Category : aktuelles

Born in the USA

„They are very good people“, twitterte der Präsident der Vereinigten Staaten, als im Frühjahr hochgerüstete „Proud Boys“ das Capitol von Michigan stürmten. Anfang Oktober 2020 zerschlug das FBI eine Verschwörergruppe und nahm dreizehn selbsternannte Kämpfer fest. Die Michigan-Milizien wollten Gretchen Widmer, die demokratische Gouverneurin von Michigan, entführen, um die Macht zu übernehmen. Der Vorwurf: Widmer begehe „Verrat an den USA“, weil sie einen harten Kurs in der Corona-Pandemie fährt. Präsident Trump schürt auch nach deren Verhaftung das Feuer weiter. „Ihr müsst eure Gouverneurin dazu bringen Euren Staat zu öffnen“. Seine Anhänger antworteten mit einem Trump-Slogan aus dem Wahlkampf 2016: „Sperrt sie ein!“ Trump ergänzte die Sprechchöre mit einem: „Sperrt sie

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Lachen über A.

New York. Große Kino-Premiere in Manhattan an einem Herbstabend Mitte Oktober 1940. Auf der Leinwand erscheint „Der große Diktator“. Charlie Chaplins erster Tonfilm überhaupt. Die Hitler-Parodie wird ein Kassenmagnet. Zwar mäkeln einige Kritiker, der Zweistundenfilm sei an manchen Stellen zu kitschig geraten. Doch die Verwechslungskomödie vom kleinen Friseur Anton Hinkel und dem großen Diktator A.H. trifft den Nerv in einer Zeit, in der Hitler in Europa von Sieg zu Sieg eilt. Chaplins Meisterwerk spielt im Tomanischen Reich. Mit dabei sind Gorbitsch-Goebbels und der dicke Hering-Göring. Diktator Hinkel benutzt am liebsten sein Schimpfwort „Schtonk“. Demokratie ist Schtonk! Liberty ist Schtonk! Free Sprecken ist Schtonk!     Perfektionist Chaplin sagte über seinen

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„Mein Herz ist ein Automat aus Blech“

Eine junge Frau wartet auf den Zug. Am Bahnsteig lockt sie ein Snackautomat. Sie sucht nach Münzen. Plötzlich springt ihr Zwillingsbruder vor den einfahrenden Zug. Das Einstiegsszenario für Olivia Wenzels Debut 1000 Serpentinen Angst. Mit Vollgas und Wumms legt sich die Autorin in die Kurven, rast um die Welt. Von ihrer Heimat Thüringen über Berlin, Vietnam bis nach New York. Ihr Road Movie erzählt von der wilden Reise einer jungen Ostdeutschen auf der Suche nach dem kleinen und großen Glück. „Ich komme aus einer Familie, in der die Idee, sich so weit wie möglich von sich selbst zu entfernen, übertrieben romantisiert wurde“. Die junge Glücksucherin ist Kind einer DDR-Punkerin und

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„Weltaugenblick“

Berlin in einer kalten Januarnacht 1919: „Abends in einem Kabarett in der Bellevue Straße. Rassige spanische Tänzerin. In ihre Nummer krachte ein Schuss hinein. Niemand achtete darauf. Geringer Eindruck der Revolution auf das großstädtische Leben“. Schüsse und Straßenschlachten betrachten die feierwütigen Bohemiens allenfalls als lästige Störung, „wie wenn ein Elefant einen Stich mit einem Taschenmesser bekommt“, notiert der Gesellschaftsbeobachter Harry Graf Kessler Anfang der zwanziger Jahre. Exakt vor hundert Jahren am 1. Oktober 1920 lernt Groß-Berlin – wie wir es heute kennen – das Laufen. Acht selbständige Städte, 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirke sind per Gesetz zusammengeschlossen worden. Über Nacht katapultiert sich diese Ansammlung von märkischen Dörfern zur drittgrößten Metropole

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Die Hauptmänner von Köpenick

Die Stufen zum imposanten Rathaus Köpenick hinauf. „Wo wollen Sie hin?“ schnarrt es aus der Pförtnerloge. „Zum Hauptmann.“ – „Dann tragen Sie sich mal ein. Name, Adresse. Beginn und Ende des Besuchs!“ hallt es preußisch-knapp durch die Lobby. Ohne Formular geht nichts. Nicht in Corona-Zeiten, nicht in Köpenick. Wenn die Formalitäten erledigt sind, darf der Besucher – „den Gang rein, dann rechts rum!“ – zwei kleine Ausstellungsräume besuchen. Es lohnt sich. Über den Schuhmachergesellen und „Berufsverbrecher“ Wilhelm Voigt ist Spannendes zu erfahren. Über seinen „Geniestreich“ vom Herbst 1906. Als er das kaiserlich-militärische Berlin vorführte, mit seinem Uniformtick, dem Prinzip „Befehl ist Befehl“ und Kadavergehorsam bis in die Haarspitze. So eroberte

