Category : aktuelles

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Was für ein Blick

Der Rand der Welt ist interessant, nicht die Mitte. Davon war die Ost-Berliner Fotografin Sibylle Bergemann zeitlebens überzeugt. Sie beobachtete den Wandel der Jahreszeiten, Menschen und Systeme. Niemand schaute so genau hin wie sie. Ihre Aufnahmen sind Dokumente feiner, fliehender, flüchtiger Momente. Meist beiläufig, stets unaufgeregt, gleichwohl sorgfältig und präzise. So hielt sie das Besondere im Banalen fest. Bilder zum Entdecken. Mit einem Augenzwinkern oder einem Aha-Effekt. Jetzt erinnert die große Ausstellung „Landläufig“ im Kurt-Mühlenhaupt-Museum in Bergsdorf bei Berlin an die vor acht Jahren verstorbene Künstlerin.     Sibylle Bergemann (1941-2010) sagte einmal: „Der Wandel hat die bekannten Zeichen vielleicht verwischt, aber nicht unkenntlich gemacht.“ Landläufig beschreibt die großen Veränderungen

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Mein Freund der Baum

Der kräftige Ahorn-Baum vor unserem Haus wankte, dann krachte er auf das Auto unserer Nachbarin. Ihr kleiner Sportflitzer war platt. Sie hatte Glück. Zwanzig Minuten zuvor war sie ausgestiegen. Das war im letzten Herbst als der Orkan Xavier über Berlin hinwegfegte. Die Feuerwehr zerlegte den Baum. Zurück blieb ein hässlicher Stumpf, aufgerissenes Pflaster und eine Lücke. Diese wird wohl lange bleiben.     Seit dem Orkan passierte neun Monate – eine ganze Schwangerschaft lang – nichts mehr. Außer einer rot-weißen Flatterleine, die notdürftig gespannt wurde. Der Berliner Amtsschimmel ruhte. Ende Juni 2018 ein kleines Wunder. Zwei freundliche Mitarbeiter einer Gartenbaufirma gruben das Wurzelwerk aus und transportierten den traurigen Rest ab.

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Auf und davon

„Denn da ist keine Stelle, die dich nicht sieht. Du musst dein Leben ändern!“ Das notierte Rainer Maria Rilke in seinen Briefen. Was für ein Wunsch! Zeitlos bohrend, hoch aktuell. Gestresste Stadtmenschen mit zu hoher Drehzahl suchen Ruhe. Schnell, preisgünstig, nachhaltig. Innere Ruhe ist ein kostbares Gut geworden. Das Landleben verspricht Alternativen: Bäume umarmen, Unkraut jäten, Marmelade einkochen, sein Seelenheil finden. Wirklich?     Der Zug aufs Land ist ungebrochen. Je voller die Ballungszentren werden, desto mehr Städter siedeln auf dem flachen Land. Hübschen verfallene Bauernkaten auf. Organisieren Opern in Kuhställen. Verrenken sich zur Kirschblüte auf Yoga-Matten. Lobpreisen die Stille der Landschaft. So joggen, reiten und radeln sie durch Feld

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Frohe Botschaften

Ein kleiner Schaukasten in Berlin-Mitte. Er fällt kaum auf. Die verglaste Mitteilungstafel steht vor einem hohen Zaun, dahinter ein Siebzigerjahre-Betonklotz. In diesem Schaukasten befindet sich eine Art nordkoreanisches Facebook unserer Tage. Zu sehen sind einige Bilder und Texte, die das aktuelle Zeitgeschehen kommentieren.     Das offizielle Mitteilungsorgan der nordkoreanischen Botschaft wird in regelmäßigen Abständen aktualisiert. Allerdings lässt man sich dabei Zeit. Im Mittelpunkt des Kastens ist derzeit der Staatsführer. Keine Frage. So heißt es: „Der verehrte Oberste Führer Genosse Kim Jon Un bei der Vor-Ort-Anleitung.“ Alle lächeln, genau wie die behelmten Kinder auf dem Foto nebenan mit der Unterschrift „In einem Sportpark“.     Die aktuellen Entwicklungen der letzten

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Tanz, wenn du kannst

Es waren heiße Tage im September. Ich musste schnell nach Hoyerswerda. Wohin? Hoyerswerda kannte ich nicht. Spätsommer 1991 und weit weg von Berlin. Als wir dort zwei Stunden später eintrafen, herrschte eine brisante Mischung. Ungehemmt tanzten Wutbürger in den Straßen. „Ausländer raus“, schallte es. Im Visier vor allem Mocambikaner, Gastarbeiter in der DDR. Es hieß, sie lebten auf Kosten der Einheimischen. Fünf Tage Ausnahmezustand. Jagdszenen in Sachsen. Am helllichten Tage. Als wir in der Thomas-Müntzer-Straße für das Heute Journal unsere Kamera auspackten, wurden wir beschimpft. Das Ausländerheim war attackiert und geräumt worden. Busse transportierten die Bewohner ab. Dieser Moment brannte sich mir ein. Wir waren ratlos. Nicht wenige Hoyerswerdaer jubelten.

