Category : aktuelles

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Unter Nachbarn

Unser Haus ist ein typisches Berliner Mietshaus. Gründerzeit. Anfang des 20. Jahrhunderts in die märkische Erde gepflanzt. Schickes Vorderhaus, enger Hinterhof, begrünte Brandwand. Zwei Seitenflügel, drei Aufgänge, kein Fahrstuhl. Vorne bürgerlich-großzügig, typisch Wilmersdorf. Die Treppenhäuser in den beiden Seitenflügel sind deutlich schmaler, die Hinterhofwohnungen kleiner, aber preiswerter. Die gut vierzig Mitbewohner – groß und klein, alt und jung, sind so unterschiedlich wie die Stadt. Vom BVG-Ruheständler über die Bosnierin, parterre rechts, die vor Krieg und Vertreibung geflüchtet ist, bis zu mir als Fernsehmenschen ist eine bunte Mischung vertreten. Wir kommen in der Regel gut klar. Einmal im Jahr gibt es ein Hoffest. Jede/r bringt etwas mit, bis Würstchen, Kartoffelsalat, Bier

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Mambo, Mozart und mehr

Wann gibt es das in der Berliner Philharmonie? Heiße Rhythmen, rhythmisches Klatschen, kreisende Hüften und tanzende Menschen im Foyer. Ausgelassen, spontan, begeistert zwischen Ausgang und Garderobe, ohne Programmankündigung und Sitzplatzreservierung. Die kubanischen Musiker des Havana Lyceum Orchestra verlängerten ihr zweistündiges Konzert im Kammermusiksaal und zogen in der Zugabe fröhlich-beschwingt aus dem Saal in die Empfangshalle. Dort sangen und improvisierten sie weiter, Chan Chan und Guantamera. So viel Lebensfreude, so viel Energie war schon lange nicht mehr in der eher hüftsteifen Philharmonie. Ein Konzerttempel, in der das gesetzte Publikum höchstens in Satzpausen mit einem spontanen Hustenkonzert auffällt. Mitten in der tanzenden Menge Hornistin Sarah Willis, lachend, ohne ihr Instrument, dafür mit

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„Sein oder Nichtsein“

Die Hitlers kommen und gehen. Das Theater bleibt. Das ist die Geschichte von Sein oder Nichtsein. Shakespeare at its best. Polen, zu Beginn des II. Weltkrieges. Ein kleines Ensemble probiert, parodiert und präsentiert pointiert Hamlet. Das Team steht mit dem Rücken zur Wand, gibt alles, in den besten Momenten bringt es die Allmächtigen dieser Welt zum Wanken. So entsteht eine Parabel mit viel Galgenhumor, bei der einem das Lachen im Halse stecken bleibt. New York 1942. Vor genau achtzig Jahren, als die Nazis auf dem Höhepunkt ihrer Macht sind, feiert die Tragikomödie Sein oder Nichtsein Premiere. Im Mittelpunkt eine Theatergruppe im von Deutschland überfallenen und besetzen Polen. Der Film wurde

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Hemingway in Charkiw

Was kann Literatur in Kriegszeiten bewirken? Die erste Aufgabe ist es, Augenzeuge zu sein. Festhalten, was geschieht. Die zweite muss sein, zu reflektieren, was möglich wird, was anders gemacht werden kann, was zu lernen ist. Das Internet ist voll mit russischen und ukrainischen Texten. Fast 80% der aktuellen Texte sind Kriegserzählungen, Liebesgeschichten fehlen. „Krieg zerstört die Sprache. Das führt zur Sprachlosigkeit“, sagt Serhij Zhadan. Schreibender, singender und freiwilliger Helfer an der Front. Ein mehr als aktiver Poet aus Charkiw. Seine geschundene Heimatstadt im Osten der Ukraine steht seit dem ersten Tag des Überfalls unter Beschuss. Doch die Charkiwer geben nicht auf, obwohl die Russen ihre Stadt seit seinem halben Jahr

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Der „Trottel“

„Eines der streckenweise intelligentesten Bücher, das der Rezensent je gelesen hat. Leider zerstört sich der Text nach und nach selbst, weil seine innere Wucht einerseits vertikal verpufft, andererseits seitlich auseinanderfließt.“ Oder: „Für jeden seiner vielen Fußnoten verdient dieser Mensch einen Stromschlag angemessener Stärke und Spannung.“ Der neue Roman „Trottel“ liefert gleich zu Beginn im Umschlagband „Anregungen und Vorschläge für Rezensenten, nützliche Bonmots für Streitgespräche oder zukünftige Nackenschläge“. Alles im Preis inbegriffen. Der „Trottel“ versorgt faule und/oder vorurteilsbeladene Vertreter der Kritikerkaste mit Munition für die Handhabung eines Buches, das wirklich anders ist als die anderen. Bereits der kurze Titel Trottel überrascht. Das Buch stammt aus der Feder von Jan Faktor. Er

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Väterchen Russland! Was machst Du?

