Category : aktuelles

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Die Quittung?

Die Zeugen Jehovas stehen in doppelter Personal-Stärke am Bahnhof Friedrichstraße. Entschlossen und stumm halten sie ihren „Wachturm“ den Vorbeieilenden ins Gesicht. Doch kaum einer der Berlinerinnen und Berliner schaut auch nur auf. Dabei haben die Zeugen Jehovas in diesen Tagen richtig Rückenwind. Sie sagen: „Liebe Brüder, wir sind nun absolut sicher, dass Jehova den Corona-Virus dazu bestimmt hat, Harmagedon zu starten. Aus diesem Grund empfehlen wir Euch mit sofortiger Wirkung alle Spenden an die Organisation einzustellen, wir brauchen kein Geld mehr. Matth. 6:19.“ Nun kommt also das große Finale. Die Erlösung von allem Bösen. Denn, so ihr Originalton: „Aus der Bibel wissen wir, dass Seuchen ein auffallendes Merkmal der letzten

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Scheitern als Chance

„Das Echte suchen, das Falsche demaskieren.“ Oder: „Inszenieren, um das Inszenierte offenzulegen.“ Das sind Sätze Marke Christoph Schlingensief. Merkwürdig. Er ist mittlerweile seit zehn Jahren tot, doch seine Arbeiten sind lebendiger denn je. Seine  stets umstrittenen Inszenierungen lagen einfach ein paar Schritte zu weit in der Zukunft. Der Theatermann war seiner Zeit voraus. Schlingensiefs Botschaft: Probiert Euch aus. Scheitern gehört dazu. Es ist eine Chance. Ein neuer Dok-Film von Bettina Böhler, zwei Stunden und zehn Minuten lang, erinnert nun an den Visionär aus Oberhausen: Schlingensief – In das Schweigen hineinschreien.     Schlingensief hatte mindestens sechs Leben. Mit der Super-8-Kamera seines Vaters hielt er die Wirtschaftswunder-Bundesrepublik fest. So dokumentierte er

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Alles perfekt

„Sein oder nicht sein/Frei oder nicht frei/Kriechen oder nicht kriechen/F**k all diese perfekten Leute!“ Lakonisch, leise und mit lebenskluger Leichtigkeit setzt Chip Taylor allen perfekten Menschen dieser Welt ein Denkmal. Das Lied ist millionenfach geklickt worden. Aber wer ist dieser Chip Taylor? Auf den ersten Blick ein wenig bekannter New Yorker Songschreiber. Einer, der für die Netflix-Serie „Sex Education“ diesen Hit geschrieben hat. Also einer von den vielen Talentierten, die es nicht ins Rampenlicht geschafft haben?     Auf den zweiten Blick ist Chip Taylor ein alter weißhaariger Mann, der in den nächsten Tagen die Achtzig vollendet. Ein Songschreiber mit intensiven achtzig Lebensrunden. Sein richtiger Name ist James Wesley “Wes”

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Von guten Mächten

„Gefangener Bonhoeffer, fertig machen, mitkommen!“ Am frühen Morgen des 9. April 1945 muss sich der Delinquent nackt ausziehen. Tod durch Strang, lautet das Urteil, auf persönlichen Befehl des „Führers“. Im Hinrichtungshof des bayrischen Konzentrationslagers Flossenbürg ist in der Ferne bereits der Geschützdonner der heranrückenden 3. US-Army zu hören. Der Gefangene Dietrich Bonhoeffer, Theologe, 39 Jahre alt, ist auf seinem letzten Weg. Verurteilt von einem Standgericht ohne Verteidigung, Zeugenanhörung, Gerichtsprotokoll. Die letzten Minuten. Ein qualvoller Tod. Die Hinrichtung soll sich in „einer abstoßender Szene“ vollzogen haben. Seine letzte Worte: „Das ist das Ende. Für mich aber der Beginn des Lebens“.   Ulrich Tukur spielt Dietrich Bonhoeffer. Die letzte Stufe. (2000)  

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Lucky Man

Die Ballade handelt von einem Mann, der alles hat: Reichtum, Pferde, Frauen. Er regiert sein Land wie ein König. Dann zieht er in den Krieg und stirbt. All sein Reichtum nutzt ihm nichts. Komponiert hat das Lied der Bassist Greg Lake (1947-2016 Ex King Crimson). Lucky Man war der größte Erfolg des britischen Trios Emerson, Lake & Palmer. Ihr Ohrwurm brach 1970 auf, um die Welt zu erobern. Der Clou: Keith Emerson setzte als erster Pianist den Moog Synthesizer ein und zog buchstäblich alle Register.     Lucky Man He had white horses And ladies by the score All dressed in satin And waiting by the door Oh, what a

