Category : aktuelles

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Brief an die Kanzlerin

Sei niemals Opfer! Eine Binsenweisheit. Wer das Pech hatte, einmal zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, muss in Windeseile begreifen: Nichts ist mehr wie es war. Im Alltag wird es schwer, aufrecht und weiter unbeschwert durchs Leben zu gehen. Am 19. Dezember 2016 traf ein LKW die Besucher des Weihnachtsmarktes an der Berliner Gedächtniskirche ungebremst, ohne Rücksicht auf Herkunft, Alter und Geschlecht. Der Todesfahrer spielte Roulette. Es war ein Akt der Willkür. Ein zutiefst feiger Anschlag. Ein Jahr danach haben Angehörige und Überlebende einen Brief an die Bundeskanzlerin geschrieben. Dieser berichtet von unglaublichen Versäumnissen. Er erzählt von einer Eiseskälte, die einen frösteln lässt. Es lohnt sich, diesen Brief

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Babylon Berlin – U-Bahn-Gott

Die Bahn rumpelt Richtung Osten. Ein Sonnabend im Advent. Mittagszeit. Der Zug ist gut gefüllt. Ein beleibter Straßenmusiker entert den Wagen. Sofort legt er auf seiner Gitarre los. Er trällert ein amerikanisches Weihnachtslied. Die Fahrgäste lassen es über sich ergehen und ertragen seinen Vortrag teilnahmslos. Keiner schaut hin. Wie immer. Am Ende seines Liedes wünscht der Musiker mit britischem Akzent „Merry Christmas. Frohe Weihnachten. Salam Aleikum.“ Der Gitarrist zückt den Hut, um sein Honorar einzusammeln, als ein Mann mit Bart, Mitte dreißig, laut und deutlich ruft: „Du hast meinen Gott beleidigt.“ Für einen kurzen Moment herrscht so etwas wie Irritation im Abteil. „Mein Gott?“ Ich sitze mehrere Reihen entfernt. Anspannung

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Babylon Berlin – Kalle

Seit ein paar Jahren brummt es wieder im Viertel. Be Berlin. Die Immobilienkäufer fallen aus der ganzen Welt ein. Es sind Schweden, Spanier, Griechen, anyway. „Investieren Sie in die Zukunft! Die Gründerzeit ist zurück!“ Es gilt wieder als angesagt hier zu wohnen. Die Preise schnellen nach oben. Geld sucht optimale Optionen, vermehrt sich in Windeseile. Grundstücke verdoppeln binnen Jahresfrist ihren Wert. Wohnen wird zum Luxus. Schicke Apartments entstehen und stehen leer. An die Scheiben einer funkelnagelneuen Eigentumsresidenz – Motto „Verwirklichen Sie ihre Träume“ – hat ein Unbekannter mit knallroter Farbe gesprüht: „Suche Traumwohnung für unter 200 Euro im Monat.“ Am nächsten Morgen kommt die Polizei. Ein paar Tage später der

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Babylon Berlin – Ciprian

Berlin wächst. Jeder Jahr um die Größe einer deutschen Provinzstadt wie Pinneberg oder Pirmasens. Dabei scheint in der Hauptstadt – außer der großen Klappe – nichts so richtig zu funktionieren. Verstopfte Straßen, unbezahlbare Wohnungen, überforderte Behörden, kaputte Schulen, gigantische Großprojekte, die nicht fertig werden wollen. Der Flughafen BER ist bereits über zweitausend Tage im Rückstand. Nur noch Optimisten glauben an eine Eröffnung vor 2021. Berlin erlebt in diesen Tagen eine zweite Gründerzeit. Die 3.6 Millionen-Metropole ist ein nervöser Moloch – und doch wollen alle hin. Was sich geändert hat? – Täglich sehe ich in den Straßen Berlins  an fast jeder Ecke, auf Plätzen, vor U- oder S-Bahnhöfen mehr Not, Elend

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Babylon Berlin

Unsere Vorstellung vom Berlin der zwanziger Jahre, von den Golden Twenties, ist eine schicke Sehnsuchtsprojektion. Die TV-Serie Babylon Berlin bedient diese fiebrige Endzeitstimmung, den Tanz auf dem Vulkan. Erzählt wird von einem Sündenbabel, einem Chicago an der Spree mit Sex, Drogen, Mord und Gewalt. Mehr Grusel-Marketing geht nicht: „Revolution. Korruption. Prostitution.“ Auf der Coach mit der Fernbedienung in der Hand lässt sich solch ein Event genüsslich goutieren: Wie bescheuert waren die Menschen damals?   https://youtu.be/SBgAlOb2niY   Heute geht es der großen Mehrheit materiell unendlich viel besser als vor neunzig Jahren. Doch der Zeitgeist weht wieder streng in Richtung Überlebenskampf. Entertainment und gutes Leben für die Schönen und Reichen. Der Rest