„Was ist mit Russland passiert? Seit dieser Krieg im Februar 2022 begonnen hat, haben mir viele Leserinnen und Leser aus der Ukraine geschrieben. Sie haben mir Fotografien von U-Bahnhöfen aus Kiew und Charkiw geschickt, die sich bei russischen Artillerie- und Bombenangriffen in unterirdische Bunker und Städte verwandelten und in denen Menschen zum Teil wochen- und monatelang gehaust haben. Sie schrieben mir: »Sehen Sie, Dmitry, Sie haben das alles vorausgesagt. Wir leben jetzt in Ihrem Buch Metro 2033.« Natürlich habe ich, wie wir alle, diesen Krieg nicht voraussehen können. Sicher, ich habe mir mit großer Begeisterung apokalyptische Szenarien ausgemalt, aber dabei nie wirklich daran geglaubt, dass eine so ungeheuerliche Barbarei, eine

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Liebling Kreuzberg

Eine kleine Gruppe versammelt sich in Riehmers Hofgarten. Im Vorzeige-Kreuzberg. Es gibt drei Reden. Es spricht der Kultursenator, der Sponsor und der Biograf. Danach schreitet die kleine Schar zum Ort des Geschehens. Hauseingang Hagelbergerstraße 10c, gut geschützt vom Lärm der Großstadt. Die Witwe enthüllt eine Tafel, auf der steht: „Hier wohnte von 1980 bis 1994 Jurek Becker. Drehbuchautor, freier Schriftsteller“. Die Umstehenden applaudieren, stoßen mit Sekt an. Wer? Jurek Becker! Die neue Kreuzberger Tafel hilft. Sie berichtet von „Jakob der Lügner“ und „Liebling Kreuzberg“. Das eine war ein Welterfolg, verfilmt in der DDR und für den Oskar nominiert. Das andere war eine erfolgreiche Fernsehserie. Manfred Krug als kauziger Anwalt, der

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Früchte des Zorns

Tom Joad ist einer von vielen. Der Farmer versucht seine Familie durchzubringen. Doch die Dürre drückt seine Erträge. Die Bank fordert Schuldzinsen, der Grundbesitzer die Pacht. Irgendwann geht es nicht mehr. Die Familie verliert ihr Land an die Bank. Auf einem Handzettel wird gut bezahlte Arbeit im Westen angeboten. Die Rettung? Tom Joad lädt seine ganze Familie auf einen schrottreifen LKW. Großeltern, Onkel, Söhne, schwangere Tochter, ihren Mann, deren Kinder und einen mittellosen Wanderprediger. Der Treck startet in Oklahoma. Immer weiter kämpfen sie sich durch Sandstürme Richtung Gelobtes Land. Während der beschwerlichen Reise sterben die Großeltern. Die Joads gehören zu den vielen Hundertausend US-Bürgern, die statt der goldenen Freiheit von

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Wiederholt sich alles?

Es war ein kühler Montag im Februar. Im neuen Museum für Flucht, Vertreibung und Versöhnung am Berliner Anhalter Bahnhof stellt die Journalistin Christiane Hoffmann ihre berührende Vater-Tochter-Geschichte vor. Die stellvertretende Regierungssprecherin berichtet über die Flucht ihres Vaters. Er hatte sich als kleiner Junge mit der Familie in einem schlesischen Dorf zu Fuß auf den Weg gen Westen gemacht, um der vorrückenden Roten Armee zu entkommen. Christiane Hoffmann folgt dem Fluchtweg ihres Vaters – zu Fuß. Das Nachwandern ist Basis für Begegnungen, die aufzeigen, wie tief sich der II. Weltkrieg bis heute in die Seelen der Menschen in der Ukraine, Polen, Tschechischen Republik und bei uns eingegraben hat. Ich hatte Gänsehaut!

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Sie kam aus Fürth

Natascha Wodin. Ihr Leben ist ein Roman. 1945 als Flüchtlingskind im fränkischen Fürth geboren. Vater Russe, Mutter Ukrainerin. Wie Millionen andere Zwangsarbeiter nach Hitler-Deutschland verschleppt. Nataschas Mutter schuftete in einem der 35.000 Zwangsarbeiterlager. Sie musste Granaten drehen.  Nach dem Krieg wurden sie nicht mehr gebraucht, in der Sowjetunion als „Kollaborateurin des Kriegsfeindes, als Hure der Deutschen“ beschimpft. 1956 ertränkte sich Nataschas Mutter in einem Fluss, „rechtlos, perspektivlos, zerstört von den Gewalten, in deren Mahlwerk ihr Leben geraten war“. Dieses Schicksal schildert Wodin in ihrem erschütternden Roman und Bestseller „Sie kam aus Mariupol“. Heute ist Natascha Wodin 76 Jahre alt. Und Mariupol wieder umkämpftes Kriegsgebiet.     Die ersten fünf Jahre

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