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Ten years after

Ein Samstagnachmittag. Mitte Juni 2008. Zeit für Experimente. Plötzlich eine Unachtsamkeit. Ein kurzer Moment der Irritation. Es wurde ein Schicksalsschlag. Esbjörn Svensson starb vor genau zehn Jahren bei einem Tauchunfall im Hafen seiner Heimatstadt Stockholm. Die Umstände konnten nie geklärt werden. Besonders tragisch: sein fünfzehnjähriger Sohn Ruben wartete am Hafenbecken, war beim Unglück dabei. Aus und vorbei. Esbjörn, der begnadete Virtuose, war einfach nicht mehr da. Der Mann, der mit seinem innovativen Spiel Jazz und Rock neu erfand. Dessen Energie bei seinen Live-Auftritten legendär war. Esbjörn Svensson wurde 44 Jahre alt. Nun erinnert ein bisher unveröffentlichtes Live-Album, mitgeschnitten bei einem Konzert in London an den großen Jazz-Pianisten. Es heißt: „Mingle

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Der König von Korsika

Einmal König sein. Wenn auch nur für eine kurze Zeit? Auf der französischen Ferieninsel Korsika hatte sich der westfälische Baron Theodor von Neuhoff diesen Traum erfüllt.  Seine Herrschaft währte nur kurz. Sie dauerte nicht einmal sieben Monate. Aber der Baron, der sich bereits Lord von England oder Grande von Spanien nannte, hatte einen Plan. Er wollte den Korsen die Unabhängigkeit bringen, versprach die verfluchte Fremdherrschaft der Genuesen abzuschaffen. Das kam gut an. Wir schreiben das Jahr 1736. Theodor von Neuhoff landet in einem Phantasiekostüm an der korsischen Küste. Von Bord seines Schiffes lässt er einige Kanonen, 400 Gewehre  und Munition entladen. Dazu als weitere, nichtmilitärische Argumentationshilfe Gold, Geld und Getreide.

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Der letzte Vorhang

Vorhang zu. Aus und vorbei. In wenigen Tagen ist Schluss mit zwei Traditionsbühnen auf dem Kudamm. Die Komödie und das Theater am Kurfürstendamm müssen schließen. Sie weichen einem neuen Shoppingcenter. Das Ende einer hundertjährigen Theatergeschichte. Ein russischer Investor an der Spitze eines verschachtelten Anlegerimperiums errichtet eine Luxusmeile. Einziger Kompromiss nach Protesten und zähen Verhandlungen: Im Keller entsteht ein kleines Ausweichquartier. Der Deal: Die Kosten für die künftig teure Miete soll am Ende der Senat, sprich der Steuerzahler übernehmen.     In der Hauptstadt wird derzeit gekauft, verkauft, abgerissen und neugebaut als müsse in wenigen Jahren das neue Rom entstehen. Eine Stadt im Gründerrausch. Besonders die Vorzeigemeile Kurfürstendamm ist im Visier.

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Is your fire still burning?

Er ist ein echter 68er. Jedenfalls den Lebensjahren nach. Im Herbst wird er 69. Bruce Frederic Joseph Springsteen. Ist nun Zeit für die verdiente Rocker-Rente? Oder hat die Zitrone noch Saft? Für seine Fans ist die Frage überflüssig wie ein Kropf. In dem Dokumentarstreifen „Springsteen and I“ erzählen Verehrer aus aller Welt in selbstgemachten Videos von ihrer  Beziehung zum „Boss“. Herausgekommen ist ein einziges Bewunderungswerk. Aber die Doku des Briten Baillie Walsh offenbart eine ganze Menge über unsere eigenen Sehnsüchte. Eine Truckerin betont, seine Songs vermittelten ihr, nicht die Reichen, sondern sie sei die Stütze des Landes. Eine ältere Dänin verfasst flammende Liebesschwüre. Bruce hätte ihr das Gefühl gegeben, er

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Flieg mit

„Wenn es dir mies geht, wenn du Hoffnung brauchst, folge diesem Lied“. Olivia Trummer sitzt am Flügel. Zierlich. Konzentriert. Dann legt sie los. Schwingt sich auf. Kontrabass und Schlagzeug steigen ein, geben dem Song Halt und Linie. Sinn und Form. Olivia Trummer präsentiert Lieder aus ihrem Album „Fly now“. Sie gilt als Geheimtipp und großes Talent des Jazz. Jung, neugierig, unaufgeregt. Cool im allerbesten Sinne. Die 31-jährige Pianistin, die viel jünger aussieht, stammt aus einer Stuttgarter Musikerfamilie. Insgesamt fünf Mal gewann sie den Wettbewerb „Jugend musiziert“. Sie studierte klassisches Klavier an der Musikhochschule Stuttgart, wechselte über den großen Teich nach New York. Sie lernte an der Manhattan School of Music.

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