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Der Lamborghini des Papstes

Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft. Der Sportwagenhersteller Lamborghini wollte Papst Franziskus eine große Freude machen. Ganz nebenbei noch einen gewissen PR-Effekt erzielen und das eigene Image aufpolieren. Der italienischen Autobauer überreichte daher in diesen Tagen dem obersten Kirchenvertreter eine funkelnagelneue schneeweiße Extraanfertigung des Hurucan. Wert: gut 183.000 Euro. Franziskus segnete und signierte die vierrädrige Rakete mit Straßenzulassung. Das könnte für weitere Wertsteigerungen sorgen. Nur: Was soll der Papst mit einem 325 Kilometer schnellen Zweisitzer anfangen? An den Gläubigen vorbeiheizen?     Keine Frage: Viele Vorsteher und Chefs nichtkirchlicher Organisationen können sich jederzeit mehrere Lamborghinis leisten. Die Explosion ihrer Gehälter und Provisionen hat längst die Beschleunigungswerte des 610-PS-Boliden Hurucan übertroffen. In

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Ist das ein Apfel?

Vorsicht! Die Wahrheit liegt stets im Auge des Betrachters. Der Meister des Surrealismus René Magritte ging noch einen Schritt weiter. Er warnte: Bildern sei zutiefst zu misstrauen. Der Belgier mit dem grünen Apfel meinte, es gebe einen Verrat der Bilder. Denn in seinen gemalten Apfel könne man nicht beißen. Es sei nur ein Bild. Eine Illusion, eine Täuschung. Diesen Rat gab René seiner Frau Georgette. Nimm Dich in Acht vor meinen Äpfeln. Adam warnte Eva.     Der Apfel war in Magrittes Arbeiten ein Lebensthema: Äpfel mit Masken, versteinerte Äpfel in karger Landschaft. Äpfel, die erklären, dass sie keine Äpfel sind. Oder ein verlorener Apfel, der über einem Mann schwebt,

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Mein 9. November

Vor genau 28 Jahren ging ich morgens in die Redaktion. Wie immer. Abends war die Welt eine andere. So schnell kann es gehen, wenn sich ganze Systeme auflösen. Von heute auf morgen. Der 9. November 1989 war ein Urknall der allerfeinsten Sorte. Friedlich, fröhlich, ohne Fanatismus, Hass und Blutvergießen. Das Volk ging auf die Straße, zeigte seine Macht und … siegte. Wenn es eine Lektion gab, dann diese: Selbst die bestbewachtesten Mauern haben nur eine begrenzte Haltbarkeit. Die Berliner Befestigungsanlage stand genau 10.315 Tage. Dann war sie fällig.     Die Dokumentation „Die letzte Truppe und der Fall der Mauer“ entstand 2014, zum 25ten Jubiläum des Mauerfalls. Hier erzählten zum

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Schlaflos in Pjöngjang – Finale –

Was ist in einem Land wie Nordkorea wahr, was nicht? Eine schlüssige Antwort habe ich nicht. Nur Erinnerungen an Begebenheiten wie diese, beiläufig passiert in unserem Ausländer-Hotel in der 40. Etage. Jedes mal, wenn ich in den Protokoll-Pausen mein Zimmer mit dem Hauptstadt-Überblick aufsuchte, klingelten zuverlässig die Zimmermädchen. Sie kamen immer zu zweit. Der Begriff Mädchen war in diesem Fall reichlich unangebracht. Die beiden Endvierzigerinnen kicherten und brachten eine Kanne heißes Wasser. Wozu, wusste ich nicht. Ich hatte zwei Tassen im Zimmer, sonst nichts. Nun gut. Es handelte sich offenbar um eine höfliche Geste. Folglich beschloss ich am dritten Tag ein kleines Trinkgeld zu geben, obwohl alle Nordkorea-Kenner abgeraten hatten,

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Schlaflos in Pjöngjang (5)

4. Juni 2004 Wir sitzen bereits wieder in der komfortablen Lufthansa-Maschine von Peking nach Frankfurt. Auf den allerletzten Drücker haben wir den Anschlussflug von Pjöngjang erreicht. Der Abfertigungsschalter in Peking war bereits geschlossen. Sie haben uns dennoch über einen Seiteneingang durchgelassen. Glück gehabt. Die Frühsommertage von Pjöngjang sind schon wieder Geschichte. Als VIP-Delegation kamen wir, als beeindruckte Gäste gingen wir. Nordkorea hat meine gesamte Gefühlspalette aktiviert: Faszination, Unverständnis, Verwirrung, Entsetzen. Wir haben die Kulissen eines Staates gesehen, doch hinter die Kulissen konnten wir nicht schauen.     Die Söhne und Töchter von Kim Il Sung haben ihr Klassenziel erreicht. Sie haben uns ihr Land gezeigt, ohne dass wir ihr Land

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