Category : aktuelles

Alles so schön bunt hier

Als die Computer das Laufen lernten, bauten deren Hersteller für ihre neuen Wunderwerke ganze Paläste. So auch die Stadt Leipzig für ihr VEB-Datenverarbeitungszentrum. Wir schreiben das Jahr 1986. VEB steht für Volkseigener Betrieb. Auf den schwarzen Monitoren der neuen Robotron-Kisten flackern grüne Buchstaben, Zahlen und Männchen. Eine bessere Welt ist das Versprechen. Schneller, effektiver und natürlich sicherer. Das Datenzentrum etablierte sich vis-à-vis vom Sitz der Staatssicherheit. Die Wende bescherte das Ende der volkseigenen Datenerfassung. Längst ist hier die G2 Kunsthalle beheimatet. Dieser spezielle Ort ist wie geschaffen für einen Maler wie Norbert Bisky. Der gebürtige Leipziger will wissen, was aus dem Geist wurde, der einst so vielversprechend aus der Flasche

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Mein Land, dein Land, unser Land

Nennen wir sie Jana. Jana ist vierzig Jahre alt. Aufgewachsen in einer ostdeutschen Kleinstadt, arbeitet und lebt sie im Südwesten der Republik. Jana verspürt manchmal Heimweh. Sie ist mittlerweile genauso alt wie der kleine Staat mit den drei Buchstaben DDR, in den sie 1981 hineingeboren wurde. Jana lernte den Pioniergruß und das nur die Gemeinschaft zählt. Als sie neun wurde, änderten Eltern, Lehrer und Erwachsene die Tonlage, warfen ihr altes Leben wie Trabis und die Bitterfelder Schrankwand auf die Müllhalde. Das Alte, Morsche, Verkommene ist tot. Es lebe die Neue Zeit.     Jana bekam nach 1990 neue Schulbücher, machte ein neusprachliches Abitur. Sie verließ ihre kleine Welt, in der

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Denken ohne Geländer

Manhattan, 4. Dezember 1975. Plötzlich wollte das Herz nicht mehr. Es beschloss stehen zu bleiben. Das Herz von Hannah Arendt. In der Schreibmaschine steckte die erste Seite eines neuen Textes über „Das Urteilen“. Am nächsten Tag wollte die 69-jährige streitbare Denkerin loslegen. Von Arendt stammt der Satz: „Der Sinn von Politik ist Freiheit und nicht Einschränkung.“ Freies Denken und der Streit um den richtigen Weg waren der Motor ihres Lebens. Dabei war die Kettenraucherin eine Außenseiterin hoch drei. Sie war Jüdin, Frau und Intellektuelle. Zweimal musste die Bürgertochter aus Königsberg neu anfangen. 1933 nach der Flucht aus Hitler-Deutschland. 1941 als Exilantin in New York. „Wir sind nicht geboren, um zu

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Der Mann mit der Maske

Wenige Minuten vor Konzertbeginn. Das Berliner Tempodrom am Anhalter Bahnhof ist rappelvoll. Das Publikum wartet ungeduldig auf den Meister. Kein Wunder. Seine Audienz ist sündhaft teuer. Plötzlich geht ein Spot an. Eine Dame im Business-Kostüm stöckelt auf die Bühne, nestelt an ihrem Headset und bittet routiniert im Stewardessen-Ton um Aufmerksamkeit. „Im Interesse der Künstlers und des Konzerts sind Handyaufnahmen und Fotos unerwünscht.“ Abgang. Die Kapelle legt los. Aus dem Nichts betritt ein Mann mit Hut das Geschehen. Gesicht verschlossen. Ganz in schwarz. Der knarzende Nobelpreisträger singt maskenhaft. Seit 1988 jettet er rastlos mit seiner Never Ending Tour um die Welt. Bob Dylan. Sechzig Jahre Bühnenpräsenz, 600 Songs und jetzt vielleicht

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Irisch Man

Ein 75-jähriger Nordire stellt Fragen wie: „Why you are on Facebook? Why do you need secondhand friends?” Der Mann röhrt mit Leib und Seele: “Suchst Du dort etwas, was Du nicht finden kannst?” Der Facebook-Song ist einer von 28 neuen Songs des Urgesteins Van Morrison. „Latest Record Project“ heißt sein mittlerweile 36. Album. Sir Van, geadelt für sein Lebenswerk, kann es nicht lassen. Im neuen Album folgt sein Sound altbewährten, vertrauten Pfaden. Der Van the Man-Sound aus Blues, Bläsern und seiner seit sechzig Jahren einzigartig aufgerauhten Balladen-Stimme. Der Mann kann es. Übel gelaunt den besten Blues auf die Bühne bringen.     Jetzt schlagen Tugendwächter Alarm. Das neue Album sei

