplätze für Waisenkinder, lässt seine Bilder für SOS Kinderdörfer, medizinische Hilfe in Afrika, die Krebshilfe und den Tierschutz versteigern.

 

 

Was bleibt mit Neunzig? Vor einiger Zeit sagte Janosch über das Älterwerden: „Das ist die beste Zeit meines Lebens das Alter. Es ist so was von schön. Das kann ich jedem nur empfehlen. – Was ist am Alter so schön? – Der Geschlechtstrieb ist abgestorben bzw. beseitigt. Man wird nicht mehr ernst genommen von den Leuten. Man kann machen, was man will.“

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Glücks-Produktion

Was ist Glück? Keine Termine und leicht einen sitzen, meinte Entertainer Harald Juhnke. Prost! Für heutige Zeitgenossen sind es eher möglichst viele Likes für ihre Posts. Für fast alle Menschen aber bleiben Bäume Symbole des Glücks. Am besten vor dem Fenster, in der Straße, im Park. Auf alle Fälle mitten in der Stadt. Denn: Wir zerstören, was wir lieben: Wälder, Wiesen und wilde Rückzugsorte. Digitale Konzerne versuchen mittlerweile künstliche Oasen zu schaffen. Grün ist gut für das Marketing. Greenwashing nennt sich das.

Internetriese Amazon baut in Arlington am Rande der US-Hauptstadt Washington sein neues HQ2, Headquarter 2. Hier entsteht ein 22-stöckiges „Baumhaus“ in Form einer Doppelhelix. Der zweite Firmensitz des Megakonzerns soll zu 100 Prozent mit Sonnenenergie beheizt und gekühlt werden. Das Baumhaus wird von Parks mit einheimischen Pflanzen umgeben, so das Versprechen. Das Design sei »von der Natur durchzogen« und soll so „Wohlbefinden und Kreativität“ fördern. Der Lieferriese im neuen, zeitgemäß grünen Blättergewande.

 

 

Der Doppelhelix des Architekturbüros NBBJ soll von außen begehbar sein, auf »zwei landschaftlich gestalteten Pfaden, die spiralförmig nach oben klimmen, mit Pflanzen, die auf einer Wanderung in den Blue-Ridge-Bergen von Virginia zu finden sind«. Den Beschäftigten verspricht Amazon eine »Vielzahl« verschiedener Arbeitsplätze – »inmitten üppiger Gärten und blühender Bäume«. Die Öffentlichkeit soll keineswegs ausgesperrt bleiben. Für 2025 ist die Fertigstellung des neuen Amazon-Hauptquartiers angekündigt.

Amazon als Landschaftsgärtner? Eine schicke Öko-Zentrale als Prestigeprojekt der Besserverdienenden? So könnten wohl Anflüge von schlechtem Gewissen besser besänftigt werden, um weiter rastlos um die Welt jetten zu können. Zudem soll das Baumhaus angenehm auf das Wohlbefinden der Belegschaft wirken. So brauchen die Amazoner weder über Betriebsräte nachzudenken und können das Zusammenbrechen ganzer Branchenzweige leichter verdrängen, wie zum Beispiel den kleinen Laden um die Ecke.

 

Die neue Amazon-Zentrale in Arlington bei Washington. 2025 soll sie fertig sein.

 

Amazon scheint erkannt zu haben: Bäume bringen Rendite. Bäume machen glücklich. Architekt und Vordenker Friedensreich Hundertwasser (1928-2000) erklärte einmal, warum und wodurch Bäume so wertvoll sind: „Mit Sauerstoff, durch seine Staubschluckkapazität, als Anti-Lärmmaschine durch Erzeugung von Ruhe, durch Giftvertilgung, durch Reinigung des verseuchten Regenwassers, als Produzent des Glücks und der Gesundheit, als Schmetterlingsbringer und durch Schönheit und mit vielen anderen Valuten.“ Die einfache Erkenntnis: Ohne Bäume kein Leben. Kein Sauerstoff. Keine Zukunft. Eine einhundertjährige Buche gibt innerhalb von einer Stunde so viel Sauerstoff ab, wie fünfzig Menschen zum Atmen brauchen.