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Görlitzer Blütenträume

Juni 1989. Der Bus rast durch die Straßen von Görlitz. Ein schwarz-weißer Streifen aus Gebäuden, Gassen und Plätzen huscht am Fenster vorbei. Hier abgestützte Balkone, dort ein gesperrter Straßenzug. Soll hier ein Kriegsfilm gedreht werden? Der Fahrer drückt auf die Tube. Das Ziel des Reisebusses mit seiner Ladung Journalisten an Bord ist die Stadthalle von Görlitz. Wie ein schwarzer Riese wartet der Jugendstilpalast am Ufer der Neiße. Ich bin Teil einer PR-Fahrt der DDR-Regierung, die stolz ihre „einseitigen Abrüstungsschritte“ in Görlitz verkünden will. Um nichts Geringeres als den Weltfrieden geht es an diesem warmen Frühsommernachmittag. Die Medienmeute wird aus dem Bus komplimentiert. „Links rum, keine Sperenzchen, keine Extrawurst“, ruft der

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Halleluja

„Es ist ein guter Song, aber er wird von zu vielen Leuten gesungen“, sagte einmal Leonard Cohen. Allerdings verspüre er ein gewisses Gefühl von Genugtuung, weil er sich genau daran erinnern könne, dass seine US-Plattenfirma den Song nicht veröffentlichen wollte. „Sie dachten, er sei nicht gut genug.“ Nachdem der kanadische Singer-Songwriter Leonard Cohen (1934-2016) seinen Jahrhundertsong 1984 veröffentlichte, sind viele hundert Cover- oder Instrumentalversionen erschienen. Die bekanntesten Halleluja-Covers kommen von Jeff Buckley, Rufus Wainwright und der A-Capella-Formation Pentatonix. Zu den zahllosen Musikern, die Halleluja in ihr Repertoire aufnahmen, gehören Annie Lennox, Sheryl Crow, Willie Nelson, Bon Jovi, Wir sind Helden, Paramore, Bono, Popa Chubby, Amy Macdonald, Lindi Ortega, Kinderstar Nora

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Pulverfass Beirut

Rumms machte es, als 2.700 Tonnen Ammoniumnitrat Anfang August 2020 in Beirut in die Luft flogen. Die Detonationswolke erinnerte viele an die erste Nuklearexplosion von Hiroshima, fast auf den Tag genau vor 75 Jahren. Apokalypse Beirut. Die Detonation war ein wirtschaftlicher, politischer und moralischer Super-GAU. Nach wie vor sind rund 300.000 Menschen obdachlos – in einem Staat, der längst dem Abgrund entgegentaumelt.  Warlords und räuberische Kaufleute regieren mit eiserner Hand das einst blühende Land im Nahen Osten. Jahrzehntelanger Bürgerkrieg, Korruption und Wirtschaftskrisen nehmen dem  Libanon jede Luft zum Atmen. Als „Krönung“ nun die apokalyptische Explosion in Halle 12, wahrscheinlich Folge unglaublicher Schlamperei. Der Hafen von Beirut ist der „Ground Zero“

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„Und die Eselin sah den Engel“

Luft zum Atmen. Das ist wichtig für jeden einzelnen von uns. Egal wann, egal wo. Ob für die Kassiererin bei Lidl oder den Pfleger im Heim. Ob für den Zuwanderer aus Damaskus oder die Künstlerin in ihrer Kreativwerkstatt. Frei zu denken, frei zu reden, frei zu handeln. Frische Luft ist besonders wichtig in aufgeladenen Corona-Zeiten wie diesen. Wer will schon künstlich beatmet werden? Ein neues Phänomen zieht derzeit Kreise, das freiem Denken die Luft zum Atmen nimmt. Der Zeitgeist taufte es Cancel Culture. Was ist das? Wohin führt das? „Cancel Culture“ ist ein Internet-Phänomen. Problematische oder missliebige Äußerungen werden via Twitter oder Facebook – oder was auch immer – kritisiert

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Mit dem Kopf durch die Wand

Wozu sind Menschen fähig? Wann verweigern sie sich? Eine alte Formel sagt: Vierzig Jahre Machterhalt sind ein einigermaßen verlässlicher Richtwert. Vierzig Jahre brauchte es, bis Moses sein Volk ins Gelobte Land führen konnte. Vierzig Jahre hielt das DDR-Versprechen einer neuen Gesellschaft, bis sie zusammenbrach. Seit über dreißig Jahren regieren die neuen Masters of the Universe. Die gutverdienenden Piloten des Turbo-Kapitalismus. Die smarten Chefs von Amazon bis Google. Auch sie versprechen eine bessere Welt.     Die DDR sicherte ihr „Paradies“-Versprechen mit Hilfe von Mauern und einem hoch gerüsteten Apparat. In vierzig Jahren Grenze standen über 500.000 Deutsche in der Uniform der DDR-Grenztruppen. Wer waren diese Menschen? Wie denken Sie heute?

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