Category : aktuelles

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Verordnete Trauer?

„Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.“ Björn Höcke, beurlaubter Geschichtslehrer, Vordenker und Lautsprecher der AfD erhielt johlenden Beifall in Dresden, der deutschen Hauptstadt der Wutbürger. Was folgt? Die Schande Holocaust-Mahnmal abreißen? Planieren, um genau dort die „Altvorderen, die bekannten, weltbewegenden Philosophen“ und „Musiker“ aufzustellen? Schiller und Beethoven? Höcke attackierte den Zeitgeist eines „brutal besiegten Volkes“ wenige Tage vor dem 75. Jahrestag der Wannsee-Konferenz. Dort fand die bürokratische Absegnung der Endlösung für elf Millionen europäische Juden statt. Fünfzehn hohe Vertreter von SS und Regierung unter Leitung von Reinhard Heydrich (Chef des Reichsicherheitshauptamts) trafen

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Käfer mit traurigen Augen

Rums. Die Stille nach dem Crash. Immer wenn es krachte, war Verkehrswachtmeister Arnold Odermatt zur Stelle. Er regelte das Geschehen, nahm das Malheur in Augenschein und – knips – machte ein Foto. Immer nur eins. Die Rolleiflex hatte der Schweizer Dorfpolizist in einem Preisausschreiben gewonnen. Ab 1948 knipste er im Dienst, was er an Unfällen vor die Linse bekam. Seine Bilder von Karambolagen in der Schweizer Provinz wurden Anfang des 21. Jahrhunderts berühmt. Auf der Biennale – in Venedig.     Leidenschaftlich fotografierte Kantonspolizist Arnold Odermatt Autounfälle. Konzentriert, sachlich, streng. Momentaufnahmen des Schreckens. Konsequent auf das Wesentliche reduziert. Nie zeigte der Hobbyfotograf Opfer. Das war nicht seine Sache. Kein Blut,

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Der neue Mensch

„Revolutionär“. Die Russische Revolution wird hundert Jahre alt. „Das Alte, Morsche, Dekadente ist zerstört, das Neue wird gewagt.“ So viel Aufbruch war nie. In kürzester Zeit entluden sich in der Kunst ungeahnte Kräfte, Konzepte und Konstruktionen. An der Schwelle vom untergehenden Zarenreich zur neuen sozialistischen Gesellschaft war in Russland alles möglich. Eine hochproduktive kurze Zeitphase bis die stalinistische Kulturpolitik Ende der zwanziger Jahre alle Blütenträume einebnete und erstickte.     Die Kunstsammlung Chemnitz zeigt aus diesem Anlass derzeit rund vierhundert Leihgaben aus der Sammlung Vladimir Tsarenkov. Die Werke von 110 Künstlern umfassen Gemälden, Zeichnungen und Grafiken. Hinzu kommen Architekturmodelle, Vorarbeiten für Theaterdekorationen, Entwürfe für Bucheinbände, Plakate oder Porzellan. Die Auswahl

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Die Frau am Bass

Das neue Jahr fängt ja gut an. Mit einer Bassistin, die mit Dreißig vielen Rock und Jazz-Größen fulminanten Halt gibt. Die Dame heißt Tal Wilkenfeld, lebt in New York, kommt eigentlich von Down Under, vom anderen Ende der Welt. Sie begeistert immer mehr Fans. Vor kurzem hat sie ihr zweites eigenes Album vorgelegt. Es heißt Corner Painter. Die Bass-Lady aus Sidney ist eine Entdeckung wert.     Mit sechzehn warf sie die Schule hin, zog nach New York. Sie wollte Gitarristin werden, mit siebzehn stieg sie auf den E-Bass um. Mit Ausdauer, Talent und unbändiger Energie spielte sich Tal in die erste Liga der Jazz-Szene. Bereits mit 21 begleitete sie

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Heroes

„Was haben Ihnen Ihre jahrelangen Studien der Natur über die Seele Gottes verraten?“ fragte der Papst Anfang des 20. Jahrhunderts den Naturforscher Alfred Russell Wallace. Seine Antwort: „Über die Seele Gottes habe ich nichts erfahren, aber eines ist sicher: Er hat eine große Vorliebe für Käfer.“ Roger Willemsen war wie der Tierforscher Alfred Brehm, über den er bienenfleißig ein Buch schrieb. Während der Zoologe Brehm 9.000 ausgestopfte Vögel untersuchte, sammelte Willemsen in seiner Welt Menschen und ihre Schicksale.   Ich hätte in diesen Tagen gerne einen Text von Roger Willemsen über den Abgang der Pop-Helden gelesen. Über die Bowies, Princes, Manfred Krugs, Cohens und George Michaels dieser Welt. Sie verließen

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Ins Offene!