 

Vordenker einer „Baumpflicht“ und weit seiner Zeit voraus. Friedrich Stowasser alias Friedensreich Hundertwasser Regentag Dunkelbunt. (1928-2000)

 

Wer mehr über Baumhäuser und Green Building erfahren will, kann ein virtueller Rundgang empfohlen werden. Mehr geht ja gerade nicht. Einfach grün. Greening the city heißt eine Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt. Wieder zu begehen, sobald die grassierende Krankheit der Moderne, die Covid-Pandemie es zulässt. Merke: Wirklich reich ist nicht derjenige, der viel hat sondern der wenig braucht.

 

Hotel Therme Rogner Bad Blumau in der Steiermark, Österreich. Ein Hundertwasser-Haus. (1993-1997)

Kraft der Kunst

„Sie hörten genau hin. Sie waren voll dabei. Sie waren begeistert. Wunderschön“ Mit Glanz in den Augen erzählt Christoph Schlingensief, wie Rach 3 – das Klavierkonzert Nummer 3 von Sergej Rachmaninov – bei seinen Hauptdarstellern angekommen ist. Seine Helden sind die Insassen im Tiele-Winkler-Haus der Diakonie am Berliner Stadtrand. Wir befinden uns im Jahre 2002, vor knapp zwanzig Jahren. Es geht um die Stars der Freakshow 3000. Ein herrlich politisch unkorrektes, provokatives Projekt von Theatermacher Schlingensief. Geistig und körperlich Behinderte spielten in einer sechsteiligen TV-Hitparade mehr oder weniger bekannte Promis wie Moderator Michel Friedman oder Herzenstrompeter Stefan Mross. Eine lupenreine Fernsehparodie. Ein riskantes Wagnis, hart an der Kante zwischen Genialität und Peinlichkeit.

 

 

Kritiker warfen Schlingensief kindlichen Klamauk vor. Er sei ein selbstverliebter Theaterclown. Ich erlebte ihn in meiner aspekte-Zeit anders. Ernsthaft, an Erkenntnis und Ergebnissen interessiert. In seiner Freak Star 3000 ließ er im Sommer 2002 einen geistig Behinderten den vom RAF-Vordenker zum Hitlergläubigen mutierten Horst Mahler spielen. Ein Körperbehinderter übernahm die Rolle des allwissenden Moderators Michel Friedman. Schlingensiefs Antwort auf das alltägliche mediale Polit-Theater. Moralisten mäkelten, er betreibe Missbrauch mit Abhängigen. Ich kann mich gut erinnern. Die Darsteller liebten Schlingensief und das Stück. Ich brachte als Dankeschön ins abgelegene Heim von Berlin-Lichtenrade eine DVD unseres Beitrags für das ZDF. Musikalisch unterlegt mit dem Beginn aus Rach 3.

 

 

In einem Land, in dem nahezu alles korrekt geregelt werden soll, mit Beauftragten für alles und jedes, was sperrig oder anders ist, war Christoph Schlingensief ein Meister der Provokation. Immer wieder hielt er der Gesellschaft den Spiegel vor. Chance 2000. U 3000. Scheitern als Chance. Das deutsche Kettensägenmassaker. 1000 Jahre Adolf Hitler. Tötet Helmut Kohl.

Unsere heutigen Zeiten mit Empörungswellen, gewürzt mit Shit Storms, Cancel Culture und Gender-Correctness, wäre für den Apothekersohn aus Oberhausen eine echte Herausforderung. Was für ein Stoff. Im kurzatmigen Twitter-Gewitter überholt die Wirklichkeit jede Phantasie und Vorstellungskraft selbst eines kreativen Provokateurs. Der Mitmensch als Feind. Die andere Position, die es auszuschalten gilt. Unsere Covid-19-Gegenwart sorgt für eine aktuelle Pointe: Eine Pandemie, die alles Kreative an die Kette legt und in der Isolation des Lockdowns noch verrücktere Verschwörungsobsessionen und Provokationen blühen lässt. Schlingensief fehlt.

