Category : global

Trockenbewohner

Eine schöne Bleibe. In Berlin. Am besten mit Terrasse über den Dächern. Mit Blick auf Fernsehturm, Park und Spree. In der begrünten Straße Kneipe, Club und Späti. Dazu nette Nachbarn. Hausfeste. Immer ein Parkplatz vor der Tür. Wenn´s sein soll, Nightlife bis der Arzt kommt. Warum nicht? Alles eine Frage des Etats. Wer zahlt, kann alles haben. Wer nicht mithalten kann, hat eben Pech gehabt. Alles neu? Von wegen. Der Mann – ein Dichter, knapp bei Kasse – ist Anfang fünfzig, im besten Alter. Frau, vier Kinder. Die Familie ist „Trockenbewohner“ einer feuchten Parterrewohnung am Landwehrkanal. Der Eigentümer, ein Holzhändler, erhöht kräftig die Miete. Der arme Poet bittet um Gnade.

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Make Bach great again

Leipzig im Frühjahr. Die Helden-Stadt von 1989. Die Messe-Metropole blüht auf. Wärmende Sonne. Zuversicht. Zuzug. Tüftler, Studenten, junge Familien wagen ihr Glück. In den Straßen innerhalb des Rings herrscht geschäftiges Treiben. Doch die Stadt ändert gerade ihr Gesicht. Wieder einmal. So wie vor dreißig Jahren – nach der Wende. Die Globalisierung drückt ihren Stempel auf. Schleichend, aber unübersehbar. An der belebtesten Fußgängerzone, der Grimmaischen Straße, befand sich einst ein großer Buchladen. Heute? – Sitz von Vodafone. Smartphones statt Schiller und Ferdinand von Schirach. Ein paar Schritte weiter das Kino Capitol, einst zentraler Ort des Dokfilmfestivals. Heute? – Zalando Outlet. Eine ältere Leipzigerin schüttelt den Kopf. „Das Kino haben sie plattgemacht.

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Kafka Ahoj!

Kafka, Kundera, Vaclav Havel. Ach, und der berühmte Schwejk vom Schelmendichter Hasek! Das sind die Helden der tschechischen Literatur. War´s das? Keineswegs, versprechen die Macher von Gastland Tschechien. Sie rufen laut und fröhlich Ahoj! Dreißig Jahre nach der Samtenen Revolution von 1989 präsentiert sich unser Nachbar auf der Buchmesse in Leipzig. 55 Autorinnen und Autoren mit insgesamt siebzig Neuerscheinungen sagen, was zu sagen ist. Die Tschechen bringen ihr ausgeprägtes Talent für Geschichten mit – dieser ganz spezielle Mix aus Tragödie und Komödie. Immer dazwischen. Meist auf der falschen Seite. Besetzt von Nationalsozialisten wie Kommunisten. Das Schicksal eines kleinen Landes im Konzert der Großen. So haben sich die Tschechen nach der

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Macht. Das Gedicht. Aus. – An.

So viel Aufregung war selten. Avenidas. Ein Gedicht. Acht Zeilen. Geschrieben auf einer Wand. Knallharte Konflikte um einen alten Dichter. Eugen Gomringer (94), der „Altmeister der konkreten Poesie“.  Getilgt im Namen von Aufklärung, Sittlichkeit und Reinheit der Lehre. Der Preis für derartige politische Korrektur: 31.575,59 Euro. So viel kostete die Übermalung. Nun ist das Acht-Zeilen-Gedicht wieder aufgetaucht. Ein Comeback, ein paar Straßen weiter. Avenidas ziert nun ein Genossenschaftshaus im Berliner Bezirk Hellersdorf. So viel Wirkung war selten. Der bizarre Berliner Bilderstreit lässt eine weitere Blüte der Poesie reifen. Seit einigen Tagen heißt es wieder: „Alleen/Alleen und Blumen/ Blumen/Blumen und Frauen/Alleen und Frauen/Alleen und Blumen und Frauen und/ein Bewunderer.“ Das neue,

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Prager Fenstersturz

Wirkliche Veränderungen, so heißt es bei Bismarck, sind aus Blut und Eisen geschmiedet. Anpacken, zur Tat schreiten, vollendete Tatsachen schaffen. Die Prager haben damit Erfahrung. Dreimal in ihrer Geschichte haben sie den Fenstersturz als Methode des Herrschaftswechsels praktiziert. Zuerst stürzten aufständische Hussiten 1419 die Obrigkeit aus dem Rathaus. 1618 warfen wütende Protestanten katholische Statthalter aus dem Fenster der Burg. Die Herren überlebten. Aber nicht Außenminister Masaryk 1948. Er lag zerschmettert im Hof des Czernin-Palastes. Der 1618er-Fenstersturz löste einen verheerenden dreißigjährigen Glaubenskrieg in Europa aus. Der 1948er sicherte den Kommunisten eine vierzigjährige Herrschaft in der neuen CSSR. Der Eiserne Vorhang teilte fortan Europa. Von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer. In

