Category : aktuelles

Das Sylt-Versprechen

Niemals Alltag, immer Überfluss. Wilde Natur. Frischer Wind. Unbeschwertheit. Sonnenuntergänge. Romantik. Das volle Programm. So soll, so muss Deutschlands schönste und teuerste Insel wohl sein. So lautet das Sylt-Versprechen. Der Name verpflichtet. Sylt ist Sehnsuchtsort. Ein friesisches Ferienparadies mit schicken Villen im weiß-cremigen Hampton-Style, reetgedeckt. Ein exklusives Reichen- und Investorenmekka. Was Long Island für die New Yorker, ist den Deutschen dieser dünne heftig umwehte Inselstrich in der Nordsee. Für Susanne Matthiessen ist Sylt viel mehr: Kindheit, Jugend, Heimat und Fluchtpunkt. Sie zählt sich zum Inseladel. Geboren bei auflaufender Flut in der inseleigenen Nordseeklinik. Mittlerweile sterben die echten Insulaner aus. Im Januar 2014 wurde die Geburtsstation geschlossen. Matthiessen (Jahrgang 1963) hat

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Auf verlorenem Posten

In engen, scharfen Kurven schlängelt sich die Landstraße auf die Höhen des Thüringer Waldes. Geschafft. Zu sehen ist hier oben leider wenig. Es regnet aus Kübeln. Willkommen in Lichtenhain. Letzter Außenposten der einstigen DDR. Das Tor ist mit einem Schloss gesichert. Im Zaun sind Löcher. Durchs Unterholz klettert es sich kinderleicht in eine versunkene Welt. In das Reich der Grenztruppen der DDR. Grenzkompanie Lichtenhain. Gut zwanzig Kilometer entfernt von der einstigen Spielzeugstadt Sonneberg. Zwischen Birken und Kiefern verstecken sich eine Kaserne mit drei Etagen, Kfz-Garagen, eine ehemalige Hundezwingeranlage und ein Munitionsbunker. Regen prasselt auf die Dächer. Was sonst? Absolute Stille. So sieht wohl das Ende der Welt aus.    

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Amazing Grace

Die Legende kennt jedes Kind in den USA. Kapitän John Newton geriet im Mai 1748 in schwere Seenot. In letzter Sekunde konnte er sich und sein Schiff retten. Das Schicksal meinte es gut mit ihm. Seine Fracht bestand aus Schwarzen, aus Sklaven. Ein einschneidendes Schlüsselerlebnis für den Sklavenhändler. Nach seiner wunderbaren Rettung schwor er, Sklaven als das zu behandeln, was sie sind: Menschen wie du und ich. Die Legende erzählt weiter, dass er später seinen Job an den Nagel hing und Pastor wurde. So schrieb er den Text zu Amazing Grace und bekämpfte fortan die Sklaverei.     Die Geschichte von diesem Wende-Wunder ist fast dreihundert Jahre alt. Sein Kirchenlied

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Urlaub von Corona

Wer hier zu Fuß unterwegs ist, macht sich schnell verdächtig. Ein Fremder? Bestimmt! Vermutlich ein Stadtmensch, sicher ein Berliner. Wanderer sind selten. Spaziergänger absolute Exoten. Der misstrauische Blick fragt: woher des Weges? Was wollen Sie hier? So ist das in der Prignitz. Auf halbem Wege zwischen Berlin und Hamburg. Das leere, flache Land mit endlosen Feldern, einsamen Wäldern mit einem weiten Himmel bis ans Ende der Welt. Was es sonst noch gibt? Landschaft, einfach nur Landschaft, nichts weiter. Willkommen in der Mark! In Corona-Zeiten ist es eine ganze Umdrehung noch stiller als üblich. Ein heftiger Platzregen kann das Aufregendste sein. Plipp, plop plattert es spritzig aus schweren Wolken! Lustige Kringel

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Der Stellvertreter

Überhaupt das Jackett. Es lag wie immer lose über den Schultern. Wenn er loslegte, redete und gestikulierte, griffen irgendwann die Gesetze der Physik. Es rutschte weg. Nun stand er hemdsärmelig vor dem Publikum. Aber stets betont bürgerlich mit Schlips und Kragen. So provozierte er am liebsten brave Bürgerseelen. Wenn er außer Rand und Band geriet, polterte er zornesrot vom Pult los und schlug beim Abgang alle Türen zu. Rumms! Gestatten, Rolf Hochhuth. Fabrikantensohn aus dem hessischen Eschwege und  Wutbürger auf Lebenszeit – auf seine ganz spezielle Art. Bis zum Schluss. Nun trat er im Alter von 89 Jahren ab. Das Herz. Dabei wollte er seinen Neunzigsten unbedingt noch feiern.  