 

 

Bei Christoph Schlingensief standen Außenseiter im Mittelpunkt. Sie durften sich selbst als Stars erfinden, wurden jedoch nicht vorgeführt. Die hohe Kunst der Vermischung von Parodie, Show, Lebensfreude, Behinderung, Stolz und Eigensinn. Im Garten des Heims hörten wir Rach 3. Opus 30 in D-Moll. Das ganze Konzert. Gut 40 Minuten lang. Niemand ging. Am Ende klatschten alle vor Freude. Wie die Augen leuchteten.

Ziemlich gute Freunde

Gibt es das noch? Die vielbeschworene Männerfreundschaft? Freunde, die durch dick und dünn gehen. Sich austauschen, streiten, versöhnen, am Ende des Tages aber stets blind vertrauen können. Diese zwei Freunde von Law and Order waren sich ziemlich nah. Brüder im Geiste, Bewunderer von Macht und Stärke: Mister Donald John Trump, „durch Diebstahl abgewählter“ Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika und der „Geliebte Oberste Führer“ Kim Jong-un, Präsident der Demokratischen Volksrepublik Korea. Der Nordkoreaner ist weiter im Amt. Herrscher eines Landes, in dem es offiziell keine Corona-Pandemie gibt. In dem Menschen fröhlich und zufrieden ihrer Arbeit nachgehen. In dem Medien nicht „Feinde des Volkes“ sind, sondern das Land in seiner wahren Schönheit zeigen. Wie hier zum Jahresanfang 2021 in Pjöngjang.

 

https://youtu.be/MjZLHrYWZyE

 

Die beiden Freunde (auf Zeit) Trump und Kim trafen sich genau dreimal. Sie entwickelten eine Art Brieffreundschaft. Insgesamt 27 Botschaften tauschten der Ex- Präsident der USA und der nordkoreanische Machthaber Kim Jong Un aus. Kim schrieb 2018 nach dem ersten Treffen von Singapur: „Selbst jetzt noch kann ich den historischen Moment nicht vergessen, als ich die Hand Ihrer Exzellenz gehalten habe.“ Donald erklärte öffentlich vor seinen Fans: „Er hat mir wunderschöne Briefe geschickt, es sind großartige Briefe. Wir haben uns verliebt.“ Kim: „Die tiefe und besondere Freundschaft zwischen uns wird wie eine magische Kraft wirken.“

Beide Männer hatten einen gemeinsamen Feind. Barack Obama. „Ein Arschloch“, soll Trump zu US-Enthüllungsjournalist Bob Woodward gesagt haben. Den Diktator in Pjöngjang habe er aber in höchsten Tönen gelobt: „Er ist weit mehr als nur klug.“ So soll der Nordkoreaner dem US-Präsidenten nach dessen eigener Aussage mitgeteilt haben, wie er seinen eigenen Onkel hatte hinrichten lassen. „Er erzählt mir alles“, so Trump. Kim muss offenbar Song Thaek, die graue Eminenz in seinem Regime gemeint haben. Im Dezember 2013 hatte er seinen eigenen Onkel abgesetzt. Kim ließ ihn hinrichten. Das imponierte Trump.

 

 

Der scheidende US-Präsident stellte zum Ende seiner Amtszeit am 20. Januar 2021 nahezu unbemerkt einen „Rekord für die Ewigkeit“ auf. Er ließ seit dem vergangenen Sommer 13 verurteilte Menschen hinrichten, in einigen Fällen sogar gegen den Willen der Opferfamilien. So konnte er sich selbst nach der Wahlniederlage seinen Anhängern als „Henker in Chief“ präsentieren. Ein Mann, der durchgreift, der keine Gnade kennt. Einer, der für Law and Order steht – wie sein nordkoreanischer Freund.