Was für Zeiten! Das Weltenende nah? Der Dichter Hölderlin rief einmal in Zeiten großer Not: „Komm! Ins Offene, Freund.“ Der Gang aufs Land sei allemal besser als in der privaten Nische zu verfaulen oder im Clinch mit einer kaputten Welt zu verglühen. Stadtflucht und Landlust sind ein Wesensmerkmal der modernen, entwurzelten Gesellschaft. Gerade in Zeiten von Terror, Gewalt und Globalisierung suchen immer mehr Menschen einen sicheren Rückzugsort. Fort aus den Städten, hinaus aufs Land – zu Ackerbau und Viehzucht, Piepmätzen und Blumenkohl.   Seit langem verbreitet sich diese Landlust-Schwärmerei. Die Biomärkte sind rappelvoll, Kirchen dagegen leer. Die Sehnsucht nach Landleben ist zu einer Art-Ersatzreligion geworden. Bioprodukte haben zugleich viel mit

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Frohes Fest

Alles wie immer und doch ganz anders. Aleppo, Ankara, Bagdad, Berlin, Lampedusa, Libyen. Das Zeitalter der Vereinfacher triumphiert. Trump, Brexit, Populisten aller Länder. Das Eis ist rutschig und dünn auf dem wir uns bewegen. In diesem Sinne allseits festen Grund im Neuen Jahr. Ein frohes und fröhliches Fest. Dazu viele gute weiterführende Ideen, Lösungen und Antworten für 2017. Weniger Sprüche, Sprechblasen und alternativlose Plattheiten. Den Vernünftigen eine Chance.   Frohe Weihnachten. Merry Christmas, Joyeux Noel, с Рождество́м!, عيد الميلاد سعيد    

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Vermisst

Das Bild entstand 1913. Der Turm der blauen Pferde. Ein ganz großer Wurf. Intensiv, wild, expressionistisch. Ein Jahr vor Ausbruch des ersten großen Infernos des 20. Jahrhunderts. Vor genau einhundert Jahren starb an den Fronten des I. Weltkrieges dessen Schöpfer Franz Marc. Für Kaiser, Reich und Vaterland, wie es hieß. Die Pferde gehören zu seinen aufwühlendsten und bekanntesten Werken. Sein Werk hat den Zweiten Weltkrieg nicht überstanden. Seit 1945 sind die Pferde spurlos verschwunden. Der letzte bekannte Besitzer des Turms der blauen Pferde war Nazi-Größe Hermann Göring. Der selbsternannte Reichsfeldmarschall hatte das Gemälde nach Ende der Ausstellung Entartete Kunst im Jahr 1937 in München einfach beschlagnahmt. Es soll sich in

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Über eine Zipfelmütze

Die Gedenkstätte Berliner Mauer zeigt sich empört. Eine weihnachtliche Zipfelmütze auf einem DDR-Wachturm. Das geht gar nicht. Kostümierung für einen Werbegag, nein danke! Direktor Axel Klausmeier: „Ich hoffe, die Initiatoren der Aktion entfernen die Mütze umgehend. Das hat für mich mit Humor nichts zu tun, sondern mit einer totalen Verfremdung eines historisch bedeutsamen Relikts zugunsten von Geschäftemacherei.“ Der Berliner CDU-Abgeordnete Schatz pflichtet konsequent humorfrei bei. Das sei „Verharmlosung des Unrechtsstaates DDR“. Die Zipfelmütze – ein abgeschmackter billiger Jakob? Der Chef vom Projekt Berlin Wall Exhibition wundert sich. Seine Firma hatte den übrig gebliebenen, etwas versteckt stehenden Turm am Potsdamer Platz restauriert. Und jetzt den BT9, so im Grenzer-Jargon, vorweihnachtlich geschmückt.

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„Unser Uwe“

„Angela Merkel war vor kurzem hier. Heimlich. Ohne Tamtam. Einfach so. Und Thomas de Maiziere auch.“ Kurze Pause. Der Mann lächelt zartbittersüß. „Eigentlich hätte ich das vorher wissen müssen. Ich bin ja der Bürgermeister.“ Der Mann grinst weiter. Lokalstolz steht ihm ins Gesicht geschrieben. Sein Städtchen Klütz ist ein Anlaufpunkt für Bundesprominenz. Warum?  Wegen eines Speichers, der zu einem Literaturmuseum für Uwe Johnson umgebaut wurde. Ein Mann, den auch sonst kaum noch jemand kennt. Wie bitte, Klütz? Das Provinzstädtchen liegt am nordwestlichen Zipfel Mecklenburgs, auf halbem Wege zwischen Lübeck und Wismar. Eine stille, spröde Landschaft mit wortkargen Menschen, deren sanfte Hügel plötzlich in der Ostsee versinken. Ein Flecken Erde, einst

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