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Der Volksfreund

Der Norweger Henrik Ibsen meinte vorab, es werde „diesmal ein freundliches Stück sein, das von Staatsministern und Großhändlern sowie deren Damen gelesen werden kann und vor dem die Theater nicht zurückzuschrecken brauchen“. Sein brandneues Stück „Ein Volksfeind“ wurde ein Skandal. Der Plot: Kurarzt Tomas Stockmann entdeckt, dass sein Heilwasser verunreinigt ist. Die nahe Gerberei des örtlichen Großunternehmers vergiftet mit seinen Rückständen heimlich das Badewasser des Kurortes. Stockmann schlägt Alarm, ist überzeugt, „dass die Wahrheit vor jeder Rücksichtnahme kommt“. Er fordert den Missstand zu beseitigen. Mit seinen Enthüllungen hofft er als wahrer Freund des Volkes gefeiert zu werden. Vielleicht sogar mit einem Fackelzug.     Es kommt anders. Die Obrigkeit in

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Am Ende der Welt

Hier ist die Natur weit größer als der Mensch. Und wie! Im hohen Norden befindet sich eine der abgelegensten Gegenden Islands. Das rund dreißig Kilometer lange Tal Flateyjardalur bahnt sich in atemberaubender Schönheit seinen Weg in den Atlantik. Gerade in dieser schwer zugänglichen Region kämpften Generationen von Isländern mit den Gesetzen der Natur. Ein hartes, mühsames und entbehrungsreiches Leben. Bis zu sechs Bauernhöfe wurden noch vor hundert Jahren bewirtschaftet, bis alle aufgaben. Der hier aufgewachsene Schriftsteller Theodor Fridriksson notierte 1944: “Mir geht es nicht aus dem Sinn, wie meine alten Eltern sich totgearbeitet haben, nur um in der Einöde in einer Hütte zu leben”. Im Winter fiel so viel Schnee,

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Hat Sahra Recht?

Der Zeitgeist schlägt links. Wirklich? Sahra Wagenknecht sagt Nein. Mit scharfem Schwert rechnet sie in ihrem neuen Buch mit dem rotgrünen Milieu im Lande ab. Der Titel ist eine Kampfansage: Die Selbstgerechten. Auf 334 Seiten attackiert Wagenknecht eine hochmütige Minderheit. Die sich progressiv wähnt, aber die arbeitende Bevölkerung längst vergessen hat. Entsprechend sind die Reaktionen im Netz: Streiterin Sahra wird gehasst wie gefeiert. Das Lager der attackierten „Selbstgerechten“ schimpft sie eine reaktionäre Kommunistin, eine Frau von vorgestern und narzisstische Außenseiterin. „Ohne solche Leute wäre vieles besser“, so der Sound der Wagenknecht-Kritiker.     Die Bandbreite ihrer Unterstützer hingegen ist überraschend wie kurios. Tenor: Die hasserfüllten Reaktionen zeigten, dass Wagenknecht ins

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Der morbide Charme der Vergänglichkeit

Zu den Riesen von Rüdersdorf geht es einen Kanal entlang, dann steil die Uferböschung hoch, durch ein kleines Loch im Zaun. Plötzlich öffnet sich eine andere Welt. Wie Dinos ragen gigantische Hallen, Ruinen, Silos und Schornsteine in den märkischen Himmel. Willkommen im Jurassic-Park einer untergegangenen Epoche. Auf zu einem Abenteuerspielplatz für Entdecker, Filmteams, Graffiti-Sprayer und Sonntagsausflügler. Rüdersdorf ist gerade mal rund vierzig Kilometer östlich vom Alexanderplatz entfernt. Ein Symbol für das Verfallsdatum eines ganzen Industriezeitalters mit Zementwerken, historischen Schachtofenbatterien und einem Volkseigenen Chemiegiganten.     Apropos: Augen auf. Versteckt lauern Löcher und Stolperstellen. Rüdersdorf 2021 ist ein Sammelsurium aus rostigen Ruinen, geborstenen Rohren, Scherben, Stahl, Schrott, Schutt, Schienen, Loren, verbogenem

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Brot ist Leben

Was muss in ihr vorgegangen sein? In der Todesstunde, gegen Mitternacht in Berlin-Plötzensee. Wir wissen es nicht. Margarete Elchlepp starb „im Namen des Volkes“ einsam unter dem Fallbeil. Ihr Verbrechen: Sie hatte kurz vor Kriegsende mit Hunderten anderen hungernden Menschen in Berlin-Köpenick Brot verlangt. Die Hausfrau starb am 8. April 1945 um 0.45 Uhr. Genau wie ihr Leidensgenosse Tischlermeister Max Hilliges. Die beiden Köpenicker wurden als „Rädelsführer“ wegen „Landfriedensbruchs, Plünderns und Wehrkraftzersetzung“ enthauptet. Auf Befehl von „Reichsverteidigungskommissar“ Joseph Goebbels. Ermöglicht durch einen fanatischen NS-Ortsgruppenleiter, denunziert von Hitler-treuen Frauen aus der Nachbarschaft. Das grausame Ende des Brotaufstands von Rahnsdorf: Drei Todesurteile, zwei vollstreckt. Eine Frau wurde in letzter Minute zu acht

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