 

Das offizielle Foto vom letzten Gipfeltreffen in Vietnam am 27./28. Februar 2019. Vorzeitig und ergebnislos abgebrochen. Quelle Wikipedia

 

Am 10. September 2020 twitterte Donald Trump: „Kim Jong Un is in good health. Never underestimate him!“ Diese „Unterschätzt ihn nicht“-Botschaft ist eine von rund 56.500 Giftpfeilen, die er per Twitter während seiner vierjährigen Amtszeit in die Welt schickte. Sein Spezi Kim wird dieses Kompliment freuen. Der 37-jährige ist mittlerweile im zehnten Jahr im Amt. Als Enkel und Thronfolger in der dritten Generation seiner Familien-Dynastie. Unabwählbar seit 1948. Von solchen Verhältnissen scheint Trump zu träumen.

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Nach Hause – Teil 2

Er war gerade einmal 21, als er von Weltschmerz und Heimweh schrieb. Es ist das Trinkerlied von einem, der nicht mehr weiter weiß. Einer, der vom Thron des Selbstmitleids steigen soll, aber den Weg nicht nach Hause finden kann. „Herrlich!“ schrieb 1969 das Fachblatt Rolling Stone. Can´t find my way home stammt aus der Feder von Steve Winwood aus Birmingham. Sein Lied ist längst ein Klassiker – vor über vierzig Jahre in die Umlaufbahn gebracht. Winwoods zeitlose Ballade vom einsamen Trinker wird auch heute noch auf vielen Bühnen gespielt. Von den ganz Großen wie Eric Clapton oder in der überfüllten Schulaula, unter dem Beifall stolzer Eltern, die ihrem Nachwuchs applaudieren.

 

 

Steve Winwood wuchs in der Arbeiterstadt Birmingham auf. Mutter Lillian und Vater Lawrence liebten Musik, um sich aus der grauen Vorstadt hinaus zu träumen. Lawrence Winwood beherrschte Klarinette, Saxophon, Mandoline, Geige und Bass. Am Wochenende spielte er auf Hochzeiten und Tanzvergnügen. Sohn Steve war mit dabei, der früh klassische Gitarre und Klavier in der Schule lernte. Bereits im Alter von 15 Jahren war Winwood 1963 Kopf der Spencer Davis Group, als Leadsänger, Leadgitarrist und Pianist auf seiner geliebten Hammond-Orgel.

 

Steve Winwood. 2009. Quelle: Wikipedia

 

Die wilden Sixties. Die Zeit der Pop-Revolution. Trotz ganz früher Superhits wie Keep on running blieb Steve zeitlebens der bescheidene Junge aus Birmingham. Ein Mann ohne Allüren und Affären. So lernte ich ihn bei einem Interview in London kennen. Als im engen Hotelzimmer eine Sitzgelegenheit für den Tonassistenten fehlte, zog er einfach los, um einen Stuhl zu organisieren.

 

 

Die Premiere seiner Ballade Can´t find my way home war am 7. Juni 1969 bei einem kostenlosen Open-Air-Konzert im Hyde Park vor über 100.000 Zuschauern. Nur wenig später erschien das Album Blind Faith, das exakt nur sechs Titel enthält, aber bis heute als ein Meilenstein des neuen britischen Blues-Rock gilt. Steve meinte im Interview, es sei wichtig, dass Menschen ein Dach über dem Kopf hätten, einen Ort, an dem der Schlüssel ins Schloss passt. So viele Heimatlose, Obdachlose und Entwurzelte seien in der Welt unterwegs. „Wohl dem, der jetzt noch Heimat hat! Weh dem, der keine Heimat hat!“ Das meinte auch der große Skeptiker Friedrich Nietzsche.

 

 

„Steig herunter von deinem Thron. Jemand muss sich ändern. Du bist der Grund, warum ich so lange gewartet habe. Jemand hält den Schlüssel. Ich bin fast am Ende und habe nicht mehr viel Zeit. Ich bin betrunken und kann meinen Heimweg nicht finden.“ Heute gibt es vier neue Versionen. Mal von Steve jung und live auf großer Bühne, mal gereift vor knisterndem Kamin, mal hochprofessionell von Steves Weggefährten Eric Clapton oder wackelnd mit Windgeräuschen und dem Smartphone aufgenommen. Ganz einfach: Finde deinen Weg nach Hause.

 

 

Fortsetzung folgt.