Category : aktuelles

post image

Letzte Ruhe

Ein Sonntagmorgen im August. Heinz werkelt im Hof des kleinen Anwesens. Ein einfaches Büdnerhaus im Brandenburgischen. Hinterm Schuppen ein paar Hühner, auf der Wiese einige Ziegen. Ich rufe ihm zu und frage, wie es der Frau Mutter gehe. Missmutig nähert sich der Anfang Sechzigjährige. „Sie ist tot.“ – Wie, frage ich ahnungslos nach. Heinz knurrt: „Ja, lieste keine Zeitung?!“ Dann erzählt er, seine Mutter sei im Dezember letzten Jahres hier im Haus verstorben. Er habe sie bis zum Schluss gepflegt. „Das Herz wollte nicht mehr. Ein Vierteljahr war sie im Krankenhaus. Dialyse und all der Quatsch. Sie wollte nicht mehr. Nur noch nach Hause.“ Heinz fixiert mich. Dann geht sein

Read More →

post image

Großes Kino

Der letzte Schauer ist gerade übers Land gezogen. Eine feuchte Wiese am Ende der Welt. Am Rande steht ein knallrotes Magirus-Feuerwehrauto, dazu ein kleines Zelt, ein paar Bänke. Das Wanderkino ist da. In Warnkenhagen – im Niemandsland zwischen Lübeck und Wismar. In der Ferne rauscht die Ostsee. Ein privater Gastgeber hat sein Gelände geöffnet. Es gibt selbstgebackene Pizza, einheimisches Bier und über Hundertjahre alte Filme. Stummfilme in Schwarz-Weiß mit kleinen und großen Helden.     Bei Einbruch der Dunkelheit hat sich eine große Schar Interessierter eingefunden. Das Publikum trotzt dem nassen Regensommer. Einheimische und Urlauber. Kinder, Opas, ganze Familien. Der Eintritt ist frei. Alle sind blitzgespannt. Dann eine kurze Ansprache

Read More →

post image

Flieg, Engel, flieg

Jeder ambitionierte Gitarrenspieler kennt das Intro. Viele haben sich daran versucht. Ganze Generationen von Garagen- und Hinterhofmusikern. Little Wing. Diese Ballade von Jimi Hendrix gehört zu den Jahrhundertsongs. Geschrieben, komponiert und aufgenommen in einem New Yorker Studio. Unzählige Male gecovert und variiert. Von Amateuren und Profis. Eric Clapton. Santana. Sting. Toto. Pearl Jam. Steve Ray Vaughan. Nigel Kennedy, The Corrs. Und vielen anderen. Ein Song zum Abheben. Little Wing wird nun genau fünfzig Jahre alt. Am 25. Oktober 1967 lernte der Engel das Fliegen.     Jimi Hendrix spielte das Lied im Rahmen seines Albums Axis: Bold as love ein. Da war der hochtalentierte Linkshänder 24 Jahre alt. Ein Meisterstück

Read More →

post image

Sommer auf dem Land

Wohlfühlmagazine wie „Glücklich“ „Landlust“ oder „Ma Vie“ florieren. Gestresste Digitalos dürsten nach analoger Nestwärme. Die umgebaute Scheune in der Uckermark ist für viele Berliner Kultur- und Kopfmenschen ein erstrebenswertes Ziel. Auf jeder verfügbaren Grünfläche ziehen Großstädter Bohnen, Beeren oder Tomaten. Der Kampf mit der Feldmaus um gärtnerische Ernte-Hoheit ist zum Event der Saison geworden. Zurück zur Datsche, zur Laube, zum Schrebergarten! Unruhige Zeiten wecken den Wunsch nach Idylle, Gemeinschaft und Sicherheit. Derartige Garten-Bewegungen versprechen Antworten auf den optimierten Alltagskapitalismus.     So schwärmen Großstadtmenschen von Wiesengrün und Himmelsblau, Erdbraun und Ziegelrot. Nicht wenige zeigen eindeutige Symptome von Aussteigertum und Stadtflucht. Sie hassen Lärm jeder Art, suchen die Ruhe. Leere Häuser

Read More →

Alle meschugge?

Paul Levite ist eine total verkrachte Existenz. Er war Vertreter, Callcenter-Verticker und Drücker für Finanzmodelle. Aber er hat ein unnachahmliches Talent: er kann Menschen besoffen reden. Ein Pfund, mit dem er wuchern will. Denn er hat die Nase „von denen da oben“ gestrichen voll. Er will alles fürs Volk ändern, Karriere machen. So schließt er sich der aufstrebenden rechtspopulistischen Bewegung an. Levite legt einen kometenhaften Aufstieg bis ins Kanzleramt hin.     Ein Märchen? Eine Seifenoper? Realsatire, reif für die Heute-Show? Ja und doch viel mehr. Die Geschichte von Paul ist einfach meschugge. Sie geht so: Der neue Kanzler ist ein jüdischer Bub aus Offenbach. Talent, Ehrgeiz und unbedingter Machtwille

