Category : aktuelles

Good Bye, Mister Cohen

Die Schlange bei der Einreise am Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv nahm kein Ende. Warten auf die Güte der Grenzbeamten. Ich summte „First we take Manhattan, then we take Berlin“. Warum, weiß ich nicht mehr. Hinter mir begann plötzlich eine mittelalte Frau mitzusingen. Ich drehte mich um. Sie lachte mich fröhlich an. „I love him. Leonard is simply the best“. Für einen kurzen Moment verwandelte sich die nervige Warteschlange am Flughafen zur unwichtigsten Nebensache der Welt. Leonard Cohen verband uns. Wir lächelten beide. 120 wollte er werden. 82 Jahre ist er geworden. Der beste und tiefsinnigste Melancholiker, der mein Leben zuverlässig begleitet hat. Vor kurzem erst zelebrierte er bescheiden

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„In Uffing wollte er sich erschießen“

Das Geburtshaus in Braunau soll abgerissen werden. Schluss mit dem Hitler-Rummel, sagen österreichische Behörden. Das wäre schade, meint Hobby-Historiker Harald Sandner. Er legte vor kurzem sein Mammutwerk vor: Hitler. Das Itinerar. Itinerar bedeutet so viel wie „Reiseroute“ eines Herrschers.  Jedem Krümel seines Lebens spürte der Coburger Geschichtsforscher mit Hilfe von Urkunden, Chroniken, Zeitungsartikeln und Tagebucheinträgen nach. Ein weltweit einmaliges Werk, an dem er Jahrzehnte arbeitete. Der Mühe wert? Noch ein Hitler-Buch nach mittlerweile über achtzig seriösen Hitler-Biografien? Ja, schon stellt  das Itinerar stellt doch  etwas Neues dar. Die Sammlung ist Dokumentation, nicht Interpretation. Eine Art Hitler-Tagebuch, nur diesmal nicht gefälscht. Der methodische Ansatz: Hitler war ständig unterwegs. Das wird festgeghalten.

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Bürger begehren

Herrschaft bedeutet im Alltag primär Verwaltung, schrieb vor hundert Jahren Vordenker Max Weber. Heutzutage im Internetzeitalter produziert Verwaltung zuallererst Verdruss. Es heißt Warten auf die Gnade eines Termins. Auf einen Bescheid, eine Zugangsnummer, eine wohlwollende Prüfung. Der Bürger hat dankbar zu sein. Der Ton in den Amtsstuben ist dementsprechend rau. Hier überforderte Beamte, deren Dienststellen zusammengespart wurden, dort frustrierte Bürger, die ungeduldig auf einen Hauch  Besserung hoffen. Das Ergebnis: knechtische Gesinnung breitet sich aus. Folge einer tyrannischen Bürokratenherrschaft, die ihre Waffen Abstumpfung, Prinzipienreiterei und Gleichgültigkeit wirkungsvoll einzusetzen weiß. Beispiele gefällig? Bürgeramt Berlin-Kreuzberg in der Yorckstraße. Ein Herbsttag. 11 Uhr vormittags. Ein kranker Mann möchte einen Berlinpass beantragen. Die Dame hinterm

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„Freude durch Arbeit“

Eine große Mehrheit der Deutschen gibt an, gerne zu arbeiten.  88% erklären in Umfragen, Arbeit macht Spaß. Das ist weltweit Spitze. Typisch deutsch? – Typisch Luther! Da ist es das Mönchlein, das vor fünfhundert Jahren den Grundstein legte, Arbeit sei keine Strafe sondern sinnerfülltes Tun. Aus Beruf machte er Berufung, aus Musik eine höhere Mission. Die Folgen beschäftigen uns bis heute: Protestanten haben ein höheres Bildungsniveau als Katholiken. Am Ende des Tages klingelt es bei ihnen im Durchschnitt mehr im Portemonnaie. Zufall? Nein, sagen Luther-Experten. Das sei sein Erbe.     Martin Luther war ein Kraftmensch. Und ein Workaholic. Das Neue Testament übersetzte er in wenigen Monaten. Dabei plagte ihn

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Vogel flieg

Wer ist der größte Feind einer guten Idee? Der eigene Kopf. Die eigene Mutlosigkeit. Und: Das Weiter-so-bloß-nichts-ändern-Denken. Jeder kennt das. In großen Unternehmen hat es der kleine Freigeist besonders schwer. Er trifft allzu schnell auf den Typus des Feldwebels. Dieser vertritt Dienstweg, Vorschriften und die Kraft der Vorgesetzten. Denken ohne Geländer? Geht gar nicht. So werden die besten Ideen zielsicher zur Strecke gebracht. Gebügelt, geplättet, notfalls bis zur Unkenntlichkeit zusammengestrichen. Der Illustrator Christoph Niemann kennt diesen Kreislauf der Kreativen zur Genüge.     Aus einem kleinen Fabelwesen, das so gerne das Fliegen lernen will, kann schnell ein bunter, prächtiger Paradiesvogel werden. Die Fantasie nimmt ihren Lauf. Ungehemmt, wild und herrlich