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Villa mit Wartezeiten

„Das nächste halbe Jahr sind wir komplett ausgebucht“, betont die junge Dame stolz. Sie führt uns durch ein Meisterwerk der Moderne. Die Villa Tugendhat in Brünn. Architekt: Mies van der Rohe. Bauhaus at its best. Die deutsche Journalistengruppe nickt zustimmend. Was für eine Villa! Leicht, luftig, elegant. Motto „Weniger ist mehr“. Flachdach. Fließende Räume, viel Beton und Glas. Die erste tragende Stahlkonstruktion in einem Privathaus. Seltene Materialien: Onyx aus Marokko, italienischer Travertin, Holzfurniere aus Südostasien. Einzigartig: eine Warmluftheizung. Elektrische Jalousien. Alles erbaut  in vierzehn Monaten. 1930 zogen Fritz und Grete Tugendhat mit ihren fünf Kindern in die neue Villa ein. Das Haus am Hang mit Blick auf die Altstadt von

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Geben Sie Gedankenfreiheit!

  Er wollte kein Fürstendiener sein. Er war stolz und unbeirrbar. Der Malteser-Ritter Marquis von Posa. Keiner, der katzbuckelte, sich wendete oder anpasste. Eine Kunstfigur? Genau genommen ja. Friedrich Schiller schrieb seinen berühmten „Don Carlos“ von 1783 bis 1787. In seinem Drama ließ er den Marquis vor den spanischen König Philipp II. treten. Er klagte den Herrscher der Unterjochung Andersdenkender und Inquisition an. Er fiel auf die Knie und forderte: „Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire!“ Zwei Jahre nach der Uraufführung von Don Carlos in Hamburg im Jahre 1787 erhoben sich die Franzosen zur Revolution. 1789 änderte sich in Europa alles. Die Despotie wurde gestürzt. Es schien, als fielen die Worte des

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Schlaflos in Pjöngjang

Die Welt taumelt am Rande einer Katastrophe schreibt der Spiegel. „Jeden Augenblick könnte der Atomkrieg ausbrechen“. Die Rede ist von Nordkorea. Viele Menschen fürchten, dass am anderen Ende der Welt plötzlich einer die Nerven verliert. Diktator Kim Jong-Un und US-Präsident Donald Trump belauern, provozieren und drohen sich bis ans Messer. Droht der große Knall? Sterben für Korea? Ich will lieber vom Leben erzählen. Vor über zehn Jahren hatte ich die einmalige Gelegenheit, das geschlossene System der Kim-Dynastie eine Woche lang zu besuchen. Als Mitglied einer deutschen Delegation unter Leitung der damaligen Präsidentin des Goethe-Instituts Jutta Limbach. Eine kluge und unbeugsame Frau, die vor einem Jahr verstorben ist und in diesen

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Alles nur Theater

An der blauen Donau. Die Chefin ist eine stattliche Frau. Mit strengem Dutt, einer stattlichen Tracht auf dem Leib und glühender Leidenschaft für ihr Haus. Christine Geierhofer, irgendwo in den Siebzigern, ist Hausherrin am Stadttheater Grein an der Donau. Grein? – Nie gehört! – Ein Fehler. Denn dieser kleine Ort in Österreich erzählt eine große Geschichte: Von der Bühne des Lebens. Seit 1791, seit Napoleons Zeiten, spielen sie im winzigen Donaustädtchen ums Leben gern Theater.       Christine Geierhofer erklärt, lächelt, schwärmt. Einmal die Woche führt sie Besucher aus aller Welt durch ihr Haus. Es wird zu einem echten Schlüsselloch-Blick hinter die Kulissen. Der Rundgang beginnt im Kerker. Die

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Nice-Land

Junge bärtige tollkühne Männer mit achtziger Jahre-Haarschnitt stürzten selbstbewusste, überhebliche, topondulierte Profis von ihrem Ross. Eine echte Saga, Marke Island. David gegen Goliath. Tapfere Trolle gegen gigantische Gladiatoren. Sie verhalfen den Briten zum sportichen Brexit. Nun sind die Isländer gegen Frankreich ausgeschieden. Zwei Tore reichten nicht – die Franzosen netzten davon fünfe ein. Egal. Das isländische Sommermärchen ist vorbei. Einziger Wermutstropfen: Nun wird die EM ein wenig langweiliger. Island hatte nie eine Armee. Seit dem 13. Jahrhundert aber sind Isländer die besten Geschichtenerzähler. „Snorra Edda“ – ihre Blaupause für Heldengeschichten. Seit Jahren liebe ich diese kleine, große Insel am Rande der Welt mit Eis und Feuer, Gletschern und Vulkanen. Bewundere

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