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Das Märchenschloss von Gentzrode

In Zeiten des Stillstandes gilt: Viele Pläne sind in die Zukunft zu verlegen. Die Vergangenheit taugt nur für Romantiker, die Gegenwart eignet sich eher für Entdecker. Momentan geht das nur in der Nähe, das Fernweh muss sich gedulden. Wie wäre es daher mit Gut Gentzrode? Eine gute Autostunde von Berlin entfernt zwischen Neuruppin und Rheinsberg. Hier ist Brandenburg am Brandenburgischsten. Eine stille Region, in der das einstige Preußen unter jedem aufgehobenem Stein eine Geschichte erzählen kann. Die beige-bunten Steine von Gentzrode berichten von kühnem Größenwahn und kauziger Kleingeisterei. Auf nach Gentzrode. Seit fast 150 Jahren versteckt sich ein hochherrschaftliches Anwesen in dichtem Kiefernwald. Ein wundersames orientalisches Märchenschloss. Einst Sitz der

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1945 – Ein kurzer Sommernachtstraum

Alles neu macht der Mai. Ein beliebter Kinderreim. In diesen Tagen freuen wir uns über jede Lockerung. Vor 75 Jahren war am 8. Mai 1945 ein ganzes Reich untergegangen. In den Ruinen der „Reichshauptstadt“ notierte die Berliner Schriftstellerin Ruth Andreas Friedrich in ihr Tagebuch: „Wie ein Spuk ist das Dritte Reich zerstoben. Mit den Hakenkreuzfahnen ist auch Herr Hitler auf den Abfallhaufen geflogen. Fahr zur Hölle, Führer und Reichskanzler!“ Über die geschundene Stadt legte sich eine bleierne Stille. Kein Geschützlärm mehr, keine Granaten. Aber auch kein Strom, kein Gas oder etwa Wasser aus der Leitung. Merkwürdig nur: Die Nazis waren plötzlich alle verschwunden. Wohin? Immerhin: Keine drei Wochen nach der

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Bis zum letzten Atemzug

Vor genau 75 Jahren. Das Dritte Reich liegt in den letzten Zügen. Der 23. April 1945 ist ein Montag mit typischem Aprilwetter. Sonne folgt auf Regen. Auf der Landstraße von Neuruppin nach Wittstock ist auf einmal das tausendfache Klappern von Holzpantinen zu hören. Elendsgestalten in Blöcken zu jeweils fünfhundert Mann schleppen sich gen Norden. Die SS verfolgt ihren letzten teuflischen Plan. Über dreißigtausend KZ-Häftlinge aus Sachsenhausen sollen zur Ostsee getrieben werden, um dort auf Schiffen versenkt zu werden. Am 29. April 1945 können die Überlebenden in Mecklenburg befreit werden.     Der 51-jährige Reinhold Heinen ist einer der Todeskandidaten. Er quält sich im Block der Politischen seit zwei Tagen über

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So viel Zukunft war nie

Mein Krankenhaus, in dem ich seit drei Jahren ehrenamtlich mithelfe, ist geschlossen. Im gegenwärtigen Corona-Modus sind ganze Stationen geräumt und isoliert worden. Bisher blieb der große Ansturm aus. Gott sei Dank. Aber was ist mit dem Stammpersonal? Wie geht es den Pflegekräften und der Ärzteschaft? In Nachrichten und Talkshows sind Virologen Dauergäste. Aber Pflegerinnen und Pfleger, Schwestern, Stationsärzte? Fehlanzeige oder ganz seltene Ausnahmefälle. Dabei sind sie hautnah ganz vorne und am intensivsten an Corona-Patienten. Was auf der Hand liegt: Statt Balkon-Beifall für Pflege- und Stationspersonal wären angemessene Löhne und Gehälter eine wirkliche Verbesserung. Ein Schritt in die Zukunft. Der 23-jährige Alexander Jorde ist einer der wenigen, der offen über die

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„Da müssen wir durch“

Leben im Sperrgebiet. Die Sonne strahlt. Kraniche ziehen übers Land. Birken blühen auf. Kröten wandern. Nicht wenige bleiben platt am Straßenrand zurück. Trecker auf Feldwegen wirbeln dickbraune Staubwolken auf. Sie schütten literweise streng riechende Gülle auf ihre Äcker. Es ist eigentlich wie jedes Frühjahr. Die märkische Heide ist im dritten Jahr staubtrocken. Wir warten auf die Störche. Oder gilt für sie auch das neue Einreiseverbot wie für alle Fremden, besonders diejenigen aus Berlin? Das kleine Herzdorf, wie unser Dorf in meinem Buch heißt, befindet sich seit zwei Wochen mitten in der Verbotszone. Der zuständige brandenburgische Landkreis OPR (Ostprignitz-Ruppin) hat ein Betretungsverbot erlassen. Corona führt Regie.     Wenige Tage vor

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