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Erinnerung an Esbjörn

Es war ein warmer freundlicher Sommertag, dieser 14. Juni 2008. In den Schärengärten vor Stockholm sprang Esbjörn Svensson in die Ostsee und tauchte ab. Sein Sohn wartete am Ufer. Dann passierte Schreckliches. Esbjörn verhedderte sich, tauchte nicht mehr auf. Das abrupte Ende einer Leidenschaft. Einer der bedeutendsten und einflussreichsten Jazz-Pianisten der Jahrtausendwende starb im Alter von 44 Jahren. Ein Unglück notierte die schwedische Polizei. Es war eine Tragödie für die Welt des Jazz. Esbjörn Svensson, Sohn einer Konzertpianistin, revolutionierte den gefühlvollen Piano-Jazz. Der große Bach-Liebhaber setzte mit seinem Trio e.s.t. neue Maßstäbe. Nach dem Motto Weniger ist mehr machte er das Komplexe sinnlich begreifbar und ließ das Einfache nicht banal

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Ein Leben mit vielen Akten

Es war das einzige Buch, das in fast fünfzehn Jahren meiner Moderationen auf dem Blauen Sofa während der Buchmessen sofort geklaut wurde. Es war ein neuer Bildband von Günter Rössler. Den damals bereits betagten Leipziger Fotografen begleitete ich von der Bühne hinunter zum Signieren an den nahen Autogrammtisch. Das Buch ließ ich für einen winzigen Moment liegen. Ein Fehler. Als ich zurückkehrte, war es längst weg.     Rösslers Buch erschien 2006. Es hieß: „Mein Leben in vielen Akten“. Es erzählt die Geschichte eines DDR-Fotografen, der aus Leidenschaft unbekümmert und unverkrampft die Weiblichkeit in den Mittelpunkt seines Lebens gestellt hatte. „Nacktheit empfand ich von Anfang an nicht als Peinlichkeit oder

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Musik, die träumt

Er wird viel gespielt, ist verkannt und vergessen. Von jungen Musikern wird er jedoch begeistert wiederentdeckt: Gabriel Fauré. Ein französischer Komponist und Pianist. Spätromantiker vom Scheitel bis zur Sohle. Ein stiller, leiser Mann, der die sanfte Macht der Musik zelebrierte wie kein anderer. Er ist es wert, gespielt zu werden. Besonders Cantique, sein Lobgesang. Komponiert im Alter von 19 Jahren. Ein frühes Meisterwerk.     Der junge Student vertonte im Choral Cantique, auf Deutsch Lobgesang, eine 200 Jahre alte Textvorlage seines Landsmanns Jean Racine aus dem Jahre 1688. In dieser Hymne heißt es: „Gieße aus auf uns das Feuer deiner machtvollen Gnade, dass die ganze Hölle flieht vor dem Klang

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Was Recht war…

„Alles war Recht und Gesetz.“ – „Wir taten nur unsere Pflicht.“ – „Fachleute werden immer gebraucht.“ So hieß es unter Juristen nach Kriegsende. Der Rest war Schweigen. Jahrzehntelang. Erst jetzt über siebzig Jahre nach dem Untergang des NS-Regimes klärt eine aufsehenerregende Studie, wie unbeschadet Justizvertreter in der Nachkriegszeit im neuen Bundesjustizministerium weiter machen konnten. Als wäre nichts passiert. Zehn von dreizehn Abteilungsleitern der Rosenburg, dem ersten Bonner Dienstsitz, waren im Jahre 1957 frühere Parteigenossen der NSDAP. Das bedeutet 76,9 Prozent. Mit dabei Eduard Dreher, einst Sonderstaatsanwalt am NS-Sondergericht in Innsbruck.   Eduard Dreher machte in der Rosenburg Karriere. Er stieg in den fünfziger Jahren am Bonner Venusberg zum Referatsleiter auf,

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„Merkel muss weg“

Das muss weg, sagte sich Irmela Mensah-Schramm im Mai 2016. Die rüstige Rentnerin nahm eine Spraydose, Farbe Pink, und verwandelte die Parole in einer Unterführung  in ein friedlicheres „Merke! Hass weg“. Dazu sprühte sie zwei Herzchen. Die siebzigjährige Berlinerin wurde beobachtet, angezeigt und in diesen Tagen vom Amtsgericht Tiergarten offiziell verurteilt. Bei Wiederholung drohen der engagierten Frau 1.800 Euro Geldbuße und eine Haftstrafe von einem Jahr auf Bewährung. Mit der grellen Farbe Pink habe sie wissentlich eine Sachbeschädigung herbeigeführt, argumentierte die übereifrige Staatsanwältin. Sie beharrte auf einer Bestrafung, obwohl das Gericht zu einer Einstellung des Verfahrens tendierte. Die Frau, die sich selbst einmal als Politputze bezeichnete, wäre damit vorbestraft. Dabei

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