Read More →

post image

Schinkels Burn-Out

Wenn er Bühnenbilder entwarf, fühlte er sich glücklich. Karl Friedrich Schinkel liebte das Theater. Über vierzig Kulissen für Opern und Schauspielstücke stammen aus seiner Feder. Wenn er traumhafte Schlösser, Kathedralen oder Kaufhäuser entwerfen konnte, ruhte er in sich. Vieles blieb Vision, einiges wurde tatsächlich gebaut. Berlin ist voller Schinkel-Spuren. Vom Schauspielhaus am Gendarmenmarkt über das Alte Museum am Lustgarten bis zur Neuen Wache Unter den Linden.     Die Welt durch zeitlose Schönheit veredeln, das war sein Ziel. Für viele ist der Sohn eines Neuruppiner Pastors der bedeutendste deutsche Architekt. Ein Meister des Klassizismus. Ludwig Mies van der Rohe, der Stararchitekt der deutschen Moderne, Anhänger der Maxime „Weniger ist mehr“,

Read More →

post image

Magische Momente

Eine Koreanerin in Europa. Eine von vielen. Fleißig, wohlerzogen, unscheinbar. Ihr Name: Youn Sun Nah. Die junge Frau soll in Paris französische Literatur studieren. Das wünschen sich die Eltern. Die Tochter aus Seoul pariert und parliert los. Doch vielmehr als die Sprache fasziniert sie das Leben und besonders europäische Musik. Savoir vivre. Nun will sie Klassischen Gesang studieren. Beethoven Chopin und Schubert, gerne auch Brel und Piaf. Der Dozent rät ab. Sie sei zu alt. Sie könne es ja mit Jazz und Chanson versuchen. Ein Glücksfall. Denn die 25-jährige Youn Sun Nah erobert eine Neue Welt – die des Jazz. Unbekümmert, konsequent und voller Energie. Eine Kostprobe aus Havanna 2017.

Read More →

Erzähl mir was

So dramatisch wie im Kino oder Fernsehen vollziehen sich große Veränderungen selten. Im richtigen Leben geschieht es eher beiläufig oder lakonisch. Hoffnungen und Enttäuschungen, Mut und Angst zeigen sich in den kleinen Geschichten. Das ist der wahre Lauf des Lebens.  Im Augenblick des Schreibens ringen Zweifel mit Fragen. Wen soll das interessieren? Habe ich wirklich mit allen Wichtigen gesprochen? Nichts vergessen oder übersehen? Porträts bedeuten: abwarten, beobachten, herumsitzen, zuhören, wirken lassen. Das Erlebte muss sich allmählich in einem Menschen verdichten. Jede Frage kann zur Zumutung werden. Manchmal bleibt einen Wimpernschlag lang unklar, ob mein Gegenüber wütend hinwirft oder mich innig umarmt. Spannende Menschen haben in ihrem Leben einen Wendepunkt. Ihre

Read More →

post image

Briefe an den Feind

„Schimpfen ist der Stuhlgang der Seele“, notiert die Berliner Autorin Susanne Schädlich. Schimpfen verschafft ein wenig Luft. Mildert den Druck. Hate Speech heißt es heute in den digitalen Netzwerken. Im Kalten Krieg gab es kein Internet, aber „Briefe ohne Unterschrift“. Anonyme Botschaften, verschickt über Tarnadressen, später im Radio verlesen. Immer Freitagabends. Punkt Sieben. Stimmungsberichte aus der Zone, wie die DDR damals noch hieß. Briefe an den Feindsender BBC. Susanne Schädlich ist tief in alte Archive abgetaucht. Die Journalistin hat in Reading, im Vereinten Königreich wahre Schätze entdeckt und jetzt veröffentlicht. Zehntausende Briefe aus der frühen DDR. Die abgefangene Post hingegen verschwand nach der Wende im Stasi-Unterlagen-Archiv. Allein im Bezirk Rostock

Read More →

post image

Wer scheitert, kommt ins Museum

Scheitern als Chance. Ein geflügeltes Wort. Flott dahinfabuliert. Aber wer fällt schon gerne auf den Allerwertesten? Nach allen Anstrengungen, Mühen und Kämpfen. Ein Haus in Helsingborg macht das Scheitern ab sofort museumsreif. Das Museum der Fehler – The Museum of Failure – hat seit Anfang Juni seine Tore geöffnet. Es setzt Fehlern und Irrtümern ein Denkmal. Die Cola mit Kaffeegeschmack. Kugelschreiber – in Pink – nur für Frauen. Ein Brettspiel aus den achtziger Jahren. „Trump, the Game“. Alles Flops, Ladenhüter, Nieten. Umsonst und vergeblich.     Museumsdirektor Samuel West hat in seinem schwedischen Museum insgesamt siebzig Exponate ausgewählt. Sein funkelnagelneues Haus ist klein, aber fein. Die einfache aber geniale Idee:

Read More →

1 32 33 34 35 36 45