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„Krieg in meinem Kopf“

Beth Hart gibt Konzerte ohne Handbremse. Ohne Playback. Ohne Schnickschnack. Sie geht bis an ihre Schmerzgrenze und manchmal weit darüber hinaus. Herz und Seele trägt sie offen auf der Zunge. Ihre Stimme ist voller Gefühl und Gebrochenheit, gereicht Janis Joplin oder Tina Turner zur Ehre. In die Logik der Unterhaltungsbranche mit ihren gecasteten Sternchen und Hochglanzprodukten passt sie eigentlich nicht rein: die US-Sängerin Beth Hart. Sie geht einen anderen Weg. Sie will ehrlich bleiben – zu sich und ihrem Publikum. Auf der Bühne ackert, rackert und sie bis zum Umfallen. Immer am Limit. Beth ist die weibliche Antwort auf Joe Cocker. Blues vom Feinsten. Mit einer Röhre zum Niederknien. Beth

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„Gutes tun“

Keine schlechte Idee. Gutes tun. Noch besser: „Im Verborgenen Gutes tun!“ – Das verheißt eine Imagekampagne des Verfassungsschutzes. Die Geheimdienstler suchen qualifizierten Nachwuchs. Festanstellung, Verdienst, Rente – alles gesichert. Um dann Gutes zu tun. So das Versprechen einer Behörde, die über 3.500 Mitarbeiter und einen Etat von 422 Millionen Euro hat. Zum Vergleich: Den obersten Verfassungsschützern, also dem Bundesverfassungsgericht, der zum Beispiel auch Missstände des Verfassungsschutzes notfalls auszubessern hat, stehen rund 31 Millionen Euro zur Verfügung. Die Personalausstattung: 16 Richter und 64 Mitarbeiter.     Wenn Michael und Elisabeth Buback an die verborgenen Verfassungsschützer denken, wird ihnen wenig wohl ums Herz. Seit vielen Jahren kämpfen die Bubacks um Aufklärung und

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Frische Energie aus Estland

Das Land ist klein. Doch die Zahl der Talente groß. Estland im Baltikum zählt gerade einmal 1.3 Millionen Seelen. Da ist selbst München größer. In dem Kleinstaat an der Ostsee ist jedoch nicht Biertrinken oder Fußball Volkssport, sondern Singen. Die Ostsee-Republik hat mit Kadri Voorand einen neuen Shooting Star. Die vielseitige Sängerin experimentiert, wagt Grenzüberschreitungen und bewegt sich souverän zwischen Folk, Rock und Jazz. Ihre Performance ist jung, innovativ, frisch. I´m not in love … with you singt die 33-jährige. Ach, da heißt es: Ich liebe deine mitgebrachten Rosen. Aber dich liebe ich nicht.     Kadris Herz will erobert werden. Ihre Musik auch. Die Songs sind anspruchsvoll, aber voller

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„Ich wollte frei sein!“ (2)

Jutta Wehmann gehörte 1989 zum überschaubaren „Häuflein der Mutigen“. Sie wagte in der Kleinstadt Nordhausen (heute 42.000 Einwohner) mutig den Neuanfang. Die erblindete Musiklehrerin führte Tagebuch. Sie hielt die Umwälzungen in ihrer thüringischen Heimat vor dreißig Jahren fest. Hier der zweite Teil ihrer unveröffentlichten Notizen. Die Aufzeichnungen sind ein eindrucksvolles Dokument ihrer Hoffnungen und Ängste auf dem Weg zur deutschen Einheit.     „6.1.1990 In Nordhausen hat sich das Neue Forum (NF) und der Demokratischer Aufbruch (DA) etabliert. Dazu kam später Ende November die SDP (später dann die SPD). Von jeder Gruppierung saßen Abgeordnete am Runden Tisch in unserer Stadt auch von den geduldeten Führungskadern der ehemaligen SED, die sich

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„Ich wollte frei sein!“

Jutta Wehmann treffe ich in einem Hotel in Berlin-Mitte. Sie begleitet ihren Mann, einen Tierarzt zu einer Untersuchung in der Charité. Die rüstige Rentnerin sprudelt voller Ideen. Wie vor dreißig Jahren, als sie im thüringischen Nordhausen zum kleinen Kreis der Mutigen gehörte, die für einen Neuanfang standen. „Ich wollte frei sein, frei denken und frei handeln.“ Was sonst? Sie schaut mich an. Dabei ist Jutta Wehmann mittlerweile nahezu erblindet. Doch die einstige Musiklehrerin ist aufmerksamer als viele die sehen können und am Ende doch nur wegschauen. „Wo ist der aufrechte Gang des Volkes geblieben?“ fragt sie und antwortet wie aus der Pistole geschossen: „Schade- nur noch Oberflächlichkeit.“ Wehmann führte in

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